Anna Jansen

In meinen Träumen- Der Zirkus(1)


Ich ging durch dichten Nebel. Schemenhaft kamen auch kahle, verästelte Bäume in mein Blickfeld, doch verschwanden sie wieder bevor ich sie erreichen konnte. Wie schwarze Schatten, die lauernd hinter einem Schleier von Grau warteten und sich versteckten, sobald man ihnen zu nahe kam.  Kein Himmel, kein Boden.

Ich hasste solche Träume. Träume, bei denen man am Anfang schon merkte, dass sie nicht nett waren. Diese Träume hatten die perfekten Voraussetzungen zu Albträumen zu werden. Man musste nur ein seltsames Geräusch hören- Zweige knackten dicht neben mir, ich rannte- oder etwas Seltsames sehen- und schon erschien eine menschliche Silhouette im dichten Grau vor mir.

Schlagartig verflüchtigte sich der Nebel in dichtes, dunkles Blau und ich rannte gegen etwas, das wie eine Vogelscheuche aussah. Sie fühlte sich unwirklich an, wie so vieles im Traum und bevor sie irgendwelche Bewegungen machen konnte, drehte ich mich um. Was ich im Traum nicht sehe, kann sich auch nicht wirklich bewegen. Es war dunkel und trotzdem hell. Ein Vollmond in einem Himmel, den man nicht sehen konnte. Ich versuchte gar nicht erst nach oben zu schauen. In jedem Traum, sobald ich in den Himmel sah, verlor ich den Boden unter den Füßen und wurde in den Himmel gezogen. Schnell und rücksichtlos. Und wenn ich dann wieder fiel oder in rasender Geschwindigkeit auf den Boden zuhielt, wachte ich zuckend und keuchend, manchmal auch schreiend wieder auf.

Der Boden war nun sichtbar. Ein steiniges Braun, das in der Umgebung fast blau wirkte, tote Blätter, Kiesel und ein Weg auf dem ich stand. Derselbe Weg, den ich wahrscheinlich auch gekommen war. Ich drehte mich um und sah, dass der Weg von toten, handähnlichen Bäumen gesäumt in einen noch dunkleren Nebel führte als der, durch den ich schon gegangen war. Als ich glaubte, dass der Nebel näher kam, je länger ich hinstarrte, sah ich wieder weg. So war es besser. Alles ignorieren, was einem Angst einjagen könnte. Man macht sich nur Gedanken über etwas, das man auch sehen kann.

Vor mir führte nun ein Weg sachte ins Tal hinab. Erst jetzt merkte ich die Höhenunterschiede. Also war ich diesmal nachts auf einem kleinen Berg, voller toter Bäume und hatte vor mir nur einen Weg, der vom Berg herunter führte. Immer noch besser als durch grauen Nebel zu laufen. Zudem schien das Tal etwas heller im Vergleich zum Berg und wirkte somit weniger gefährlich. Auf dem Weg nach unten vermied ich es sorgfältig mich noch einmal umzudrehen. Ich hatte dieses blöde Gefühl, dass die Vogelscheuche noch da war und mich ansah. Entfernungen sind im Traum eine seltsame Sache. Der Weg vor einem ist unglaublich lang und scheint immer länger zu werden, während der Weg hinter einem kaum verschwindet. Wahrscheinlich müsste ich mich nur umdrehen, um wieder direkt vor der Vogelscheuche zu stehen. Schnell an was anderes denken und schon war ich unten angekommen.

Das Licht im Tal kam von aufgehängten Laternen und einigen kleinen Holzfeuern. Und hier gab es Menschen und Tiere. Die Menschen schienen noch sehr normal, die meisten Tiere auch, doch besah ich mir die, welche nicht so normal aussahen auch nicht so genau. Und je genauer ich mir die normalen Tiere ansah, desto weniger normal sahen sie aus. Neben einem riesigen, wirklich riesigen Zirkuszelt in rot und gelb waren einige schwarze Pferde angebunden- ich nenne sie Pferde, weil diese Bezeichnung noch am ehesten zutraf- doch diese verschwammen und wurden größer, wenn ich zu lange hinsah. Sie wurden irgendwie unförmig und ich mochte ihre Augen nicht. Normalerweise sind Augen in meinen Träumen platt wie Spiegel, wenn ich genau hinsehe, doch deren Augen hatten die seltsame Art näher zu kommen und richtig fies auszusehen.

Die Stimmen von Menschen, die einfach so plauderten, beruhigten mich. Wohl auch um sicher von diesen Pferden wegzukommen, schloss ich mich einer kleinen Gruppe an, die das Zelt betrat. Es war sehr hell, aber nirgendwo würde ich ein Licht finden können. Noch so eine Eigenschaft meiner Träume: völlig irrationale Beleuchtung. Ein Mann wollte die Tickets sehen, bevor wir uns Plätze aussuchen konnten. Keine Panik. Angst sorgt in Träumen nur für Probleme. Seelenruhig griff ich in meine Hosentasche und zog ein kleines Papier heraus. Auf einer Seite stand undefinierbares und unlogisches Geschreibsel, untermalt mit einer Art Stempel, während auf der anderen Seite ein gruseliges Clownsgesicht aufgedruckt war.
„Willkommen im GRAND NOCTURNE. Dem einzigen und wahren Schatten-Zirkus. Bitte…“, der Mann machte eine elegante Verbeugung, „…erheitern Sie sich an unserem bescheidenen Programm.“

Als er wieder aufsah und die nächsten Gäste begrüßte, hatte auch er diese unheimlichen Augen und schien irgendwie größer geworden zu sein. Stumpf auf meine Karte starrend folgte ich der plaudernden Gruppe weiter in das Zelt hinein, an der Manege entlang und einige Treppen hinauf bis zu einer der vielen Sitzreihen, von denen aus man den gesamten Zirkus sehen konnte. Neben den vielen Menschen fühlte ich mich sicher und normal und wagte es, mir das ganze Zelt genau anzusehen. Es war wirklich riesig, größer als jedes Zirkuszelt  in dem ich je gewesen war und verglichen mit einigen der Wesen hier fast schon zu normal, wenn man von der Größe absah. Das Dach wurde von mehreren Metallstreben gehalten, die hinter den letzten Zuschauerrängen verschwanden und an welchen Seile und andere Geräte, wohl für die Vorstellung, befestigt waren. Da waren keine Leitern, nur ein sehr dickes Rohr, das neben dem tiefblauen Vorhang in die Höhe führte. Nun besah ich mir auch meine direkten Nachbarn etwas genauer. Links von mir saß ein kleines Mädchen und neben ihr ein Mann, ihrer Ähnlichkeit in Gesicht und Kleidung nach wohl Vater und Tochter. Zudem hielten sie sich die ganze Zeit an den Händen. Bis auf ihre Augen wirkten sie normal. Sie hatten diese platten, unpersönlichen Spiegelaugen, keine unheimlichen Augen. Rechts von mir saß ein Mann, das glaubte ich am Bart zu erkennen, der gerade noch unter einem dicken Schal zu erkennen war. Sein Gesicht lag im Schatten eines sehr großen schwarzen Hutes mit einer roten Pfauenfeder. Sein Mantel war pechschwarz. Keine guten Anzeichen. Als er sich dann noch zu mir umdrehte, beschlich mich ein sehr mulmiges Gefühl.

„Sind Sie auch neu hier?“, fragte mich eine großväterliche Stimme. Schlagartig wich dieses Gefühl wieder von mir und ich spürte, wie ich innerlich aufatmete. Zumindest vor meinen Nachbarn brauchte ich mich nicht zu fürchten.

„Ja, ich wollte mir die Vorstellung ansehen.“ Trotz allem lass ich im Traum andere nie erfahren, dass ich träume. Ich spiele immer meine Rolle, abhängig von der Umgebung und sei es auch nur, dass ich vor etwas davonlaufe. Warum, weiß ich nicht. Es kommt mir auch selten in den Sinn, dies überhaupt zu sagen.

„Ach so.“ Das Interesse des Alten wandte sich wieder der Manege zu.

Die Leute hinter mir hatten, soweit ich das sehen konnte, alle diese Spiegelaugen. Zu lange wollte ich nicht hinsehen. Besser ist es, man steht nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Ich kenne Träume in denen ich ewig auf etwas warten kann und nichts passiert. Ich könnte hier also auch sehr lange sitzen, wenn das einer von diesen Träumen war. Doch nach einiger Zeit wurde das Licht etwas gedimmt und das Geplauder der Menschen verstummte. Der blaue Vorhang öffnete sich und ein kleiner Mann in einem blauen Anzug mit einer großen roten Fliege betrat die Manege.

„Verehrte Gäste.“ Eine tiefe Verbeugung. „Ich, Tonios Rigros, der Direktor des GRAND NOCTURNE, möchte Sie aufs allerherzlichste begrüßen. Meine Familie erhält diesen Zirkus seit Jahren und ich, Rezos Efrinos, wurde mit der Ehre beauftragt, für Ihre Erheiterung zu sorgen, was mir, Grevos Garfebos, ein großes Vergnügen bereitet. Ich, Fr… De… (ich hörte die ganzen Namen schon nicht mehr) hoffe, dass etwas von diesem Vergnügen, Ihr eigenes bereichern wird und wünsche Ihnen einen angenehmen Abend und viel Unterhaltung mit unserer Vorstellung. Und seien sie unbesorgt…“ Seine Stimme gefiel mir immer weniger. „…Ihnen kann hier gar nichts geschehen.“ Ich hatte eine Gänsehaut. Das konnte wirklich kein gutes Ende nehmen. Der Direktor, wie auch immer er heißen mag, betrat eine Art Loge direkt neben dem Vorhang. „Als Erstes: Unsere bezaubernden Reiterinnen!“

Durch den Vorhang kamen gleich mehrere dieser schwarzen Pferde geritten. Auf jedem Pferderücken saß ohne Sattel oder Zaumzeug ein junges Mädchen, vielleicht 13 Jahre alt und jedes von ihnen trug ein hellblaues flatterndes Kleid. Sie hielten sich an den Mähnen fest und ritten sicher durch die Manege. Staunende Ausrufe und bewundernder Applaus kamen aus den Zuschauerreihen. Das Mädchen neben mir äußerste wie abwesend: „Das möchte ich auch machen.“ Nun traten sich die Pferde in Paaren gegenüber, drei Paare insgesamt und gingen langsam aufeinander zu. „Ich mag diesen Teil.“ Auf dem Gesicht des Mädchens neben mir breitete sich ein Lächeln aus, das aber ihre Augen nicht erreichte. Als ich wieder zur Manege sah, waren es nur noch drei Pferde, viel größer und kantiger als jedes normale Pferd und ihre Schnauzen waren unnatürlich lang geworden. Auf jeden Pferderücken waren nun zwei Mädchen, eines saß und hielt sich weiter an der Mähne fest, das andere stand, hielt sich mit einer Hand an der Schulter der Reiterin fest und winkte mit der freien Hand den Zuschauern zu. Der Applaus war sehr laut und irgendwie war ich froh, den Teil nicht gesehen zu haben, wie aus zwei Pferden eines geworden war. Nach einigen Runden jedoch nahmen die Pferde eine andere Position ein. Während eines sich mit dem Rücken zum blauen Vorhang stellte, positionierten sich die anderen beiden jeweils schräg links und rechts davor. Der Applaus wurde leiser und ein spannender Trommelwirbel setzte ein. Das hintere Pferd ging nach vorn und die vorderen gingen zurück und gerade als sie sich berührten begann eine unheimliche Version von Zirkusmusik an zu spielen. Und ich meine wirklich unheimlich. Es untermalte, wie die drei Pferde ineinander versickerten und wuchsen, wie sie eins wurden. Die Mädchen hielten sich ungerührt fest und arrangierten sich auf dem krummer werdenden Rücken neu. Die zwei Köpfe wurden noch hässlicher, die Schnauzen breiter und als sie die Münder aufrissen und brüllten, erinnerten sie mehr an Krokodile oder Haifische. Mit Pferden hatte dieses Wesen wirklich nichts mehr gemeinsam. Ein tosender Beifall ging durch die Menge. Die Mädchen, nun in einer Reihe stehend während die vorderste in der Lücke zwischen den beiden Köpfen saß und sich an beiden Mähnen festhielt, winkten den Leuten zu allen Seiten zu und verteilten Luftküsse. Rückwärtsgehend verschwand das mutierte Pferd mit den immer noch winkenden Mädchen wieder hinter dem Vorhang. Der Applaus blieb.

Meine Gänsehaut machte keine Anstalten zu verschwinden und meinem Gefühl nach würde sie das so bald auch nicht tun. Wollte ich aufwachen? Ja. Aber ich dachte, solange mir nichts passiert, kann ich damit leben. 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.07.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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