Rita Latz-Orlowski

Der Zoo in meiner Wohnung

In meinem Leben haben mich fast ständig Katzen begleitet. Nein, es waren kein Rassekatzen, sondern ganz normale Hauskatzen. Ich liebe diese geschmeidigen Tiere! Ich liebe ihre Vielfalt an Körperbau und Farben sowie ihre unterschiedlichen Ausdrucksformen. Hin und wieder hatte ich auch einmal andere Haustiere, z.B. Goldhamster „Schlumpfinchen“, der mir entwischt ist und sich ein neues Nest mit mehreren Hausgängen in einem alten Sofa geschaffen hat.

Hin und wieder hatten wir auch mal Vögel. Aber es tat mir leid, dass sie immer im Käfig sitzen sollten. Meistens konnten sie nicht einmal fliegen und mussten es erst einmal bei uns lernen. Da denke ich besonders an einen Kanarienvogel, der mir immer vor den Füssen herumgelaufen ist, so dass ich ihn fast zertreten hätte, wenn ich mit den Armen voller Wäsche ins Zimmer kam. Aber irgendwann vergass dann man jemand das Fenster zu schliessen...

Gar nicht klar kam ich mit Fischen. Egal, wie aufmerksam ich ihr Wasser zubereitete: Wenn es nicht die unzulängliche Umwelt war, hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als sich in die Umwälzpumpe zu stürzen. Dabei hatte ich den Eingang so gut abgeschirmt. Aber sie waren die echten Selbstmörder! Einige wenige blieben am Leben, bis ich auf den Gedanken kam, zwei Fünf-Mark-Stück-grosse Rotwangenschildkröten zu kaufen. Wie sollte ich auch wissen, dass diese Schildkröten Fleischfresser sind! Immerhin, diese Schildkröten hatte ich ein gutes Jahrzehnt lang, und sie starben eines normalen Todes.

Mit Katzen hatte ich solche Probleme nie! Sie kamen, bereicherten mein Leben und starben, wenn die Zeit gekommen war. Nur ein Kater wurde mir von einem Nachbarn vergiftet. Und ich litt so darunter, ihn sterben zu sehen, dass ich keine Katze mehr haben wollte. In der Wohnung hielt ich es auch nicht mehr aus - und wir zogen um.

Meine kleine Tochter wünschte sich zur Einschulung ein Tier. Ich sagte: Keinen Vogel, kein Fisch, sondern etwas, was man streicheln kann und langlebiger ist als ein Goldhamster. In der Tierhandlung entdeckten wir ein kleines graues Zwergkaninchen. Siri war begeistert! Und so kam Bunny zu uns. An dieses kleine Häschen denke ich heute noch voller Zärtlichkeit. Als er klein war, machte er lange Ausflüge in der Wohnung. Man musste auch bei ihm aufpassen, weil Kaninchen ja keinen Ton von sich geben. Aber diese Tiere sind sehr sauber und sehr intelligent. Er hatte eine grosse Holzkiste als Unterkunft, deren Deckel eine Drahtabdeckung hatte. Aber der Deckel war selten geschlossen.

Bunny war auch mein im Unterhalt preiswertestes Haustier, denn er liebte Kohlrabiblätter oder Möhrengrün, das von den meisten Leuten weggeworfen wird. Die Gemüsehändler kannten uns bald und haben uns diese Abfälle aufgehoben. Natürlich bekam er auch das handelsübliche Hasenfutter - aber nichts ging ihm über das frische Grün. Durch Zufall entdeckten wir aber noch eine Leidenschaft von ihm: er liebte Marzipan! Ich übrigens auch! Und von da an war immer etwas von dieser Leckerei im Haus.

Der Tierhändler hatte uns gesagt, dass Bunny 6 bis 8 Jahre alt wird. Aber Bunny hatte das nicht gehört. Er starb als Methusalem im 16. Lebensjahr. Ich konnte danach zwei Jahre lang kein Marzipan mehr essen - und auch jetzt werde ich noch wehmütig, wenn ich ein Stückchen nasche.

Siri wuchs heran und wurde Teenager, und damit begann bei mir eine Zeit, die ich nur als das komplette Chaos bezeichnen kann. Mir sträuben sich heute noch die Haare, wenn ich an eine bestimmtes Jahr denke!

Wir wohnten in einem Miethaus mit einer besonders tierliebenden Frau in Erdgeschoss. Sie hatte mehrere Katzen, zwei bis drei Hunde, in einem Terrarium Spinnen, in einem andere einen oder zwei Leguane, in einem weiteren Sumpfschildkröten. Irgendwie erinnerte mich das an Dr. Doolittle, denn sie lebten friedlich zusammen.

Siri war begeistert! Sie besuchte diese Nachbarin, so oft wie möglich und ging mit den Hunden spazieren. Dabei waren keine Kuschelhunde, sondern zwei Rotweiler - aber sehr sanftmütige Tiere.

Siri wurde Teenager und wollte Tierpflegerin werden. Zum „Üben“ sammelten sich in meinem Haushalt die verschiedensten Tiere an. Ausser „Bunny“ und den Schildkröten „Max und Moritz“ kamen bald sich eifrig vermehrende Meerschweinchen hinzu; im Spätherbst brachte Siri auch noch mit einem Regenwurm an, der Lumbricus genannt wurde. Lumbricus bewohnte ein leeren Aquarium mit alter Blumenerde, die hin und wieder angefeuchtet wurde. Regenwurm Lumbricus hatte den Winter wohl nicht überlebt, jedenfalls fanden wir ihn nicht wieder. Siri streute die Erde an einer Friedhofsmauer aus in der Hoffnung, dass er noch Eier gelegt hatte, die dort schlüpfen konnten.

Eines Tages kam nämlich Siri an und sagte, dass auf dem Hof ein schwarzer Kater ist, der gern herein möchte und der einer Nachbarin gehört. Ich schimpfte pro forma eine Weile, bis ich den Kater sah. Tatsächlich: Bis auf ein paar eingesprenkelte weiße Haare war er total schwarz! Und einen schwarzen Kater hatte ich noch nie! Er kam in die Wohnung herein, als würde er zu uns gehören und strich mir um die Beine!

Ich war auf die Nachbarin sauer, die diesen schönen Kater einfach ausgesperrt hatte! Und sie machte auch nicht auf. An diesem Tag nicht und auch nicht an den folgenden. Später erfuhr ich, dass sie im Krankenhaus war und der Mann, der ihre Tiere versorgen sollte, das Fenster geschlossen hatte, durch das der Kater von der Parterrewohnung immer im Garten spazieren ging. Als sie wieder da war, erklärte ich ihr, dass sie den Kater nicht wieder bekommt und gab ihr dafür zwei Meerschweinchen.

Jetzt erfuhr ich auch, dass der Kater Alfred heißt. Alfred und ich verstanden uns prima! Ich erklärte ihm, dass er dem Zwergkaninchen und den Meerschweinchen nichts tun dürfe - und er hielt sich daran! Mehr noch: er schloss mit Bunny Freundschaft. Sie begrüßten sich jeden Morgen mit einem Küsschen, und Alfred putzte Bunny sogar! Bunny wollte ihm sogar eine Mohrrübe abgeben, aber das war doch nicht nach Alfreds Geschmack. Dafür musste ich hin und wieder einen Hühnerknochen aus Bunnys Käfig holen, den Alfred Bunny abgegeben hatte.

Um das Chaos komplett zu machen, kam Siri eines Tages nach oben mit je einer jungen Taube auf den Schultern! Ein stürmischer Wind hatte ihr Nest heruntergeweht. Ich sah mir die Tiere an: Sie sahen gesund aus. Aber die Flügel waren noch nicht voll entwickelt, so dass sie noch nicht fliegen konnten. Gutmütig gab ich ihnen auch noch Unterschlupf, denn Siri hatte Tränen in den Augen bei dem Gedanken, dass sie von einer herumstreifenden Katze verspeist werden. „Gut“, sagte ich, „sie können hier bleiben, bis sie fliegen können, aber dann müssen sie wieder raus, denn das sind keine Haustiere, sondern Wildtiere.“

Siri war glücklich. Und tatsächlich schaffte sie es, den beiden Tauben innerhalb von 3 Wochen das Fliegen beizubringen! Dann setzten wir das Käfigunterteil, in dem sie bei uns „gewohnt“ hatten, auf den Balkon. Sie wurden weiter gefüttert, aber nach ein paar Tagen flogen sie fort, kamen aber immer wieder mal vorbei, um „Guten Tag“ zu sagen.

Ich war erleichtert! Aber so schnell ließ sich der Zoo nicht auflösen. Im Gegenteil: Eine Schulfreunding von Siri kam an mit einer riesigen getigerten Katze. Schuld war jene Nachbarin, die die Kinder aufgefordert hatte, nach ihrem Kater Samson zu suchen. Das Mädchen die Tigerkatze auf einem Baum und brachte sie zu der Nachbarin. Aber Samson war inzwischen zurückgekehrt. Ich sagte: „Nein!“ - Das hätte ich mir auch sparen können. Nach ein paar Tränen gab ich Katzennarr nach und wollte nach dem Besitzer suchen. Wir pflasterten die Strasse mit Zetteln. Aber niemand meldete sich. So kam ich zu einer riesigen Katze, die vom Baum gepflückt wurde. Sie wurde „Roberta“ genannt und war ausserordentlich sanftmütig. Nachdem Alfred ihr klar gemacht hatte, dass Bunny kein Frühstück für sie ist, hat sie sich schnell an unsere Gepflogenheiten gewöhnt, und ich habe keinen Augenblick bedauert, sie aufgenommen zu haben.

Eigentlich wollte ich die letzten beiden Meerschweinchen auch noch verschenken. Aber da erhob meine große Tochter Löckchen Einspruch! Da sie aber kurze Zeit später auszog und die Meerschweinchen mitnahm, schrumpfte auch unser Zoo. Jetzt hatte ich wieder eine überschaubare Zahl an Lebewesen in der Wohnung - aber es war die schlimmste Zeit in meinem Leben

... übrigens: Siri ist nicht Tierpflegerin geworden...Rita Latz-Orlowski, Anmerkung zur Geschichte

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