Christa Astl

Märchenhaftes Kennenlernen

 
 
Es war einmal eine Frau, die lebte mit ihrem Mann und den Kindern in einem großen, schönen Haus. Die Kinder waren schon groß, gingen ihrer Arbeit nach, kamen abends irgendwann nach Hause, am Wochenende wollten sie ausschlafen und standen meist erst zum Mittagessen auf. Der Mann hatte eine gute Rente, so dass sie sich einiges hätten  leisten können, doch er war am liebsten daheim.
Eigentlich hätte die Frau ein schönes, angenehmes Leben gehabt, wenn, ja wenn sie zufrieden gewesen wäre. Doch das war sie nicht. Das ewige Einerlei eines Alltags war ihr zu langweilig, alles ödete sie an. Sie fühlt sich im Haus, in den täglichen Pflichten wie in einem Netz gefangen, in einen Käfig gesperrt. Sie wollt das Leben, das um sie ablief, miterleben, die Welt nicht nur im TV- Format sehen, nicht nur Menschen durch die Schlagzeilen in der Zeitung kennen lernen, sondern selber mit ihnen sprechen, ihre eigenen Gedanken, Empfindungen mitteilen und auch selber angehört, verstanden werden. Aber all dies war nur ihr Wunsch. Sie konnte nicht sprechen, denn es gab niemanden, der ihr zuhören wollte. Sie wurde nicht verstanden und verstand nicht. Vielleicht, weil sie einen Hörfehler hatte und dadurch Schwierigkeiten, dem Gespräch zu folgen, vielleicht auch, weil sie zu viel hinterfragte, nach dem Sinn des Gesagten suchte, und darauf bekam sie keine Antwort. –
So suchte sie Antworten in sich selber, die neue Fragen aufwarfen. Sie entglitt der Gemeinschaft, indem sie sich mehr und mehr zurückzog. Ihre Gedanken begann sie aufzuschreiben und zu verschicken, so wurden sie wenigstens von fremden Menschen gelesen und manchmal sogar verstanden. Und diesen Menschen wandte sie sich zu, mit dem Schreiben lernte sie viele Leute kennen, manche Freundschaften wurden aufgebaut. Die Familie grenzte sie aus. Sie machte ihre nötige Hausarbeit, sonst fühlte sie sich überflüssig. Da verschloss sich ihr Mund, kaum reichte es noch für Belangloses, Banales. Sie versank in ihrer Einsamkeit.
Nur wenn sie des Nachts ihren Gedanken Worte verleihen und sie auf Flügeln in den Äther senden konnte und Rückmeldung erhielt, dass sie wo angekommen waren und aufgenommen wurden, war sie glücklich. Und auch sie empfing auf diese Weise Botschaften anderer, oft recht einsamer Seelen. Da sie zwischen den Zeilen zu lesen verstand, las sie vieles heraus, was die Seele dazwischen gemalt hatte. Ihr gedankliches Hinterfragen bewährte sich nun. Menschen fühlten sich von ihr wahrgenommen, verstanden, sprachen über ihre Probleme, die oft die gleichen waren, welche auch ihr zu schaffen machten. So tat sie an anderen das, was sie sich gewünscht hatte, zuhören und mittragen. Und durch dieses Mitteilen wurde auch sie aufgefangen und mitgetragen.
Und die Menschen hatten Vertrauen zu ihr.
Eines Tages las sie ein Gedicht, in dem jemand seine Trauer am Grab beschrieb. Sie schrieb diesem Menschen, vielleicht brauchte er Beistand in der Zeit nach einem Todesfall? Doch es kam keine Antwort. Nun wurde sie neugierig. Bald fand sie andere Gedichte, auch von Trauer und Tod, geschrieben von demselben Menschen. Woran litt er? War es wirklich Trauer um einen Verstorbenen? Oder Trauer um ein verlorenes Leben, am Ende gar sein eigenes? Internet macht’s möglich, und sie fand des Rätsels Lösung. Der Mann war krank, verbrachte seine Tage im Rollstuhl oder im Bett. Er lebte aus einer „inneren Welt“ heraus, ihre Vermutung war also nicht ganz unrichtig gewesen. In seiner Biografie stellt er sich als böser, verschlossener Einzelgänger vor, der keine „Gesellschaft“ brauchte… sie kannte das von sich selber. Ob das bei ihm wohl auch nur eine „Maske“ war, ein Selbstschutz? In seinen Erzählungen schwang so viel Einsamkeit mit, die sie gut nachfühlen konnte, und das schrieb sie ihm. Tatsächlich kam diesmal Antwort, und diese war gar nicht abweisend! Es klang sogar Freude heraus. - Sie hatte ihn durchschaut, denn in vielem gab er ihr Recht. Und, oh Wunder, er fasste Vertrauen zu ihr, berichtete aus seinem völlig anderen, oft sehr schmerzvollen Leben. Aber trotz alledem lebte er nicht nur für sich, er wollte auch sie kennen lernen, er hörte ihr zu.
So entwickelte sich in kürzester Zeit eine wunderschöne Brieffreundschaft. Bald kamen längere Gespräche hinzu, wo jeder von seinem Tagesablauf erzählen und seine momentane Befindlichkeit äußern durfte und vom anderen Rückmeldung und Unterstützung bekam. Genau das war es, was sie sich unter Beziehung vorgestellt hatte. Die vertrauten Gespräche führten zueinander, trotz aller Verschiedenheiten, die ihr Leben sonst ausmachten, sie bezogen sich aufeinander. Sorgen und Probleme wurden geteilt, gemeinsam getragen – und das über eine Entfernung von fast 1000 km. Das Leben begann wieder heller zu werden, ein Sonnenstrahl, der ins Herz geschickt worden war, begann von innen zu leuchten. Er gab Hoffnung, gab Kraft, machte Mut, Schwierigkeiten zu meistern, Entscheidungen zu wagen, einen neuen Weg einzuschlagen. Auch wenn sie noch nicht wusste, wohin dieser Weg führen würde, er war da, deutlich sichtbar, sie würde ihn gehen können. Darin wurde sie bestärkt.
Was sie für ihn tun konnte, wusste sie nicht. Vielleicht gelang es ihr wenigstens, auch sein Leben ein wenig zu erhellen. Wie gerne würde sie ihm die Schmerzen nehmen oder wenigstens erleichtern, Wege für ihn erledigen, Besorgungen machen, wenn sie nur näher bei ihm wäre. So aber blieb nur Verbundenheit durch gedankliche Nähe, aber diese war von beiden Seiten spürbar, auch wenn es manche technische Panne gab, die eine direkte Kommunikation verhinderte. Und das Leben wurde neu und schön….
 
 
ChA 02.2011

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.08.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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