Andreas Bartels

Kitsune 2

“Eine milde Gabe, bitte.“

“Oh, tut mir leid. Ich habe selber... kennen wir uns nicht?“

“Hm, ich weiß nicht...“

“Ich bin´s, Kitsune!“

“Ach ja! Entschuldige, daß ich dich nicht gleich erkannt habe!“

“Macht nichts. Darf ich mich setzen?“

“Aber sicher. Der Straßenrand ist für alle da.“

“Danke. Wie lange ist das her?“

“Ich weiß nicht. Seit damals ist die Zeit für mich stehen geblieben... Mal ist es warm, mal kalt...“

“Und wie geht es dir?“

“Eigentlich ganz gut. Die Leute sind größtenteils freundlich, von manchen bekomme ich sogar Essen oder auch andere Sachen geschenkt.“

“Lass´ dich mal anschauen!“

“Besser nicht...“

“Ich hab´ dich damals doch auch angesehen! Na komm´!“

“Na gut...“

“Hm. Es ist nicht mehr so schlimm, wie ich es in Erinnerung hatte. Die Haut scheint sich erneuert zu haben. Und deine Brauen sind auch schon nachgewachsen.“

“Ja. Genau wie auf meinen Händen. Siehst du? Ich kann wieder richtig fühlen!“

“Ja! Sie fühlen sich wieder normal an...“

“Ah, das tut gut! Berührt zu werden...“

“Hast du noch Schmerzen?“

“Nein...“

“Oh, es tut mir so leid!“

“Das muß es nicht! Wenn du nicht gewesen wärst, ich wäre gestorben... Hat der Arzt gesagt. Der Mann hat mir auch nicht viel helfen können.“

“Tzh! Aber glücklicherweise hörst du wohl ganz gut. Obwohl, dein linkes Ohr ist ein bißchen ausgefranst!“

“Ja, aber das ist nicht so schlimm! Es wächst nur nicht nach...“

“Genau wie...“

“Sag´ es nicht!“

“...“

“...“

“Bitte verzeih...“

“Schon gut. Ich hab´ mich mittlerweile daran gewöhnt... Die Natur ist recht großzügig, weißt du?“

“Ja, ich weiß. Aber manche Dinge verzeiht sie nicht. Deine Augen...“

“Sie sehen schrecklich aus, nicht war?“

“Naja...“

“Ich merk´ das. Immer wenn ich jemanden - ansehe; die meisten halten kurz die Luft an, andere können einen leisen Schrei nicht unterdrücken.“

“Oder sie sagen ´Oh mein Gott´ oder ´Wie schrecklich´“

“Ja genau! Ein Arzt murmelte hinter meinem Rücken sogar etwas von ´Es gibt keinen Gott´“

“Komisch. Als Arzt müßte er doch schon ganz andere Dinge gesehen haben...“

“Eigentlich ja. Wahrscheinlich war er noch nicht lange in Geschäft...“

“Ja... Du?“

“Was?“

“Du mußt nicht darüber sprechen. Aber ich weiß bis heute immer noch nicht, was eigentlich passiert ist...“

“Es macht mir nichts mehr aus, darüber zu sprechen. Es war mein Bruder...“

“Was?!“

“Ja, wirklich. Mein kleiner Bruder. Er hat mich wohl ein bißchen mehr geliebt, als das Geschwister normalerweise tun. Er war schon immer sehr eifersüchtig, und eines Tages wurde es mir zuviel, und ich bin durchgebrannt. Ich habe geheiratet, ohne das meine Familie und ganz besonders mein Bruder davon erfuhr. Und dann, eines schönen Tages, ich war schwanger und sehr glücklich, steht er vor der Tür. Irgendwie muß er mich in dieser fremden Stadt aufgestöbert haben; er steht also da, und ohne ein Wort zu sagen spritzt er mir dieses Zeug ins Gesicht...“

“Säure...“

“Ja. Es tat höllisch weh. Ich versuchte es wegzuwischen, aber dann begannen meine Hände zu brennen. In Panik bin ich aus dem Haus gerannt; ich habe geschrien...“

“Und da kam ich!“

“Jawohl! Und das war meine Rettung!“

“Naja...“

“Nicht zu bescheiden! Außer dir hat mir keiner geholfen, als ich auf der Straße ohnmächtig wurde und zusammenbrach. Du wußtest wohl auch als einzige, was zu tun war...“

“Ich wußte es nicht, ich hatte nur einen Geistesblitz...“

“Wie?“

“Na, ich erinnerte mich an einen der Mönche im Kloster. Er druckte Bilder weißt du? Er strich zunächst Asphalt auf eine Kupferplatte. Dann kratzte er an den Stellen, die nachher im Druck schwarz seien sollten, den Asphalt wieder weg. Danach kam die Platte in die Säure. Ich durfte dann immer mit einer Vogelfeder die kleinen Gasbläßchen, die sich auf dem blanken Metall sammelten, wegstreichen. Und nachdem die Platte gereinigt worden war, wurde in die wegätzten Stellen Farbe gewischt. Das hab´ ich auch immer gerne gemacht. Anschließend kam das ganze in eine Presse; mit einem Blatt Papier zusammen. Die Farbe blieb am Papier haften und das Bild war fertig.“

“Das ist sehr interessant, aber was hat das mit mir zu tun?“

“Oh ja, als ich damals dein Gesicht sah, mußte ich an die kleinen Blasen denken, und wußte sofort: ´Das muß Säure sein!´“

“Ja und?“

“Ich erinnerte mich an noch etwas anderes: Immer wenn der Mönch die alte Säure wegschütten mußte, neutralisierte er sie vorher.“

“Neu... Was?“

“Er sagte immer das auch die alte Säure noch Schaden anrichten könnte. Wenn man aber eine Lauge hinzufügt, verliert sie ihre Kraft. Es schäumte immer gewaltig. Hat mich damals sehr beeindruckt.“

“Aha!“

“Ja! Ich hab´ mir einfach einen Eimer Seifenlauge geschnappt; glücklicher weise war da eine Frau beim Wäsche waschen, und ihn dir ins Gesicht geschüttet!“

“Ja, ich erinnere mich. In diesem Moment wurde ich wieder wach... Hätte man nicht auch Wasser nehmen können?“

“Nein! Das war etwas, das der Mönch mir eingebleut hat: Nie Wasser in Säure, immer Säure in Wasser!“

“Wieso? Was passiert dann?“

“Hm. Ich konnte es natürlich nicht lassen und habe es ausprobiert: Sie wird heiß und spritzt. Plötzlich hatte ich viele kleine Löcher in meinem Gewand!“

“Da gab´s bestimmt Ärger, nicht war?“

“Das kann ich dir sagen...“

“Was damals hätte passieren können siehst du ja an mir!“

“Oh, ja! Ich hatte unverschämtes Glück... Naja, jedenfalls habe ich dich dann zu diesem Arzt gebracht, und ich dachte, daß du in guten Händen wärst, und bin wieder gegangen...“

“Das war nicht schön von dir! Ich hätte dir noch so gern gedankt...“

“Verzeih! Ich...“

“Ja ich weiß! Du bist eine alte Nomadin! Nie lang am selben Ort... Ich bin auch zu einer geworden...“

“Wie?! Ich meine, du bist doch blind. Hilft dir den keiner?“

“Mein Mann wollte nichts mehr mit einen Krüppel zutun haben...“

“Was?!“

“Ja! Und zu meiner Familie konnte und wollte ich nicht zurück! Und so ziehe ich durch die Gegend und bettle ein bißchen. Anfangs war´s sehr schwer, aber wie ich vorhin sagte, ich habe mich daran gewöhnt. Die Leute sind auch meist sehr freundlich...“

“Meist?“

“Mich haben mal ein paar überfallen! Ich habe mich gewehrt; dabei ist mein Ohr zerrissen worden. Mit Zweien bin ich fertig geworden, aber dann muß mir ein dritter von hinten einen übergezogen haben... Jedenfalls, als ich wieder zu mir kam war das Bißchen, was ich hatte, weg...“

“Na, immerhin haben sie dich nicht vergewaltigt...“

“Das ist vorbei! Da kann einer noch so geil sein! Mit mir nicht mehr...“

“Man könnte ja etwas drüberlegen...“

“Haha! Du bist widerlich!“

“Wo wir gerade bei dem Thema sind: Was ist eigentlich aus deinem Kind geworden?“

“Oh, das kam zu früh. Gleich nach meinem - Unfall.“

“Oh nein! Wie schrecklich!“

“Na, ist vielleicht besser so...“

“Es... es tut mir so leid...“

“...“

“...“

“Ach, sprechen wir nicht immer von dem Krüppel! Ich weiß gar nichts von dir! Erzähl´ doch mal!“

“Oh, Da gibt es nicht viel zu erzählen...“

“Dann fang´ doch von vorne an!“

“Na gut! Also, ich habe keine Eltern...“

“Sind sie gestorben, als du noch klein warst?“

“Nein, aber - Nun, aus irgendeinem Grund haben sie mich ausgesetzt. Ich war ungefähr zwei Jahre alt, als man mich auf der Schwelle des Klosters fand. Die Mönche bildeten mich zur Qui-Priesterin aus.“

“Waren das nur Männer?“

“Ja, aber sie besorgten mir eine Amme, die dann auch im Kloster lebte. Ich hatte also eine Mutter und viele Väter. Leider gab es dort keine anderen Kinder.“

“Und seit du deine Ausbildung abgeschlossen hast, wanderst du herum?“

“Nein. Da war noch eine Episode mit einem Fischer, in den ich mich verliebte. Ich verließ das Kloster; lebte und arbeitete als Fischersfrau.“

“Ah, ein schöner junger Fischer! Hast du ihn verlassen?“

“Ja, genau. Wir bekamen keine Kinder, und er verlor auch das Interesse an mir.“

“Das tut mir leid.“

“Ach, das ist nicht so schlimm. Jedenfalls zog ich mir eines Nachts wieder mein Robe an, nahm meine Sachen und verschwand. Und jetzt bin ich hier!“

“Konntest du nicht ins Kloster zurück?“

“Nein. Wenn man es einmal verlassen hat, darf man nicht wieder zurück.“

“Hart!“

“Ich habe es nie bereut. Ich war in dem Dorf oft bei der Hebamme und habe ihr geholfen. Dabei habe ich viel gelernt.“

“Ah, dann bist du also nicht nur Qui-Pristerin, sondern auch noch Heilerin.“

“Naja, diese Kentnisse sind nicht so bedeutsam, daß ich mich als Heilerin bezeichnen könnte.“

“Nicht so bescheiden!“

“Gut, gut! So, ich muß weiter, es wird bald dunkel. Ich wünsche dir alles Gute!“

“Ja, ich dir auch! Es war schön, daß sich unsere Wege wieder kreuzen!“

“Ja, und auf Wiedersehen!“

“Auf Wiedersehen! Oh, und vielen Dank! Jetzt hätte ich es beinahe schon wieder vergessen... Eine milde Gabe, bitte.“

Version 1.0.
© Andreas Bartels.
Alle Rechte vorbehalten.

Und wenn man schon 'mal eine interessante Figur geschaffen hat, warum sie nicht auch mit einer interessanten Vergangenheit bzw. einer interessanten Biografie versehen?
Gleichzeitig habe ich versucht, eine Geschichte nur in Dialogform zu erzählen, weil eine der Figuren blind ist.
Andreas Bartels, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.03.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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