Manfred Bieschke-Behm

Zwei Briefe



„Pass doch auf, wo Du hinfällst“ beklagt sich der blaue Briefumschlag und fügt hinzu: „Du tust mir weh!“„Entschuldigung“ raunt der rosa Briefumschlag und ergänzt: „In der Dunkelheit des Postkastens kann ich keinen Einfluss nehmen auf wen ich falle. Es ist nicht meine Absicht irgendjemanden weh zu tun.“ erwidert vorwurfsvoll der rosa Briefumschlag. „Ist schon Okay! Ich bin nur eben erschrocken. Ich habe nicht damit gerechnet dass es mich trifft.“entgegnend sich selbst bemitleidend der blaue Briefumschlag„Du scheinst nicht viel Erfahrung im Umgang mit einem Briefkasten zu haben?fragt der rosa Briefumschlag keck.„Wie denn auch! Ich bin zum ersten Mal in einem Briefkasten gelegen. Warst Du schon öfter hier?“ entgegnet leicht beleidigt der blaue Briefumschlag. „Nein, natürlich nicht! ich habe Informationen von anderen rosa Briefumschlägen und bin deshalb mit der Situation vertraut.“versucht der rosa Briefumschlag die angespannte Situation zu entkräften. Mit„Ach so. Na dann ist ja gut“ reagiert der blaue Briefumschlag und fährt fort: „Wenn ich Dich so betrachte, muss ich sagen, dass Du sehr attraktiv bist.“Der rosa Briefumschlag ist überrascht und weiß gar nicht so recht, wie er reagieren soll und stammelt: „Jetzt machst Du mich aber verlegen“Der blaue Briefumschlag reagiert ganz aufgeregt:Nein wirklich! Schon allein Dein äußeres Erscheinungsbild… Deine Hautfarbe und dann die Schmuckelemente die Dich zieren… einfach toll!“„Es freut mich, dass ich Dir gefalle“erwidert immer noch verlegen der rosa Briefumschlag und denkt, nur gut, dass es hier im Postkasten dunkel ist. Wäre es heller, würde der blaue Briefumschlag jetzt sehen, wie sich mein rosa in ein dunkles Purpurrot wandelt. Um die Situation für sich zu retten sagt der rosa Briefumschlag: „Aber auch Du gefällst mir, so wie Du aussiehst! Dein Blau empfinde ich als sehr angenehm und die Briefmarke, die Dich ziert, passt gut zu Dir.“„Meinst Du?“fragt der blaue Briefumschlag neugierig nach. „Ja finde ich schon“ reagiert der rosa Briefumschlag und fügt hinzu: „Auf der Briefmarke erkenne ich eine weit aufgeblühte rote Rose. Hat das was zu bedeuten?“„Kann schon sein?“antwortet der blaue Briefumschlag und tut geheimnisvoll.
„Wie? Kann schon sein?Du weißt doch mehr, als Du mir sagen willst oder? fragt der rosa Briefumschlag. „Hast Du schon mal was von einem Briefgeheimnis gehört?“ fragt der blaue Briefumschlag mit einem scharf gefärbten Unterton. „Ach komm! Wir unter uns brauchen doch nicht das Briefgeheimnis wahren – oder?“versucht der rosa Briefumschlag den blauen Briefumschlag aus der Reserve zu locken. Der blaue Briefumschlag will sich auf die Versuchung nicht einlassen und lenkt das Gespräch auf ein anderes Thema. „Ich betrachte gerade Deine Briefmarke und muss feststellen, dass ich sie sehr interessant und außergewöhnlich finde.“ „Was findest Du an meiner Briefmarke den so interessant und außergewöhnlich“ fragt der rosa Briefumschlag nach. „Deine Briefmarke sieht aus wie handgemacht. Meine Briefmarke entspricht doch eher der handelsüblichen Form.“ „Ja, das stimmt, meine Briefmarke ist keine gekaufte. Meine Briefmarke hat die achtjährige Lisa selbst gemalt“ klärt der rosa Briefumschlag auf. „Ich habe noch nie einen Briefumschlag gesehen, auf der sich eine selbst gemalte Briefmarke befand“ berichtet der noch immer staunende blaue Briefumschlag. „Wo soll denn Deine Reise hingehen? Für wen ist Deine Botschaft bestimmt?“ fährt der blaue Briefumschlag fragend fort. „Meine Botschaft ist für den Weihnachtsmann bestimmt“ antwortet der rosa Briefumschlag und versetzt damit den blauen Briefumschlag ins Staunen. Irritiert reagiert der blaue Briefumschlag und entsprechend fragt er nach: „Moment ma! – Habe ich das jetzt richtig verstanden? Deine Botschaft ist für den Weihnachtsmann bestimmt? Jetzt im August?“ „Ja, sag ich doch. Mich wundert es auch ein wenig, dass jemand im August an den Weihnachtsmann schreibt. Aber scheinbar ist für den Briefschreiber der Termin gerade recht.“ reagiert der rosa Briefumschlag ein wenig genervt. „Was für eine Botschaft transportierst Du denn? bohrt der blaue Briefumschlag neugierig nach. „Eigentlich darf ich Dir das ja nicht sagen. Aber bei Dir mache ich einen Ausnahme.“ flüstert vertrauensvoll der rosa Briefumschlag. „Mach es doch nicht so spannend. So ein großes Geheimnis wird es ja wohl nicht sein.“ reagiert der blaue Briefumschlag etwas abgehoben. „Damit die anderen Briefe und Karten hier im Kasten nichts von dem Geheimnisverrat mitbekommen, werde ich Dir den Inhalt nur zuflüstern. ist das ok für Dich?“ fragt der rosa Briefumschlag sich ängstlich umschauend. „Ja, ja - ist in Ordnung. Aber nun fange doch endlich an mir den Brieftext zu verraten“. Der rosa Briefumschlag will den blauen Briefumschlag noch etwa auf die Folter spannen und erzählt zunächst, dass Lisa, die Briefschreiberin, den Brief mit Bleistift geschrieben und als Schreibunterlage eine Seite aus ihrem Schreibheft herausgetrennt hat. Eigentlich interessieren den blauen Briefumschlag die Umstände nicht. Er möchte jetzt endlich wissen, was Lisa an den Weihnachtsmann geschrieben hat, und drängelt deshalb: „Ich bitte Dich, fang endlich an und spanne mich nicht länger auf die Folter. Ich bin zum Platzen neugierig.“ Der rosa Briefumschlag lässt sich nun nicht mehr länger bitten und fängt an den Brief flüsternd zu zitieren:

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Lieber Weihnachtsmann,
sicherlich wunderst Du Dich, dass Du Post von mir bekommst. Ich weiß, dass es erst August ist und bis Weihnachten noch viel Zeit ist. Aber ich kann und will nicht länger warten.
Ich wünsche mir doch sooooooooooooooo sehr eine Puppe mit echtem Haar, die „Mama“ sagen kann und wo die Augen auf und zugehen. Ja, so eine Puppe möchte ich gerne haben. Alle meine Freundinnen haben so eine Puppe, nur ich nicht.
Lieber Weihnachtsmann, ob Du mir meinen Wunsch schon im August erfüllen kannst? Ich kann wirklich nicht bis Weihnachten warten.
Ich verspreche Dir auch für den Rest des Jahres ganz brav zu sein. Ich werde der Mutti helfen und in der Schule ganz doll aufpassen. Und sollte ich das mit dem brav sein und dem aufpassen Mal vergessen, musst Du mich an mein Versprechen erinnern. Versprochen?
Lieber Weihnachtsmann ich weiß nicht wo Du wohnst und deshalb habe ich auf den Umschlag nur „An den Weihnachtsmann“ geschrieben. Eine echte Briefmarke habe ich auch nicht, deshalb habe ich eine Briefmarke mit meinen Buntstiften auf den Umschlag gemalt. Das ist doch ok für Dich – oder?
 
Lieber, aller- allerliebster Weihnachtsmann bitte, bitte erfühle mir meinen größten Wunsch.
 
Ich drücke Dich ganz doll
Deine Lisa
 
PS: Wenn Du mir meinen Wunsch schon jetzt erfüllst, werde ich zu Weihnachten keine weiteren Wünsche äußern. Versprochen.

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 „So blauer Briefumschlag, nun weißt Du was Lisa geschrieben hat – bist Du nun zufrieden?“ Der blaue Briefumschlag mag sich nicht gleich zu äußern. Er muss erst überlegen, was er sagen will. Schließlich sagt er: „Das ist schon ungewöhnlich, was ich da hören musste. Ich bin mir nicht sicher, ob Lisa ihren Wunsch erfüllt bekommt. Was meinst Du?“ Auch der rosa Briefumschlag ist sich nicht ganz sicher, wie die Geschichte ausgehen wird. Sie hofft, dass Lisa ihre Puppe bekommt, weiß aber auch, dass nicht alle Wünsche der Menschen in Erfüllung gehen. Deshalb reagiert der rosa Briefumschlag entsprechend und sagt: „Ich werde mein möglichstes tun, versprechen kann ich nichts.“ „Ja mehr kannst Du nicht machen. Wir Briefumschläge sind nur dazu bestimmt Botschaften zu transportieren. Nicht für mehr und nicht für weniger“ lautet die weise Aussage des blauen Briefumschlages. „Apropos Botschaft – Was für eine Botschaft sollst Du denn transportieren?“ will der rosa Briefumschlag wissen. „Ich?“ fühlt sich der blaue Briefumschlag angesprochen, „ich transportiere einen Liebesbrief“. „Oh wie romantisch. Einen Liebesbrief…“ schwärmt der rosa Briefumschlag. „Jetzt begreife ich auch die rosenverzierte Briefmarke“ setzt der rosa Briefumschlag noch nach. Der blaue Briefumschlag wiegt sich in der Hoffnung, dass sein Briefinhalt Geheimnis bleiben kann, denn der rosa Briefumschlag bleibt stumm. „Is was?“ fragt der blaue Briefumschlag nach einer Weile der Geduld. „Was hast Du gesagt?“ fragt der rosa Briefumschlag zurück. Der rosa Briefumschlag ist immer noch von der Tatsache, dass der blaue Briefumschlag einen Liebesbrief transportiert, wie betäubt. Der rosa Briefumschlag hat seine Fassung wiedergefunden und möchte natürlich den Briefinhalt nun noch schneller wissen, als ohnehin schon und sagt: „Ich war so frei, und habe Dir Lisa´s Briefinhalt anvertraut und nun gehe ich davon aus, dass auch Du mir Deinen Briefinhalt erzählst…“ Der blaue Briefumschlag windet sich ein wenig, sieht dann aber ein, dass er wohl nicht darum herum kommt seinen Briefinhalt mitzuteilen, obwohl er ihn lieber für sich behalten würde.
Gerade als er anfangen will zu erzählen, fällt eine eingeworfene Postkarte auf sie Beide drauf. Gottseidank bleibt die Karte nicht breitseitig auf beide liegen, sondern rutscht wegen der glänzenden Oberfläche rechts zur Seite weg. Nachdem die Schrecksekunde überwunden war, fängt der blaue Briefumschlag an, den Briefinhalt preiszugeben.


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Liebe Melanie,
uns trennen erst sechs Stunden und doch kommt es mir vor, als wäre es bereits eine Ewigkeit. Ich vermisse Dich. Ich vermisse Dich so sehr. Meine Sehnsucht ist unerträglich. Ich zähle die Stunden, bis wir uns wiedersehen. Geht es Dir genauso?
Ach Melanie, was bin ich glücklich Dich kennen gelernt zu haben. Du bist mein Alles. Das Wichtigste in meinem Leben. Ich liebe Dich!
Ich sitze auf dem Balkon und blicke zum Himmel und beobachte die funkenden Sterne. Machst Du das auch gerade? Wenn ja, weiß ich, dass sich unsere Blicke am Sternenfirmament treffen. Was für ein Glücksgefühl!
Ach wenn es doch nur schon Samstag wäre. Ich kann es kaum aushalten noch so lange warten zu müssen, bis ich Dich wieder in meine Arme schließen kann. Liebe Melanie ich sende Dir tausend Küsse und mehr.
 
In  ewiger Liebe Dein
Kevin

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Der blaue Briefumschlag ist vom Briefinhalt genauso gerührt wie der rosa Briefumschlag. So etwas Schönes haben beide noch nie gehört. Nach einer kurzen Pause fragt der rosa Briefumschlag „Gibt es Liebe nur bei Menschen?“ „Das weiß ich nicht“ antwortet der blaue Briefumschlag und schaut dabei den rosa Briefumschlag seltsam an. „Ich glaube die Liebe ist allgegenwärtig, sie kann jeden treffen“ und er fügt hinzu „Genauso ist das mit den Wünschen. Sie kennen keine Altersbegrenzung, keine Hautfarbe und sind unabhängig von der Herkunft und dem Stand.“ „Das hast Du jetzt aber toll gesagt. Du bist ja ein richtiger Philosoph.“ entgegnet der rosa Briefumschlag voller Bewunderung.
 
Der rosa Briefumschlag und der blaue Briefumschlag liegen jetzt stumm nebeneinander. Sie haben zunächst unglücklich zueinandergefunden und sich jetzt unendlich vertraut. Gerade, als sie ihr Gespräch wieder aufnehmen wollen, öffnet sich die Briefkastenluke und der gesamte Postkasteninhalt verschwindet in einem Postsack. Es reicht lediglich noch für den gegenseitigen Wunsch für eine glückliche Reise und der Hoffnung, dass die Botschaften, die sie zu überbringen haben, ein glückliches Ende finden.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.08.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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