Nicolai Rosemann

Der Zorn Gottes


Präsident Aleksandr Basar blickte vom Balkon seines Präsidentenpalasts auf den Garten hinaus. Diener beschnitten eifrig die Büsche und reinigten die Marmorstatuen. Es wirkte alles so banal auf den Präsident, als wäre die Welt in Ordnung.
Doch das rege Treiben in seinem Garten konnte nicht über das Übel hinwegtäuschen, das aus dem Weltall auf sie zukam. Dieses Übel, nicht mit einem Namen oder einer Umschreibung behaftet, würde in weniger als einem Tag diesen Planeten mit allen Bewohnern vernichten. Ausnahmslos. Eine Flucht war auch nicht möglich. Denn dieses Übel zog bereits seit Monaten, kommend aus den unerforschten Randgebieten, durch den bekannten Weltraum. Es machte keinen Unterschied zwischen hoch entwickelten und primitiven Zivilisationen, friedliebenden und aggressiven, armen und reichen Völkern. Es vernichtete einfach alles.
Vorsichtig näherte sich der Leibdiener dem Präsident und klopfte leise gegen den Rahmen der Prunktür des Balkons. Höflich räusperte er sich und verneigte sich als der Präsident sich zu ihm umdrehte. „Der Papst ist eingetroffen, Präsident. Er erwartet Sie im großen Salon.“
„Danke. Du bist entlassen.“
„Wie Ihr wünscht, Präsident. Wann soll das Essen serviert werden?“
„Ich werde läuten.“ Mit einer Handbewegung drängte er den Diener sich zu entfernen. Dann zog der die Prunktür hinter sich zu und legte die vorbereiteten Kleider an. Er hatte es immer vorgezogen sich selbst einzukleiden, ohne auf Diener zurückzugreifen, obwohl sein Rang dies erlauben, gar verlangen, würde. Doch diese kleine Freiheit hatte er sich während seiner gesamten Regentschaft erhalten. Und selbst im Angesicht des kommenden Todes war er nicht bereits davon abzusehen.
 
Der Papst war eine alte, fette Frau mit unzähligen Ringen an den speckigen Fingern. Gierig war sie über das vorbereitete Konfekt hergefallen. Bunter Puderzucker hatte die Robe bestäubt und zwischen den Fingern und unter der Nase klebte Zuckerguss.
„Präsident. Ich bedanke mich für die Einladung“, sagte sie mit vollem Mund und begann sich die Finger dann abzulecken. „Ich war so frei mich zu bedienen. Eine Empfehlung an Ihren Hofkonditor. Wäre die Situation nicht so angespannt, würde ich wohl mit dem Gedanken spielen ihn für meinen Hof zu kaufen.“
„Mein Konditor, keiner meiner Diener, ist ein Sklave. Ich achte die Theokratie, die in Ihrem Teil des Planeten herrscht. Doch die Sklaverei kann und werde ich niemals dulden!“ antwortete der Präsident kühl und setzte sich.
„Soll das eine Drohung sein?“
„Wie es beliebt. Doch ich habe nicht nach Ihnen gesandt um über gesellschaftliche Prinzipien zu streiten. Ich wollte ein letztes Mal die Situation besprechen.“
„Aha, das kommende Übel“, sagte der Papst und grabschte nach einem neuen Zuckerkuchen. Wie ein Verhungerter biss sie zu, sodass der Zucker aufstob. „Was soll man da noch groß besprechen“, kaute sie mit vollem Mund, „in spätestens einem Tag stehen wir vor unserem Schöpfer. Er wird Gericht über uns halten. Und, ohne Sie zu beleidigen, Präsident, Leute mit schwachem Glauben wird er mit dem ewigen Fegefeuer strafen. Nur die Gläubigen werden das Paradies erlangen.“
„So wie Ihr?“
Der Papst hielt inne und lächelte dann schmal. „Ich bin der Stellvertreter Gottes. Natürlich werde ich erlöst werden.“
Der Präsident erwiderte das schmale Lächeln. „Meine Sicherheitskräfte informierten mich, dass aufgebrachte Bürger nach Predigten Ihrer Priester Tempel niedergebrannt hätten.“
„Diese Barbaren werden in die tiefsten Tiefen der Hölle geworfen werden für diesen Frevel. Ich bin sehr enttäuscht, dass Ihr Sicherheitsdienst nicht eingeschritten ist und die Zerstörung unterbunden hat. Viel Schaden…“
„Ist entstanden weil Eure Priester die verzweifelten Bürger aufforderten ihren Besitz an die Kirche zu überschreiben um die Erlösung zu erkaufen“, unterbrach der Präsident. Der Papst legte den Kopf leicht zur Seite und grinste wie ein Haifisch. „Gott kennt die Seinen. Er wird sich erinnern, wer an ihn geglaubt hat. Und wer seine Tempel niederbrannte.“
„Also beharrt Ihr noch immer darauf, dass dieses Ding da draußen die Rache Gottes ist?“
„Nicht die Rache, Präsident. Der Zorn. Vom Anführer unseres glorreichen Volkes hätte ich schon erwartet, dass Ihr den Unterschied kennt. Unser Gott…“
„Ihrer, nicht meiner“, stellte der Präsident richtig.
„Wie auch immer. Mein Gott ist ein Gott der Liebe. Doch für den Frevel, den er Tag für Tag erdulden muss, sandte Er seinen Leviathan um alles Sündige zu verschlingen. Zu lange hat Ihr Volk die Gaben Gottes ignoriert und sich nicht seinem Willen, der durch uns Priester gesprochen wird, widersetzt. Die Besucherzahlen der Tempel sprechen jedoch dafür, dass im Angesicht des Todes sich wieder viele von den Verlockungen des Teufels abwenden um Erlösung im Schoß Gottes zu finden.“
„Wie erklärt Ihr mir dann, das dieses Ding das gläubige Volk der Mith’ri’aeil vernichtet wurde? Mehr als die Hälfte des Jahres verbrachten sie in tiefer Meditation um zu Gott zu finden.“
„Sie wollten zu einem Gott finden, doch nicht dem wahren Gott. Deshalb hat Gott den Leviathan sie verschlingen lassen.“
„Also gibt es keine Hoffnung mehr?“
„Vielleicht findet Ihr die Hoffnung im Gebet, Präsident. Soll ich Ihnen die Beichte abnehmen?“ fragte der Papst spöttisch, wohl wissend wie die Antwort ausfallen würde.
„Ich werde nicht winseln oder flehen.“
„Wenn Ihr jetzt vor mir auf die Knie fallt und Eure Sünden bereut, kann ich Euch die Erlösung von den Sünden versprechen.“
„Sollte das Ende eintreten werde ich nicht knien sondern stehen!“
Der Papst stand auf und klopfte den Zucker von der Robe. „Ich sehe schon, ich habe meine Zeit verschwendet um hier her zu kommen. Ihr wollt nicht erlöst werden. Danke für das Gebäck.“
Der Präsident stand ebenfalls auf und deutete auf die Tür. „Verlasst mein Anwesen, bevor ich mich vergesse und die Handlungen der Kirche durch meine Armee unterbinden lassen. Der Tod kommt mit hoher Geschwindigkeit auf uns zu. Befreit das Volk statt es zu blenden!“
 
Mitten in der Nacht, der Präsident konnte nicht schlafen, traf sein militärischer Berater in Begleitung mehrer Generäle ein. Sie begaben sich in den Krisenraum im bombensicheren Bunker unter dem Anwesen. Bei der kommenden Gefahr würde der Bunker jedoch wenig Schutz bieten.
„Kommen wir gleich zur Sache. Die meisten von Ihnen wollen bestimmt zu ihren Familien um die letzten Stunden im familiären Kreis zu verbringen“, schlug der Präsident vor.
„Das Ding hat den äußeren Rand des Sonnensystem erreicht und unsere Horchstation aus Pluto sandte uns vor der Zerstörung noch die folgenden Bilder“, erklärte einer der Offiziere und schaltete eine Aufzeichnung auf den Hauptschirm.
Sie war aus dem Winkel der Horchstation aufgenommen worden, im linken unteren Bildrand war die Radarüberwachung eingeblendet. Zuerst schien alles normal, doch plötzlich begann die Radaranzeige zu verschwimmen. Von einem Moment auf den anderen erschien eine gewaltige Masse, sie schnell vorrückte. Im Kamerafeld begannen die Sterne zu verlöschen, als das Ding weiter vorrückte und schließlich den ganzen Wahrnehmungshorizont der Kamera ausfüllte. Das Bild war schwer zu beschreiben. Es war einfach, als wären die Sterne verschwunden und stattdessen dieses Ding an ihre Stelle getreten. Es schien einen gigantischen Schlund zu haben, der noch schwärzer erschien als die gesamte andere Masse. Das Ding rückte immer näher, bis plötzlich die Verbindung abriss. Der Bildschirm zeigte nur noch ein statisches Rauschen.
Niemand im Raum sagte etwas. Diese Bilder trugen nicht unbedingt weiter zum Verstehen des Phänomens bei, das wohl bald die Zivilisation vernichten würde.
„Einer unserer Kreuzer war zufällig in der Nähe und hat das Phänomen aus einem anderen Winkel aufgenommen. Der Kontakt zu dem Schiff riss wenige Minuten später ab, obwohl es sich mit vollem Schub auf die Hyperraumkoordinaten bei Io zu bewegte. Darum wissen wir jetzt, dass sich das Phänomen mit knapp 230.000 Kilometern pro Stunde auf uns zu bewegt, bei Kontakt mit Himmelskörpern jedoch seinen Vormarsch kurz einstellt. So bleiben uns noch etwas zwei Stunden mehr als erwartet bis es die Erde erreicht“, erklärte ein General und schaltete auf eine anderen Aufnahme um.
„Mein Gott, dieses Ding tranchiert den Planeten ja geradezu“, kommentierte der Militärberater das Geschehen. Der Planetoid Pluto wurde hier vor ihren Augen durch eine Art Laser in kleinere Fragmente geteilt, die dann in dem Schlund des Dings verschwanden.
„Optionen, meine Herren?“
„In Anbetracht der Tatsachen schlagen wir einen konzentrierten Nuklearschlag mit allem, was uns zur Verfügung steht, vor. Wir erwarten uns zwar keinen großen Erfolg, doch es ist unsere Pflicht es zu versuchen“, antwortete der General.
„Unsere Wissenschaftler gehen im besten Fall davon aus, dass dieses Ding dann um ein paar Minuten verlangsamt wird.“
„Dann sind wohl weitere Diskussionen sinnlos. General, führen sie diesen Atomschlag aus, mit allem was uns zur Verfügung steht. Ich werde danach zurücktreten und die Regierung auflösen“, befahl der Präsident.
„Wir halten das für keine gute Idee, Sir. Die letzten Stunden wären dann von Anarchie und Zerstörung bestimmt. Die Bürger, die keinen Halt im Glauben gefunden haben, klammern sich an die Hoffnung, dass die Erdregierung im letzten Moment noch einen Trumpf aus dem Ärmel zieht. Wenn wir diese Bürger enttäuschen wird sich deren Angst in Wut gegen die, die Erlösung im Glauben gefunden haben, entladen“, empfahl der Militärberater.
„Wie auch immer. Führen Sie den Militärschlag aus. Dann sehen wir weiter.“
Die Offiziere hatten inzwischen alles vorbereitet, die Koffer mit den Schlüsselcodes der Raketen und Sprengköpfe an Bord der Kampfschiffe standen bereits. Der Präsident gab ohne weitere Umschweife seine Freigabecodes ein und unterzog sich den verschiedenen Testverfahren zur Bestätigung seiner Identität und der Freigabe der Einsatzbefehle. Mit der letzten Eingabe ließ sich der Präsident schwer in seinen Sessel fallen: „Möge Gott uns allen gnädig sein. In solchen Zeiten wünschte ich die Religionskriege des letzten Jahrhunderts hätten nicht alle Religionen außer dem katholischen Buddhismus ausgelöscht…“
 
Erneut hatte sich die Erdregierung in dem Bunker unter dem Präsidentenpalast versammelt um den verzweifelten Gegenschlag gegen den Leviathan – die Medien hatten die Bezeichnung des Angreifers mittlerweile übernommen – zu verfolgen. Ein direkter Kommunikationslink auf die Kommandobrücke der Verteidigungsanlage im Asteroidengürtel mit dem klingenden Namen Mjolnir wurde gerade ausgebaut. Zuerst erschien auf den Bildschirm nur die verschwommene Ansicht der Feuerleitzentrale, die Funkverbindung war ebenfalls mangelhaft. Erst das Zwischenschalten eines weiteren Datensatelliten aus dem Orbit des Mars löste dieses Problem und schuf einen klaren Kommunikations- und Videokanal. Admiral Sven Brückner meldete dem Präsidenten die Situation. „Alle Atomwaffen, ICMB, Lenkraketen und Sprengköpfe sind in Position gebracht. Die Feuerleitzentrale von Mjolnir ist mit vierzig Kreuzern, Schlachtschiffen und strategischen Bombern verbunden. Hinzu kommt die Feuerkraft der Ringanlage. Wir sind bereit auf Ihr Signal.“
„Fahren Sie fort, Admiral. Gott mit uns!“ befahl Präsident Basar nach kurzem Zögern. Der Admiral gab daraufhin ein Handzeichen an seine Leitoffiziere, der Funkverkehr verdichtete sich. Alle Kampfschiffe und Silos begannen mit dem Countdown.
Die Anspannung im Bunker stieg. Einige Geladene packten verkrampft die Tischplatte und reckten sich nach vorne um einen besseren Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Als der Countdown die Drei erreichte, schaltete Admiral Brückner auf Außenansicht. Der Leviathan war bereits in Sichtweite und verdeckte das Universum hinter sich. Wobei natürlich unklar war, ob hinter dem Angreifer überhaupt noch etwas war außer gähnender Leere.
Die Kampfschiffe und Abwehranlagen setzten ihre gesamte Feuerkraft frei. Neben den genannten Atomwaffen setzten die Kampfschiffe im Nahbereich des Leviathans auch ihre normalen Bordgeschütze und Kampfflieger ein, die kleinere Ausführung von Atomwaffen unter ihren Flügeln trugen.
Im linken unteren Bereich des Bildschirms erschien die Radaransicht des Sektors. Die Raketenschweife der Atomwaffen überdeckten nun ein Drittel der gesamten Fläche und verschwammen zu einem großen Radarimpuls. Davor kreuzten die agilen Jagdflieger wie kleine Mücken.
„Aufschlag in drei Sekunden…zwei…eins...“, dokumentierte der Admiral. Der Reihe nach verschwanden die Radaranzeigen der Raketen. Doch es erfolgten keine Detonationen, keine Strahlungsblitze störten die Aufnahme. Die Atomwaffen hörten einfach auf zu existieren. Sie verschwanden ohne Schaden anzurichten.
Der Leviathan erreichte nun die ersten Asteroiden. Er verlangsamte seinen Vormarsch und brachte wieder seinen Laser zum Einsatz um die Felsbrocken zu zerkleinern bevor er sie verschlang. Auch ein Kampfschiff kam in den Laser und wurde einfach mittendurch getrennt. Die hinter Hälfte stürzte steil nach unten, soweit man im Weltraum von einem Unten sprechen konnte, während die vordere Hälfte mitsamt den Mannschaftsquartieren und dem Großteil der Besatzung vom Leviathan verschlungen wurde.
„Präsident“, meldete sich Admiral Brückner zu Wort, „der Angriff war ein Fehlschlag. Ich erbitte den Befehl zur Evakuierung von Mjolnir und den Rückzug der Flotte zum Mars und der Erde.“
„Bestätigt, Admiral. Protokoll „verbrannte Erde“ tritt hiermit in Kraft“, antwortete der Stabschef der bewaffneten Truppen. Der Admiral nickte erleichtert und gab den Befehl zum Räumen der Anlage.
„Minister, Sie wissen schon, dass sie den Besatzungen der Schiffe und der Anlage so nur ein paar Stunden erkauft haben? In wenigen Stunden wird der Leviathan den Asteroidengürtel verschlungen haben und sich dem Mars näher. Und dann der Erde.“
„Jeder Soldat soll das Recht haben die letzten Momente mit seiner Familie zu verbringen. Dasselbe gilt für jeden anderen Bürger, auch Sie hier“, entschied der Präsident. „Hiermit löse ich die Regierung auf. In den Medien soll nichts davon verbreitet werden um die befürchtete Anarchie zu vermeiden. Allerdings sollen Polizei und Hilfstruppen in Alarmbereitschaft versetzt werden. Es wird bestimmt zu Ausschreitungen kommen. Ich bedanke mich für Ihre Zusammenarbeit, Ladies und Gentlemen. Wir sollten den Rat des Papstes beherzigen und nun beten. Mehr bleibt uns nicht übrig.“
 
Wenige Stunden später fiel der Mars der Vernichtung zum Opfer. Die Flotte stellte sich ihm zwar entgegen, wurde jedoch ohne ersichtliche Schäden am Ziel anzurichten verschlungen. Kurz darauf wurden Veränderungen in der Gravitation auf der Erde festgestellt. Der Leviathan kam immer näher und ließ die Erde seine Ausläufer spüren.
Präsident Basar war allein im Präsidentenpalast verblieben. Er hatte nie geheiratet, keine Kinder und keine Eltern mehr.
So war er überrascht als plötzlich der Papst vor seiner Tür erschien. Auch sie war allein. „Ich störe Sie doch nicht in Ihrer Einsamkeit.“
„Ich hätte erwartet Ihr verbringt die letzten Stunden im Reichtum des neuen Vatikan und studiert die geraubten Kulturschätze und Kunstwerke ein letztes Mal“, spottete Basar. Der Papst lachte kalt und setzte sich vor den offenen Kamin. Der Präsident setzte sich ihr gegenüber und faltete die Hände vor dem Bauch.
„Im Angesicht des Todes sind materielle Dinge nicht mehr von Wert. Ich glaube zwar an ein Leben nach dem Tod, doch wirft sich mit die Frage auf ob es nun, da die totale Zerstörung des Universums bevorsteht, ein Leben danach geben wird?“
„Gott findet einen Weg seine Schäfchen zu retten. Das haben Sie doch in Ihrer letzten Ansprache an die Menschen gesagt. Doch glauben Sie daran?“
„Ich stelle nicht meinen Glauben in Frage, Präsident, sondern Ihren.“
„Ich habe die Regierung inoffiziell aufgelöst. Niemand mehr ist hier. Deshalb müssen Sie mich nicht mehr Präsident nennen. Aleksandr genügt.“
„Nur wenn du mich dann Emily nennst, Aleksandr.“
„Also gut, Emily, weshalb bist du dann zu mir gekommen?“
„Gott wird nur die erretten, die wirklich gläubig sind. Die meisten meiner Mitarbeiter – Kardinäle, Bischöfe, Priester – werden wohl nicht dazu gehören. Sie frönen zu sehr weltlichen Dingen als die Erleuchtung in Meditation zu suchen.“
„Buddha sagte: Meditation bedeutet Weisheit, mangelnde Meditation bedeutet Ignoranz. Wisse was dich voranbringt oder hemmt.“
„Damit sind die meisten in der katholisch-buddhistischen Kirche Ignoranten“, bestätigte der Papst. „Nichtsdestotrotz. Ich glaube für dich besteht noch Hoffnung. Im Angesicht des bevorstehenden Todes sollten zwei einsame Seelen sich vereinen um die Hoffnung auf Erlösung zu bewahren. Da dich deine Leute ebenso verlassen haben wie mich meine, wäre es nur logisch wenn wir uns gegenseitig beistehen. Wir sind beide allein, ohne Familie.“
„Im letzten Moment greift der Ertrinkende wohl nach jedem Grashalm“, spottete Basar.
„Nicht ich bin am Ertrinken. Eher bin ich der Rettungsring für dich. Ergreife die Chance, bevor die Wellen sich über deinem Kopf schließen“, sagte der Papst und streckte ihre Hand aus. Alle Ringe und teure Kleidung fehlten. Ein einmaliger Anblick, im Verhältnis zum Protz, der die sonstigen Treffen begleitet hatte.
Zögernd ergriff Basar die Hand, sich selbst wohl nicht im Klaren warum. Sie war angenehm warm, wenn er sich auch vor den fetten Fingern etwas ekelte. Der Papst lächelte freundlich. „Lass uns beten.“
Ein Krachen ertönte und ein Ruck ging durch das Haus. Beide sprangen erschrocken auf.
„Es beginnt!“ rief der Papst panisch.
Knackend erwachte ein Bildschirm über dem Kamin. Auf einem schlechten Kanal meldete sich Admiral Brückner, einer der wenigen Menschen, der trotzdem auf Posten geblieben war.
„Präsident Basar. Der Leviathan hat beinahe im Orbit des Mondes gestoppt und einen starken Strahl auf die Erde gerichtet.“
„Der Laser?“
„Negativ. Ich errechne gerade die Zielkoordinaten. Es scheint aber eher ein Erfassungsstrahl zu sein“, erklärte der Flottenoffizier und machte ein paar Eingaben. „Die Koordinaten sind 21° 25′ N, 39° 50′ O. Ein Ort in der verstrahlten Zone. Ich vergleiche die Werte mit den Vorkriegskarten.“ Einen Moment brach die Verbindung ab, doch ein anderer Kanal stellte die Verbindung wieder her. „Mekka.“
„Die heilige Stadt des Islam. Eines der ersten Opfer im großen Glaubenskrieg. Dort sind nur Ruinen“, sagte der Papst.
„Doch der heilige Stein der Kaaba war ohne einen Kratzer, wenn ich mich richtig erinnere.“
„Präsident, ich bitte um Erlaubnis eine Aufklärungsdrohne zu den Koordinaten zu schicken. Irgendwas tut sich dort. Der Leviathan scheint sich von der Erde wegzubewegen“, meldete der Admiral. Sofort gab Basar den Befehl die Drohne zu starten.
 
Die Drohne überflog Wüstenlandschaften, unterbrochen von ausgetrockneten Oasen, Stadtruinen und Fahrzeugwracks. Über Mekka hing ein mildgrüner Lichtschein, der die Steuerungssysteme der Drohne bei der Annäherung störte. Mehrere Kilometer vom Ziel entfernt fiel die Kontrolle komplett aus und die Drohne stürzte ab. Die letzten Bilder, im Weitwinkel, ließen die Kaaba erkennen. Mehrere Schatten standen rund um den heiligen Stein, der die Überreste eines Asteroiden enthielt.
Eine später gestartete Drohne schaffte es schließlich die Ruinen der großen Moschee zu überfliegen. Der Würfel der Kaaba war verschwunden. Kurz darauf setzte sich der Leviathan wieder in Bewegung und entfernte sich von der Erde.
 
Das Kabinett und die militärischen Berater hatten sich wieder eingefunden um die wundersame Rettung der Erde, und des restlichen Universums zu besprechen. Der Papst war ebenfalls geladen um die theologischen Umstände zu erläutern.
Auf dem Bildschirm im Besprechungsraum war die letzte verschwommene Aufnahme der ersten Aufklärungsdrohne zu erkennen. Die Schatten war mit roten Kreisen markiert.
„Möglicherweise stellen diese Schatten eine unbekannte Form außerirdischen Lebens dar. Weshalb sie auf dem Weg hier her jedoch alles zerstört haben ist jedoch eine Frage, auf die wir keine Antwort haben. Dass sie zu dieser alten Ruine gekommen sind wirft ebenfalls Rätsel auf. Möglicherweise hat dieses außerirdische Volk, sollte es einen repräsentieren, aus irgendeinem Zufall heraus ebenfalls eine Art islamischen Glaubens entwickelt. Eine Pilgerschaft würde dann zu den Grundprinzipien gehören. Es stellt sich dann nur die Frage, warum jetzt. Und weiters ob nun andere kommen werden. Ungeklärt bleibt dabei erneut warum sie auf dem Weg hier her alles zerstört haben“, erklärte der Papst.
„Mumpitz“, äußerte sich der Innenminister. „Mir scheint es eher sie waren auf der Suche nach dem Inhalt der Kaaba. Seine Herkunft wurde nie geklärt, die islamische Welt hat auch nie eine wissenschaftliche Untersuchung zugelassen. Und nach dem Atomschlag auf Mekka war dies nicht mehr interessant und die Strahlung hätte jede Messung verfälscht. Nach der Niederlage wurde der Islam ausgelöscht und es gibt keine bekannten Anhänger. Wohl aus dem Grund, weil sie sofort verfolgt werden würden um die Gräuel eines neuen Religionskriegs im Keim zu ersticken!“
„Soll das vielleicht eine Kritik an der Einheitsreligion sein?“ fragte der Papst. Der Minister schwieg jedoch dazu.
„Wilde Theorien bringen uns nicht weiter. Fakt ist: der Stein aus der Kaaba ist verschwunden und die anderen außerirdischen Völker sehen die Rettung der Erde skeptisch. Spione berichten von Gerüchten über eine geschickte Verschwörung unsererseits, die die Vernichtung der Mith’ri’aeil zum Ziel hatte. Einige rüsten nun auf um einen Erstschlag gegen uns zu führen, falls erneut ein Leviathan auftauchen sollte. Unsere Politik der Beschwichtigung und der Rechtfertigung trifft da eher auf taube Ohren.“
„Die meisten der gottlosen Spezies, von denen wir hier sprechen, haben keine Ohren!“ korrigierte der Papst zornig. „Sie sollten lieber die Gnade Gottes, die er uns gewährt hat, loben, statt ihn zu spotten und seine Kinder zu bedrohen. Den nächsten Leviathan werden wir bestimmt nicht mehr aufhalten können.“
„Da muss ich dem Papst leider zustimmen. Die Kaaba ist leer. Der nächste Zorn Gottes wird uns bestimmt verschlingen. Im Angesicht der Vernichtung fanden viele zur Kirche zurück“, sagte der Innenminister.
„Trotzdem sind die Gefängnisse voll mit Personen, die sich gegen die Kirche wandten und Gotteshäuser besetzten, zerstörten und Gläubige töteten. Ich sage es nicht gerne, doch in den nächsten Monaten werden Sie als Präsident viele Todesurteile unterzeichnen müssen“, sagte Admiral Brückner und legte seinen Bericht über die Gefängnisse auf der Erde vor. Dabei war die Erfassung der Insassen des Mondes, der größten und einzigen verbliebenen Gefängniskolonie noch nicht beendet.
„Ich überlege eine Generalamnestie zu geben, zumindest für kleinere Vergehen. Jeder Hoffnung beraubt und zu rational um sich dem Glauben zuzuwenden hätte jeder seiner Angst irgendwie Luft gemacht. Mord und Todschlag sind zwar keine Ausreden, doch in kann mich in die Lage der Täter versetzen. Allein zu sein im Angesicht des kommenden Endes kann sehr bedrückend sein. Denn hier werden die Täter gegen die Kirche angeklagt, doch vergessen wir, dass ebenso religiöse Eiferer mit Mobs durch die Straßen zogen um eben Rationale und Hoffnungslose zu jagen und zu töten. Diese Personen wurden aber selten verhaftet.“
„Dann wäre da noch der Punkt der beschlagnahmten Güter der Kirche“, meldete sich der Papst.
„Die verbleiben vorerst im Staatsbesitz und werden bei gegebener Zeit zurückgegeben. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Damit ist die Sitzung beendet. Der Tag war lang, und wir haben einen Planeten wiederaufzubauen. Außerdem ist da draußen nun ein anscheinend leerer Raum. Die Zeit ruft nach Pionieren, die in ihm vordringen und die Leere vielleicht widerlegen.“

Der Zorn Gottes ist eine alternative Version der Geschichte "Die Flut". Nicolai Rosemann, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.08.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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