Christa Astl

VERLOREN



 

Damals habe ich nicht meine Schlüssel verloren, auch sonst nichts, einmal bin ich selber verloren gegangen.
Es war in meiner aktiven Bergzeit. Jedes Wochenende war ich irgendwo in den Felsen, auf einer Bergwanderung, oft auch in einer leichten Kletterei. Da ich immer allein ging, durfte ich mich nur bis zu einem gewissen Schwierigkeitsgrad wagen, da wo bereits fixe Drahtseilsicherungen angebracht waren.
Manchmal nahm ich daher die Gelegenheit wahr, an Gemeinschaftstouren unserer Alpenvereinssektion teilzunehmen. Diese Tour ist sicher auch schon wieder etwa vierzig Jahre her. Ziel war die Serles mit 2717 m Seehöhe. Südlich von Innsbruck in Richtung Brenner ragt sie mit ihren markanten drei Gipfeln hoch.
Der Bus brachte uns auf der Brennerstraße bis Maria Waldrast (1638 m), einer bekannten Wallfahrtskirche. Dann hieß es die Stiefel schnüren und losmarschieren. Die Gruppe von etwa vierzig Personen löste sich rasch auf, die Schnellen rannten und waren bald außer Sicht, manche brauchten eine Weile, bis sie „eingegangen“ waren. Zu diesen gehörte auch ich, ich gehe den Berg langsam an, sodass mir immer noch Kraftreserven bleiben.
Ab einer Höhe von ca. 2000 m blieben die ersten schon auf der Strecke. Ich hielt noch durch bis ca. 2500 m. Plötzlich fiel mir das Atmen schwerer, ich war richtig erschöpft. Schlappmachen? – Nein, das kam nicht in Frage! Erst mal hinsetzen und mich stärken, wie es viele andere auch hier an diesem schöne Platze machten. Nach einer halben Stunde ging es mir wieder gut und der Weiterweg fiel mir, obwohl es nun ein wenig zum Klettern war, wieder leicht.
Oben gab es dann die große Gipfelrast, wo sich alle wieder fanden. Tatsächlich hatten es alle geschafft. Nach etwa einer Stunde hieß es wiederum aufbrechen. Es war September, die Preiselbeeren waren reif und leuchteten einladend und unwiderstehlich. Eine Handvoll um die andere pflückten wir, liefen den anderen wieder nach und suchten weiter.
Plötzlich war ich allein. Kein Mensch weit und breit zu sehen. Macht nichts, es ist ja erst früher Nachmittag, denke ich, die werden noch nicht so weit sein. Nach der nächsten Abkürzung treffe ich sie wieder. Fehlanzeige! Als ich nach der Abkürzung wieder auf den Weg traf, war nichts zu hören und zu sehen – Das gibt es doch nicht! Kein Mensch unterwegs, niemand kommt mir entgegen…. Wieder zweigt ein Steig ab, wieder eine Abkürzung? Sie führt bergab, also kann ich ihr folgen. Immer weiter, manchmal steil, zeitweise angenehm den Hang querend, aber ich treffe keinen einzigen Wanderer. Komisch kommt es mir schon vor, doch denke ich mir noch nichts weiter. Für einen Aufstieg wäre es ja schon zu spät gewesen. Aber dass von meiner Gruppe niemand zu sehen ist? Vierzig Leute in Bergstiefeln machen doch Lärm, auch reden lachen sie, und sehen müsste ich doch auch wen!?
Noch geht es bergab, also werde ich auch an mein Ziel kommen. Aber welches Ziel? Der erste Wegweiser, der mir weiter helfen sollte, nennt verschiedene Orte, wohin muss denn ich gehen? Aus der Schulzeit ist mir nur Fulpmes, der Hauptort des Stubaitales in Erinnerung, keine Ahnung, was es da sonst noch für Dörfer gibt. – Und erst recht keine Ahnung, in welchem Dorf wir uns treffen!!!
Was tun? Handy gab es ja damals noch keines. – Erst mal weiter abwärts steigen. Der Weg beginnt sich zu ziehen, oder ich beginne ungeduldig zu werden, vielleicht auch schon etwas müde. Noch kann ich mir aber keine Rastpause leisten. Mechanisch setze ich einen Fuß vor den anderen, die schweren Bergstiefel geben sicheren Halt. Zur Abwechslung gehe ich kurze Zeit auf einem fast ebenen Forstweg, ich bin bereits im dichten Nadelwald. durch die Bäume sehe ich bald die ersten Häuser durchschimmern, die Sonne steht bereits tief im Nachmittag.
Häuser – Menschen, die ich fragen kann. – Nach welchem Weg soll ich sie fragen, wenn ich nicht weiß wohin? Wahrscheinlich sitzen die Meinen jetzt gemütlich in einem Gasthaus, genießen ihren Radler, während ich armer Narr noch orientierungslos bergab stolpere…
Am Rande des Ortes komme ich auf die Hauptstraße, ein Gasthof steht einladend am Weg. Da werden sie sitzen, freue ich mich erleichtert – doch vergebens. Ein paar einzelne Wanderer halten Rast, aber keine Gruppe von vierzig Leuten, und es ist auch keine Gruppe hier gewesen.
Jetzt bin ich am Ende meiner Weisheit. Wie, wo finden wir uns? Wo sind sie? Suchen sie mich bereits? Glauben sie, mir sei was passiert? - - Vor allem mache ich mir nun Sorgen, wie ich heimkommen werde. Am Ende sind sie schon auf dem Heimweg, haben mich vergessen? Autos fahren vorbei, erst muss ich mal wissen in welche Richtung, wo liegt Innsbruck? An der Sonne und an den Bergen versuche ich mich zu orientieren, stelle mich nun an den Straßenrand, um mit Autostop mein Glück zu versuchen. Einige fahren vorbei, dann kommt ein grüner Bus. Der blinkt, bremst, bleibt stehen - - und mit riesigem Hallo werde ich von meiner Gruppe begrüßt. Die haben auch mich natürlich schon gesucht, in Gasthöfen nachgeschaut und gefragt, waren sogar ein Stück wieder hinaufgegangen, bis der Obmann dann richtig vermutet hatte, dass ich vielleicht an einen anderen Ort abgestiegen sein könnte.
Ich war nun richtig fertig, all die Anstrengung des langen Abstieges, (ich war ja einen viel  weiteren Weg gegangen, wie ich dann erfuhr) und die psychische Anspannung musste ich erst verarbeiten, ich setzte mich ganz still in meinen Sitz und war mal für eine Zeitlang  nicht ansprechbar. Erst später konnten wir gemeinsam über mein Missgeschick lachen. Aber der Spott verfolgte mich noch viele Touren lang. Und bei den nächsten Touren wurden Zwischenhalte und vor allem der Ziertreffpunkt genauer angegeben. Wenigstens bekannt war ich nun geworden!
 
 
ChA September 2012

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.09.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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