Michael Hübner

Der falsche Vampir

Die Nacht hatte sich wie ein Leichentuch über der Stadt ausgebreitet. Eine dicke Wolkendecke verhinderte jegliches leuchten der Sterne am Firmament, was auch kein Wunder war, schließlich begann mit dem Herbst gerade die düstere Zeit des Jahres. Die Blätter fielen verwelkt zu Boden, der Himmel war grau und trübe und die Zeit der Depressionen machte sich bei manchen Menschen bemerkbar. Doch trotz aller Traurigkeit dieser Tage, gab es Einige die sich auf die Suche nach Zerstreuung und Unterhaltung begaben.

Viele von ihnen fanden ihr begehrtes Glück im Mad-Man, welche

die größte Diskothek in der Gegend war. Auf mehreren Tanzflächen konnten sich die Vergnügungssüchtigen nach Herzenslust austoben, ganz wie es ihnen in den Sinn kam.

Doch nicht alle der Besucher des Mad-Man waren auf der Suche nach Zerstreuung. Eine Besucherin hatte ganz andere Ziele. Sie war auf der Suche nach einem Getränk, das nicht jedermanns Geschmack traf. Doch gab es dieses leider nicht an der Theke, denn was sie suchte war kein Cocktail, sondern den süßen, roten Saft der durch die Adern der Menschen floss. Sie ließ ihren Blick durch die tanzende Menge schweifen, doch bisher hatte sie noch kein passendes Opfer gefunden.

Sie hieß Lilith und war eine Vampirin oder zumindest hielt sie sich dafür. Sie war besessen vom Vampirismus und hatte sich schon als Kind jeden Vampirfilm im Fernsehen angesehen. Von da an wusste sie, was sie mal werden wollte.

Sie hatte schon mehr als einmal jemanden getötet und dann sein Blut getrunken. Doch heute sah es nicht gut für sie aus. Zu viele Menschen waren in Gruppen unterwegs. Doch sie brauchte jemanden der alleine war, damit das Fehlen ihres Opfers nicht sofort auffiel.

Sie wollte gerade wieder gehen und ihr Glück in einer anderen Diskothek oder Kneipe suchen, als sie an der Bar einen jungen Mann ohne sichtliche Begleitung erspähte. Sie schlängelte sich durch die tanzende Meute und setzte sich auf den Barhocker neben den Mann.

Schnell kam sie mit ihm ins Gespräch. Lilith bemerkte, wie ihr zukünftiges „Opfer“ immer wieder auf ihren üppigen Busen linste und wusste dass sie ihn an der Angel hatte. Nachdem sie ihre Getränke geleert hatten, verließen beide zusammen das Etablissement und schlenderten Arm in Arm in eine dunkle Gasse. Als sie weit genug in der Dunkelheit verschwunden waren und kein Zeuge ihr schändliche Vorhaben mehr sehen konnte, zog Lilith ein Messer, welches sie unter ihrem Minirock versteckt hatte und rammte es dem Mann mehrfach in den Hals. Die Augen vor Überraschung geweitet, brach er zusammen. Sie nahm sein Handgelenk und fühlte nach seinem Puls, doch sie konnte ihn nicht mehr ertasten. Der Mann war tot.

Voller Vorfreude bleckte die Mörderin ihre Zähne, denn sie wusste, jetzt da der Mann tot war, stellte er keine Gefahr mehr da und sie konnte ihn ohne Probleme aussaugen. Sie drehte ihn auf den Rücken und bog seinen Kopf leicht nach hinten damit der Hals frei lag. Gerade als sie zubeißen wollte, öffnete der Mann unverhofft seine Augen.

„Überraschung, meine kleine Honigbiene!”, sagte er mit einem schelmischen Grinsen. Lilith erschrak, stolperte zurück, knallte gegen einen verbeulten Müllcontainer und ließ ihr Messer fallen.

„Das ist unmöglich, du bist tot, ich… ich habe dich getötet!”, stammelte sie.

Der Mann stand auf und wischte sich mit einer geschmeidigen Handbewegung die Hose sauber. Gleichzeitig schlossen sich langsam die Wunden am Hals.

„Du hast recht, ich bin tot, aber ich bin schon lange tot. Um genau zu sein bin ich es schon seit Jahrhunderten.”

Er kam lässig auf sie zugeschritten und hob ihr Messer auf.

„Weißt du eigentlich, dass du meiner Art ganz schöne Probleme bereitest?”

Er machte eine kurze Pause um Lilith die Gelegenheit zur Antwort zu geben, doch die stand nur steif wie ein Stock gegen den Müllcontainer gelehnt da. Als er keine Antwort erhielt, fuhr er fort:

„Wir wären vor fast zweihundert Jahren beinahe ausgerottet worden, weil zu viele meiner Geschwister ihre Opfer einfach liegen ließen. Es bildeten sich Vereinigungen, die uns suchten und einen nach dem Anderen töteten.

Viele meiner Freunde mussten ihr dunkles Leben aushauchen. Aber Einige konnten entkommen und wir haben daraus gelernt. Von da an vergruben wir die Leichen oder banden Steine an die Körper und versenkten sie in Seen. Und mit der Zeit vergaßen die Menschen, dass es uns überhaupt gibt. Das Einzige, was zurück blieb, waren Legenden. Doch jetzt tauchten erneut ausgesaugte Leichen auf und die Menschen beginnen wieder an uns Vampire zu glauben. Und sie werden uns erneut jagen und das haben wir nur dir zu verdanken!”

Er spie die letzten Worte nahezu aus. Kleinlaut flüsterte Lilith:

„Du bist ein Vampir? Ein echter Vampir? Mein ganzes Leben träume ich schon davon, einen deiner Art zu treffen. Ich hatte nicht geglaubt, dass es euch wirklich gibt.”

Tränen der Angst und der Freude gleichermaßen rannen über ihre Wangen und verschmierten ihr Make-up. Unbeeindruckt säuberte der Vampir mit dem Messer seine Fingernägel.

„Ja, ich bin ein Vampir und ja, es gibt uns wirklich. Bloß schade, das du niemanden von diesem Treffen berichten wirst!”

„Wie meinst du das?”

„Nun, als Leiche spricht es sich so schlecht, oder?”

„Du willst mich töten?”

„Ja, du bist einfach ein zu großes Risiko für uns, meine Süße. Nimm es bitte nicht persönlich.”

Der Vampir sah ihr mitten in die Augen und sie spürte, dass ihr Körper wie gelähmt war. Keinen Muskel konnte sie mehr bewegen, ihr Verstand drängte sie dazu wegzulaufen, aber sie konnte einfach nicht.

Langsam öffnete der Vampir seinen Mund, lange Reißzähne kamen zum Vorschein. Er packte sie und zog sie dann zu sich. Dann biss er in ihren schlanken Hals und saugte ihr mit gierigen Schlucken den Lebenssaft aus. Lilith spürte wie sie mit jedem Schluck, den er tat schwächer wurde. Sie wusste, sie würde sterben, doch kurz bevor sie an der Pforte zum Jenseits pochte, hörte der Vampir auf zu trinken.

„Ich gebe dir noch eine letzte Chance. Wenn du willst mache ich dich zu einen von meinen Leuten. Mir imponiert es, wie du diese Menschen überlistet hast. Du scheinst ein Naturtalent zu sein, solche Leute brauchen wir. Aber entscheide dich schnell, denn viel Zeit hast du nicht mehr bevor du stirbst.”

Er nahm das Messer, welches er immer noch in der Hand hielt und schnitt sich in den Arm. Schwarzes Blut quoll aus der Wunde hervor.

„Koste von meinen Blut und du gehörst zu uns! Willst du unserer Gemeinschaft angehören?”

Schwach nickte Lilith und der Vampir ließ etwas von seinem Blut in ihren Mund tropfen.

„So, das langt. Jetzt bist du eine von uns. Du fühlst dich jetzt noch schwach, aber dies wird sich schnell legen. Ich werde dich zu meinem Unterschlupf bringen.”

Er packte die Geschwächte auf seine Schultern und verschwand mit ihr in der Nacht. Bisher hatte Lilith immer nur aus Überzeugung Menschenblut getrunken, doch bald musste sie es um zu überleben. Aber eins wusste sie ganz genau, sie würde jeden Tropfen voll auskosten.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.08.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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