Manfred Bieschke-Behm

Die geheimnisvolle Tür


 

"ELFCHEN"  zu TÜR
 
Tür.
Tür auf,
Tür wieder zu
und was ist dahinter?
Geheimnis.

 
 
 

"ELFCHEN"  zu GEHEIMNIS
 
Geheimnis
du unbekanntes
rätselhaft Neugierde weckend.
Was verbirgst du mir
geheimnisvolles?

 
 


Wie oft ich bereits an der geheimnisvollen Tür in der verwinkelten Himmelpfortstraße vorbeigegangen bin, weiß ich nicht. Ich habe nach einhundert Mal aufgehört zu zählen. Obwohl schon geschätzte tausend Mal geschehen, zieht mich die weiße barockverzierte Holztür immer aufs Neue magisch an. Selbst wenn ich es mir verbiete, passiert es, dass ich vor der geheimnisvollen Tür stehen bleiben muss. Was hat sie, was andere Türen nicht haben?
Wieder einmal stehe ich vor der weißen Tür und betrachte sie wie einen fein geschliffenen wertvollen Diamanten. Die Tür in ihrer ganzen Pracht wirkt majestätisch. Nicht zuletzt durch die über beide Türflügel im Halbbogen eingefügten Glaseinsätze im oberen Drittel. Durch geschicktes Einsetzen von weiß lackierten Holzverstrebungen entsteht der Eindruck einer über alles strahlenden Sonne. Gleich unterhalb der Glaseinsätze befindet sich eine im Wellenbogen gehaltene gedrechselte Holzapplikation, auf der sich in rot und blau gehaltene geschnitzte Blumen und Knospen gepaart mit grünem Rankwerk befinden. Weitere Blumen und Blattornamente sind über die ganze Tür verteilt. Sie wirken wie gerade draufgeworfen. Wie zufällig platziert. Und doch ist bei genauerer Betrachtung erkennbar, dass der Künstler die Platzwahl sorgfältig gewählt hat. Zu meiner Freude hat der Türhersteller die Tür geadelt, indem er beide Türflügel mit in zwei Größen in sich gebogenen großen ornamentartigen Türkassetten versehen hat. Im Lichtspiel ergeben sich manchmal Schattenwürfe, die den Eindruck von Tiefe und Würde erzeugen. Alles passt sich harmonisch an. Selbst der eher bescheiden ausgefallene Türbeschlag mit einer nach unten gebogenen Türklinke unterstreicht die Harmonie vollends. Das grobe Mauerwerk mit seinen typischen Ziegelfarben, das die Tür umfasst, lässt die Tür noch wertvoller erscheinen, als sie ohnehin ist.
Immer wieder war ich der Versuchung unterlegen, das Geheimnis, das ich hinter der Tür vermutete, zu ergründen, aber alle bisherigen Versuche die Tür zu öffnen, schlugen fehl. Mit großem Herzklopfen versuchte ich es dennoch immer und immer wieder. Außer einem verächtlichen, ablehnenden, mir mittlerweile vertrauten, knarrenden und sperrigen Türschlossgeräusch blieb es dabei: die Tür ließ sich nicht öffnen.
Was mag sich wohl hinter der Türen befinden? Ich wüsste es allzu gerne.
Das eine oder andere Mal hatte ich Passanten, die zufällig oder bewusst wie ich die weiße Tür passierten, gefragt, ob sie mir sagen könnten, was sich hinter der Tür befindet. Jedes Mal bekam ich ein Achselzucken oder Kopfschütteln als Antwort. Keiner wollte oder konnte mir sagen, welche Geheimnisse sich hinter dieser Tür befinden. Keiner hatte mir gesagt, ob er oder sie es jemals versucht hätten, das Geheimnis zu lüften.
Die Enttäuschungen hielten mich aber nicht davon ab, es wieder aufs Neue zu probieren, die Tür zum sich Öffnen zu bewegen. Im Gegenteil. Je mehr ich erfolglos versuchte das Geheimnis zu lüften, desto motivierter war ich, es immer wieder zu probieren.
 
Gestern nun sollte sich mein Wunsch erfüllen. Nachdem ich ohne die leiseste Ahnung, dass sich gerade heute die Tür öffnen würde, die Türklinke herunterdrückte und ich die mir wohlbekannten begleitenden Verweigerungsgeräusche nicht vernahm, sondern vielmehr nur ein leichtes Schnarren hörte, glaubte ich, dass mein Herz gleich aufhören würde zu schlagen. Die Tür ließ sich öffnen. Zunächst wagte ich die Tür nur um einen Spalt zu öffnen. Um hineinzusehen, reichte der Spalt nicht aus. Also wagte ich es die Tür um ein weiteres Stück zu öffnen. Mich erreichte ein angenehmer Duft, den ich allerdings nicht einzuordnen wusste. Weniger vom Duft, als vielmehr von der Dunkelheit, die mir den Einblick verweigerte, war ich überrascht. Das, und die absolute Stille hatte ich nicht erwartet. Einen Moment überlegte ich, ob ich die Tür vollends öffnen sollte um hinein zu gehen, oder ob ich sie lieber wieder schließen und das Geheimnis dahinter Geheimnis bleiben lassen sollte. Meine Neugierde war größer als die mich beschleichende Angst. Schnell war die Tür ganz geöffnet. Ich ging einen Schritt vorwärts, war gerade hinter der Tür, als diese schneller als erwartet wieder ins Schloss fiel. Nur für einen kurzen Moment umgab mich eine absolute Finsternis. Gerade als ich mir meiner Situation bewusst werden wollte, ertönte für mich fremde, aber durchaus liebliche, beruhigende Musik. Gleichzeitig gingen tausende von Lichtern an. In Sekundenschnelle war der sich mir nun offenbarende Raum in ein warmes aber durchaus durchdringendes Licht gehüllt. Die fließende Musik, der Duft wie von Lavendel oder Orange, oder beides zusammen und die wärmende Helligkeit ließen mich nur staunen. Meine anfängliche Angst war verflogen, Unsicherheit war geblieben. Noch immer konnte ich nicht registrieren, was um mich geschah. Nur allmählich hatte ich mich an das Licht gewöhnt und konnte mir die Umgebung genauer ansehen. Wie war ich erstaunt, als ich ein Sammelsurium weißer Gegenstände, die im ganzen Raum verteilt waren, entdeckte. Der Fußboden war mit weißem Samt ausgelegt. Kleine und große Spiegelwürfel dienten als Unterlagen für die vielen Gegenstände, die dekorativ abgelegt waren. Durch die Spiegelreflexionen bekam ich den Eindruck, als würden noch viel mehr Lichtquellen vorhanden sein als ohnehin. Nun fing ich an, mir die Gegenstände näher zu betrachten.
Als erstes fiel mir der halb geöffnete Fächer auf. Auf der weißen Bespannung entdeckte ich japanische Schriftzeichen. Was mögen diese Zeichen bedeuten, dachte ich mir. Und weshalb ist der Fächer nur halb geöffnet und nicht ganz? Ob ich ihn ganz öffnen sollte? fragte ich mich ohne dazu Wörter zu benutzen. Ich verbot es mir. Sicherlich war es überhaupt unangebracht die Gegenstände zu berühren. Und was sollte es mir bringen, den Fächer ganz zu öffnen? Konnte ich eine Botschaft in meiner Sprache erwarten? Eher nicht. Schnell wurde ich von der weißen Perlenkette abgelenkt, die in der Nähe des Fächers dekorativ abgelegt war. Es handelte sich um eine wunderschöne Kette, deren Perlen sich zur Mitte hin verdickten und in einem ganz zarten Rosa schimmerten, wobei die Farbe Weiß dominierte. Der Verschluss bestand aus einer angedeuteten silbernen offenen Blüte, deren Mitte eine kleine Perle zierte. Die Kette schien mir sehr wertvoll. Allzu gerne hätte ich gewusst, wer sie tragen durfte und weshalb sie jetzt hier ausgestellt war. Sicherlich hätte jede einzelne Perle eine Geschichte zu erzählen, aber es gab niemanden, der mir die Geschichten erzählen hätte können.
Was hatte der einzelne weiße Turnschuh mit der sorgfältig gebundenen Schleife zu bedeuten? Wo befindet sich der zweite Schuh? Ging er verloren? Wurde das Schuhpaar gewollt oder ungewollt getrennt? Werden sie jemals wieder zusammen kommen? Oder ist es gewollt, dass die Schuhe getrennt voneinander sind? Auch diese Fragen blieben unbeantwortet.
Jetzt entdeckte ich eine weiße Pierrot-Maske, die eine schwarze Kappe trug sowie einen durchsichtigen Spitzenkragen um den Hals. Der Pierrot hatte einen auffällig roten Mund. Die Lippen waren wie zu einem Kuss geformt. Zugespitzt. Die schwarzen Augen wirkten traurig. Aus ihnen floss jeweils eine schwarzumrandete Träne. Warum? Abschiedsschmerz? Oder Sehnsucht? Warum diese Traurigkeit? Sie steckte mich an. Ich musste mich abwenden, um nicht selbst Tränen zu vergießen.
Jetzt registrierte ich zwei weiße Kerzen. Sie wurden noch nie angezündet. Ob sie darauf warteten ihrem Dasein Leben einzuhauchen zu lassen? Ob die Kerzen wussten, dass sie ihr Leben ausgehaucht haben, wenn sie abgebrannt sind? Ob sie ihren Zustand der Unversehrtheit genießen können? Ob sie ihr vorgeschriebenes Schicksal kennen und dennoch darauf warten angezündet zu werden, um sich anschließend ihrer Bestimmung hinzugeben? Ich wusste es nicht und werde es sicherlich auch nie erfahren.
In Sichtnähe der Kerzen lag ein großes „H“. Der Buchstabe war rundherum goldverziert. Es war ein mattes Gold und trotzdem auffällig. Weiß und Gold passen gut zusammen, dachte ich mir und überlegte dabei, wofür wohl das „H“ stehen würde. Stand es für Herrscher oder für Heirat? Vielleicht war es auch der Anfangsbuchstabe eines Vornamens. Henriette oder Hubertus. Ich vermutete, es war der Anfangsbuchstabe eines weiblichen Vornamens. Aber warum ist der Buchstabe so groß und damit so auffällig? Ziert sich eine Frau mit einer solchen Auffälligkeit? Doch eher nicht, oder?
Auffällig war auch das Sahnebaiser, das gleich neben einem kleinen Perlmuttherz lag. Lagen das Herz und das Baiser zufällig nebeneinander? Baiser heißt übersetzt Kuss aber auch Spanischer Wind. Gab es einen Zusammenhang? Vielleicht auch mit dem Fächer? Ich glaubte an keinen Zufall und bildete mir ein, dass das Herz und das Sahnebaiser sinnbildlich für aufkeimende Liebe stehen und deshalb die Nähe zu einander haben. Was für einen schönen Gedanken, dachte ich mir und wendete mich den anderen Gegenständen zu.
Nun entdeckte ich einen Rasierpinsel, dessen Borsten durch eine perlmuttähnliche Substanz zusammengehalten wurden. Er sah edel aus. Ungebraucht schien er zu sein. Wer hatte ihn aus welchem Grund hier her gebracht? Die gleiche Frage stellte ich mir beim Anblick von einer Palette weißer perlmuttschimmernder Hemdenknöpfe und drei weißen Stäbchen, die zur Versteifung von Hemdkragen dienten. Wer hatte diese Gegenstände besessen beziehungsweise für wen sind sie bestimmt? Ich drehte mich um, in der Hoffnung jemanden zu entdecken der mir Antwort geben konnte, entdeckte aber niemanden.
Zwei weiße Würfel, auf deren Oberflächen die Zahlen „5“ und „3“ zu erkennen waren, erweckten meine Neugierde. Standen die Zahlen für sich oder hatten sie erst durch das Zusammenzählen eine Bedeutung. Was bedeutet die Zahl „8“? Ich hatte gelernt, dass die „8“ für Nachsicht und Güte steht, aber auch für Sehnsucht und Zufriedenheit. Die „3“ steht für Zuhause und Familie und dem Bedürfnis nach Ruhe und Harmonie. Die „5“ dagegen steht für Ruhe und Zeit sowie Kommen und Gehen. Die „5“ steht auch für das Erkennen von großen Zusammenhängen. Ich hatte jetzt die Möglichkeit mir das herauszusuchen, was mir besonders sympathisch war. Entschieden hatte ich mich für die sich ergebene Additionszahl „8“, weil mir Nachsicht und Güte am Besten gefielen.
Noch vieles gab es zu entdecken.
Da waren ein Ei, das möglicherweise symbolisch für Fruchtbarkeit und das Leben ausgestellt wurde und zwei Margeritenblüten. Was wollten mir die zwei Blüten sagen? Margeriten stehen für Unentschlossenheit zur Liebe und bedeuten in der Blumensprache schmucklose, natürliche Unschuld.
Reflexartig hätte ich mir gerne eine Blüte genommen und Blütenblatt für Blütenblatt abgezupft und dabei gezählt: „Er liebt mich, er liebt mich nicht…. Das letzte Blatt hätte die Entscheidung gebracht. Wollte ich die Entscheidung wissen? Nein, ich wollte die „Wahrheit“ nicht wissen.
Ganz besonders angetan hatte es mir der anmutige, weiße Porzellanschwan mit dem silbernen Schnabel. Ich wusste nicht genau, weshalb mich der Schwan in seinen Bann zog. Aber es war geschehen. Seine Schönheit und Anmut ließen mich nicht los. Die Reinheit seines Gefieders und die Grazie, die durch seinen gestreckten Hals besonders zum Ausdruck gebracht wurden, ließen mich träumen. Ich träumte, der Schwan schwimmt über einen stillen See, dessen Ufer über und über wild bewachsen sind. Der Tag war längst müde geworden und hat sich still verabschiedet. Nur vereinzelt sind Vogellaute zu vernehmen, ansonsten herrscht Totenstille. Dar Schwan zieht lautlos seine Bahn. Hinter sich herziehende kreisrunde Wellen lassen die Oberfläche des Sees leicht in Schwingungen bringen. Sie markieren auf zauberhafter Weise den Schwimmverlauf des Schwans. Jetzt hält der Schwan inne. Er streckt seinen Hals und schaut zum Himmel. Die weiße Sichel des Mondes hat sich aufgefüllt zu einer mit mattweißen Wolken umschließenden Scheibe. Der Schwan senkt wie in Zeitlupe seinen Hals. Er taucht seinen Kopf genau in die Stelle in das Wasser, in der sich der Mond widerspiegelt. Als der Schwan seinen Kopf wieder aus dem Wasser zieht, besitzt er einen silbernen Schnabel. Der Schwan, der Begleiter der Seele der Anderswelt, hat für diese Nacht seine Aufgabe erfüllt. Er hat eine Seele gerettet und kann nun seinen, für Menschen nicht hörbaren, Schwanengesang anstimmen.
An dieser Stelle wurde ich aus meinem Tagtraum gerissen. Plötzlich hörte ich eine wundersame Stimme, die zu mir sprach: „Du warst jetzt lange genug hier. Du musst dich langsam von all den schönen Dingen verabschieden. Mehr Zeit kann ich Dir nicht gewähren, auch wenn du längst nicht alle Gegenstände hattest ansehen können“. Ich wollte die unbekannte Stimme noch fragen, ob ich wiederkomme dürfe. Doch noch bevor ich diese Frage stellen konnte, ging die weiße Tür wie von Zauberhand lautlos auf. Die Lichter verloschen, die Musik verstummte, der anheimelnde Duft war nicht mehr wahrzunehmen und die Wirklichkeit hatte mich wieder. Nun stand ich wieder vor der verschlossenen geheimnisvollen Tür und es stellte sich mir die Frage: „War ich überhaupt drinnen?“ 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.09.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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