Fred Schmidt

Anders als erwartet

 
Oliver wurde im Dezember 1968 geboren. Es war sein zweites Kind nach seiner Tochter Stephanie, die 1963 zur Welt kam. Zu jener Zeit arbeitete er als Dozent an der Uni Köln, wo er englische Sprache, Linguistik und Literatur unterrichtete. Gerade war er mit seiner Familie in ein neues Haus in Rheindorf, einem Stadtteil von Leverkusen, etwa 25 km von Köln umgezogen, aber die Arbeiten waren dort noch nicht fertig und die Anstreicher noch im Hause. Die Geburt verzögerte sich, und sie warteten ungeduldig auf die ersten Wehen und die Ankunft des Kindes. Der Tag, für den die Geburt berechnet worden war, war der 8. Dezember, aber das Kind ließ sich sehr viel Zeit.
Am 18. Dezember, als er mittags von seinen Universitätskursen nach Hause kam, kam ihm der Wagen der Anstreicher mit seiner Frau entgegen, deren Wehen sehr heftig eingesetzt hatten, und der Weg zur Uniklinik Köln war noch sehr weit. Seine Frau stieg in seinen Wagen um, und er gab Gas und brauste mit aller Geschwindigkeit los. Da beim zweiten Kind alles viel schneller geht, kamen die Wehen in immer kürzeren Abständen und immer stärker, und das Baby drängte nach draußen, als sie noch ungefähr einen Kilometer von der Klinik entfernt waren, so dass er nicht mehr auf die Verkehrsampeln achtete und seiner Frau Mut zusprach, noch ein paar Minuten durchzuhalten.
Fünf Minuten nachdem man seine Frau in den Kreissaal der Klinik gebracht hatte, sah er eine Krankenschwester kommen, die im Folgendes sagte:
- Die Geburt ist problemlos verlaufen. Sie haben einen Sohn. In ein paar Minuten kommt ein Arzt, der ihnen alles erklären wird. –
Das fand er merkwürdig. Aber es half nichts, er musste warten, bis der Arzt kam. Dieser sagte ihm: 
-     Die Geburt verlief schnell und sehr gut. Ihrer Frau geht es gut. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Ihr Sohn mit Downs zur Welt gekommen ist. Außerdem ist er zu klein und sein Kopf ist zu groß. Wir mussten ihn in die Kinderklinik verlegen, weil er noch ieinige Zeit in einem Brutkasten zubringen muss. Jetzt können Sie zu Ihrer Frau.
Seine Frau war voller Unruhe. Man hatte ihr das Baby nur von Weitem gezeigt und ihr ohne weitere Erklärungen gesagt, das Kind habe einen Gehirnschaden und müsse sofort in die Kinderklinik verlegt werden. Da sie ahnte, dass etwas überhaupt nicht stimmte, ohne dass sie Einzelheiten wusste, erwartete sie ungeduldig ihren Mann, dem jetzt die überaus schwierige Aufgabe zufiel, ihr zu erklären, dass ihr Sohn an Mongolismus litt, ohne dass er selbst wusste was dieser Terminus alles implizierte.
Seine Frau konnte schnell wieder nach Hause entlassen werden, während Oliver noch einige Wochen in der Kinderklinik bleiben musste, wo man ihm erlaubte, ihn zu besuchen. So konnte er ihn staunend im Brutkasten betrachten, und er schien ihm tatsächlich sehr klein, aber auch sehr niedlich. Sein Kopf erschien ihm überhaupt nicht zu groß. Es handelte sich keineswegs um einen Wasserkopf. Alles in allem glich Oliver sehr seiner hübschen Schwester,  als sie noch ein Baby war, und jetzt war sie schon fünf Jahre alt war.
Für das Ehepaar fing jetzt eine schwere Zeit an, denn sie mussten sich an die Umstände gewöhnen und sie akzeptieren. Sie mussten es lernen zu akzeptieren, dass sie ein geistig behindertes Kind hatten. Es musste ihnen bewußt werden, dass sich ihr Leben radikal verändert hatte.
 
 
 
                                                                  

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.08.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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