Jeden Tag des Herbstes 1939 sah ich ihn am Fenster stehen. Scheinbar gedankenverloren sah er in die Ferne, als könne er, wenn er nur angestrengt schaute, seinen Sohn sehen, der in einem fernen Lande Menschen erschoss. Meine Schule lag genau seinem Haus gegenüber und manchmal, wenn wir bei dem forschen Herrn von Mühlensee die lateinische Sprache erlenen sollten, blickte ich hinüber zu dem Fenster mit den grauen Vorhängen. Die Bäume hatten ihre Blätter noch nicht ganz abgelegt, so dass ich zwischen den rot und gelben Schemen des Vergehens nichts weiter erkennen konnte, als die unbewegten Vorhänge.
Unbewegt waren auch die Gesichter der Menschen auf den Straßen meiner Heimatstadt. Unbewegt ihre Herzen, unbewegt ihre Münder. Stumm, wie gemalt, gingen sie zu Orten, an denen sie nicht sein wollten und versuchten zu vergessen, dass dort, wo der Mann am Fenster hinstarrte, Kugeln Menschenherzen zerfetzten, Familien zerstörten und junge Männer zu untragbaren Lasten machten. Der Herbst war kalt und der Schnee kam früh in diesem Jahr.
Kurz vor Weihnachten sah ich nach oben und kein Gesichte blickte nach Osten. Leer und kalt lag der Tag vor mir, ohne den Herrscher des Sehens. Am Mittag fielen dicke, große Flocken vom Himmel und legten die kalte Stadt und die kalten Herzen eine weiße Decke um. Mitten im Deklinieren ging dort drüben ein Fenster auf und etwas fiel auf die Straße. Das Fenster schloss sich wieder.
Nichts hielt mich auf meinem Stuhl und ich bat um einen Flurschein, um meine " Piefkeblase " zu leeren. Schnell warf ich mir den Schal aus meiner Tasche um und lief zu dem Haus des Starrenden hinüber. Im fast grauen Schnee lag ein Umschlag. Ich hob ihn auf und las. Das Oberkommando der Wehrmacht ... Der Tod hatte auch ihn gefunden, den, um den gestarrt und gehofft und gebetet und gelitten und geschrieben und geweint wurde. So war der Winter nun ein wenig kälter und der Starrende war in sich und in seiner Trauer allein. Wie wir alle.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.07.2012.
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