Alfred Hermanni

Die Abenteuer des kleinen Wulluwutsch

 

 

 

 

von Alfred Hermanni Alle Rechte vorbehalten 14. September 2012

Liebe Leser, wenn ihr am Ende der Story ein wenig nach unten scrollt, findet ihr ein Bild vom Hund Henri.

Leider ist er schon mit knapp unter 8Jahren gestorben. 

 

 

Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt

 

Es war noch früh am Morgen, die Sonne noch nicht aufgegangen, als Wulluwutsch erwachte. Heute ist es soweit. Lange habe ich auf diesen Tag gewartet, dachte er. Ja, er hatte wirklich lange auf diesen Tag gewartet.

Und jeder Tag war für ihn ein schwerer Tag. Das Leben im Waisenhaus war solange er denken konnte, immer ein Leben voller Unterdrückung von den älteren, fast schon jugendlichen Kindern. Wulluwutsch war jetzt zehn Jahre alt, um genau zu sein, heute wurde er zehn Jahre alt und würde sich sein persönliches Geburtstagsgeschenk machen. Er würde ausreißen und das ungeliebte Waisenhaus verlassen. Alles war vorbereitet, er brauchte nur noch aufstehen und sich aus dem Hause schleichen. Dann wäre es vorbei mit den Demütigungen dieser hinterhältigen Mitbewohner, die nur weil sie älter und stärker waren, auf alle schwächeren und jüngeren Kinder herumhackten, sie verprügelten und zu Dingen zwangen die niemand freiwillig getan hätte. Und dann noch dieser Name, Wulluwutsch. Alle nannten ihn so, sogar die Betreuer, ob er aber wirklich so hieß, wollte oder konnte keiner ihm sagen.

Um besonders aufzufallen, hatte sich diese Bande von fiesen Kindern, allesamt den Schädel kahl rasiert und jedem der anders war, oder nicht so dachte wie sie, Schläge angedroht. Wulluwutsch war von eher kleiner Gestalt. Sein sommersprossiges Gesicht, seine schulterlangen, lockigen und feuerroten Haare waren den Glatzen ein solcher Dorn im Auge, dass Wulluwutsch immer das bevorzugte Ziel zahlloser Attacken gegen ihn war. Aber damit würde es ab heute vorbei sein.

Wulluwutsch stand auf und griff unter sein Bett, wo er den Rucksack mit seiner Ausrüstung und Verpflegung versteckt hatte.

Er legte ihn auf seinem Bett ab und ging in sein kleines Badezimmer. Hier verrichtete er leise seine Morgenhygiene. Waschen und Zähne putzen erfolgten natürlich auch ganz leise. Niemand sollte geweckt werden, niemand sollte etwas bemerken.

Licht brauchte er nicht, denn die Sonne erschien langsam am Horizont und tauchte das Zimmer in ein warmes, rötliches Licht.

Für Wulluwutsch war es das Licht der Freiheit. Jetzt noch anziehen, dann war es soweit.

Er öffnete den Schrank, nahm die schon bereit gelegte Wäsche und zog sich an.

Dann griff er sich seinen Rucksack und schnallte ihn fest auf den Rücken.

Leise, ganz leise öffnete er das Fenster. Sein Zimmer befand sich in der ersten Etage. Für einen Sprung hinaus also zu hoch. Aber Wulluwutsch hatte gut geplant. Hinter seinem Nachtschränkchen hatte er nämlich ein Seil versteckt.

Das befestigte er nun an seinem Bett, natürlich mit einem Spezialknoten. Dann nahm

er eine ebenso lange, aber viel dünnere Schnur und verband sie mit dem Seilende am Bett.

Prüfend zog er an dem Seil und befand, dass es fest genug war und ihn problemlos halten würde.

Vorsichtig kletterte er auf das Fenstersims, nahm das Seil und begann sich vorsichtig an der Hauswand abzuseilen.

Wulluwutsch war ein guter Kletterer und schon bald war er unten. Mit einem Ruck an der dünnen Schnur öffnete er den Spezialknoten und das Seil fiel auf ihn herab. Sogleich wickelte er es auf und befestigte es am Rucksack.

Man weiß ja nie, wann man so ein Seil gebrauchen kann, dachte er.

Dann machte er sich auf den Weg.

Gut dass wir alle ein eigenes Zimmer haben, dachte er. Oder besser gesagt - hatten, fügte er in Gedanken hinzu.

Ja, es war ein modernes Waisenhaus, keine Schlafsäle für zwanzig Kinder auf einmal. Keine Schlaf raubenden Boshaftigkeiten der Glatzköpfigen mehr.

Jeder hatte jetzt ein eigenes Zimmer, die anderen hatten sogar Fernseher und Computer. Aber nicht Wulluwutsch. Er spielte lieber draußen in der Natur. Dort lernte viel über das wirkliche Leben und er hielt nichts von diesen Scheinwelten der virtuellen Realität.

Und er hatte viel gelernt, denn es gab einen, der ihm fast alles beibrachte, was man von der Natur lernen konnte. Einer der Erzieher des Waisenhauses nahm sich seiner an und hatte ihn von Kindesbeinen an, all das gelehrt, was er ab jetzt gebrauchen konnte. Es war ein junger Pädagoge, der ihn von Anfang an mochte. 

Daniel war sein Name. Und Wulluwutsch mochte ihn auch. Es tat ihm leid, dass er ihn jetzt verlassen musste, aber so modern das Waisenhaus auch war, das Problem mit den fiesen Glatzen konnten die Erzieher nicht lösen.

Sie wollten immer alles ausdiskutieren, immer harmonisch bleiben, immer wieder den Glatzen erklären, dass sie Verantwortung trugen und bla, bla, bla...

Bewirkt hatten die ausgebildeten Pädagogen allerdings nichts. Die Glatzen taten immer so als würden sie ja alles verstehen, aber in Wirklichkeit waren sie, wie lautete das Wort das Daniel benutzte...therapieresistent.

Aber das war ab jetzt vorbei. Die Freiheit rief und Wulluwutsch folgte diesem Ruf.

 

 

 

Zwei Stunden später erreichte Wulluwutsch einen kleinen Wald. Ein umgestürzter Baum lud zur Rast regelrecht ein, also machte Wulluwutsch es sich auf dem Stamm bequem.

Er nahm seinen Rucksack und kramte ein paar Lebensmittel heraus, es war Zeit für sein erstes Frühstück in Freiheit.

Am Abend vorher hatte er sich heimlich ein paar belegte Brote vorbereitet; ein wenig Obst und sogar den Nachtisch hatte er in sein Zimmer schmuggeln können.

Eine Flasche mit Fruchtsaft war ebenfalls mit dabei.

Er ließ es sich schmecken und genoss die frische Waldluft, die Sonnenstrahlen auf seiner Haut und das Zwitschern der vielen Vögel.

So lässt es sich aushalten, dachte er.

Frisch gestärkt machte er sich wieder auf den Weg. Am Mittag legte er noch einmal eine kleine Rast ein und am frühen Abend erreichte er sein erstes Ziel.

Mit freudigen Augen erblickte er von einem kleinen Hügel aus den See.

Endlich hatte er ihn erreicht. Mit schnellen Schritten ging er den Hügel hinab und gelangte ans Ufer.

Wulluwutsch zog sich Socken und Schuhe aus, krempelte seine Hose hoch und ging barfuß durch das Wasser, immer schön am Ufer entlang.

Plötzlich hörte er ein Geräusch und blickte in Richtung einer kleinen Baumreihe, die ungefähr fünfzig Meter weit auf einer kleinen Anhöhe stand. Irgendetwas bewegte sich dort. Aber was?

Schnell zog sich Wulluwutsch wieder an und ging in die Richtung aus der er das Geräusch vernommen hatte.

Dann hörte er es wieder. Es klang wie ein Winseln. Und es war ein Winseln, denn Wulluwutsch sah einen jungen Hund, der auf drei Beinen humpelte. Das vierte Bein hatte er an den Leib gezogen und immer wenn er damit auftrat, jaulte er auf.

„Hey Kleiner, warte mal. Ich helfe dir!“, rief Wulluwutsch. Der Hund blickte ihn an, winselte und legte sich hin.

Langsam ging Wulluwutsch auf ihn zu, er wollte ihn nicht erschrecken. Leise und bedächtig sprach er zu dem Hund und hockte sich schließlich vor ihm hin.

„Lass mich mal schauen was dir fehlt, Kleiner“, sagte er mit ruhiger Stimme und sah sich die Pfote an.

„Dir fehlt nichts, du hast hier etwas zuviel“, bemerkte er und hielt die Pfote fest. Ein Dorn steckte in der Hundepfote und er saß ziemlich tief.

„Hey, das ist ja witzig“, sagte Wulluwutsch. „Das ist der Dorn einer Hundsrose. Die heißt so, weil die Dornen wie der Zahn eines Hundes aussehen. Daniel hat mir das gesagt und jetzt steckt so ein fieser Dorn in deiner Pfote. Aber das haben wir gleich.“

Mit einem festen Ruck zog Wulluwutsch den Dorn aus der Pfote. Nur kurz winselte der Hund auf, dann aber blickte er mit dankbaren Augen Wulluwutsch an, stand auf und leckte ihm das Gesicht.

Dann setzte sich der Hund und legte seine Pfote auf Wulluwutsch's Schulter.

Ein wunderbar schönes, nie gekanntes Gefühl durchströmte Wulluwutsch.

„Willst du... willst du mein Freund werden?“, fragte er und blickte den Hund an.

Als ob er ihm antworten wollte, bellte der Hund und legte sich Wulluwutsch zu Füßen.

„Dann sind wir ab jetzt Freunde. Aber wie heißt du, hast du schon einen Namen? Du trägst kein Halsband. Bist du auch ein Ausreißer, so wie ich?“

Der Hund sah ihn an und wedelte mit seinem Schwanz.

„Tja, einen Namen brauchst du aber. Ich kann ja schließlich nicht immer Hund sagen, wenn ich dich rufe. Hm, ich glaube ich nenne dich...Daniel. So heißt nämlich der einzige Mensch, der mich wirklichen leiden kann. Oder? Nein, ich glaube Daniel ist nichts für dich. Wie wäre es mit...Henri?“

Der Hund schaute ihn an, stand auf, bellte, lief ein Stück vor und kam wieder zurück, um sich vor Wulluwutsch erneut hinzusetzen.

„Gut, das mit dem Namen hätten wir also. Du heißt ab jetzt...Henri.“

Henri hatte rotbraunes Fell, lange Beine und herunter hängende Ohren, die mit langen Haaren versehen waren. Sein Körperfell war kurz, an den Vorder- und Hinterläufen wuchsen aber feine, fast seidige Haare. Auch sein Schwanz war behaart.

Wulluwutsch öffnete seinen Rucksack und nahm sein letztes belegtes Brot hinaus.

„Hier Henri, da hast du ein Stück Brot mit lecker Wurst darauf. Wir teilen uns das.“

Er brach das Bot in zwei gleichgroße Stücke und gab eines davon Henri, der es sofort verschlang.

„Na, du scheinst ja richtig Hunger zu haben. Aber leider war das mein letztes Brot. Mehr habe ich nicht.“

Nachdem auch Wulluwutsch sein Brot aufgegessen hatte, verschnürte er den Rucksack und schnallte ihn wieder auf seinem Rücken fest.

„So, jetzt können wir weiter, Henri. Es wird bald dunkel und wir müssen noch einen Platz zum Schlafen finden.“

Als ob Henri ihn verstanden hätte, lief er ein paar Schritte voraus, bellte einmal und lief wieder zurück. Dann lief er wieder vor und blickte zurück.

„Ich glaube, ich habe verstanden“, murmelte Wulluwutsch und folgte Henri.

Sie liefen ein Stück am Seeufer entlang, als Henri sich plötzlich nach links wendete und in Richtung eines kleinen Waldes lief, der sich auf einem kleinen Hügel befand.

Wulluwutsch lief hinterher und auf einmal sah er eine Höhle vor sich. Der Eingang war nicht sehr groß und einige Sträucher verdeckten ihn so, dass er

auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen war. Henri war schon drin als Wullwutsch hineinging.

In einer mit Moos bedeckten Mulde lag der Hund und wedelte mit seinem Schwanz.

„Hier wohnst du also, Henri. Das ist ja toll. Und guck mal, hier ist ja auch eine kleine Quelle. Da haben wir immer genug zu trinken.“

Die Höhle war nicht so groß wie andere Höhlen, von denen Wulluwutsch schon Bilder gesehen hatte, aber groß genug, um es sich hier gemütlich zu machen.

„Weißt du was, Henri, das wird jetzt unser neues Zuhause. Und als erstes werde ich uns etwas zu Essen besorgen.“

Wulluwutsch nahm seinen Rucksack, öffnete ihn und holte ein Taschenmesser, eine Angelschnur und einen Korken hinaus.

„Komm mit, wir gehen jetzt angeln.“

Draußen vor der Höhle war die Erde schön locker, so richtig schwarzer Humus. Mit dem Taschenmesser stocherte Wulluwutsch in der Erde herum, bis er einen dicken Regenwurm erwischte.

„Damit fange ich uns einen richtig großen Fisch. Komm, Henri, wir gehen zum See!“, forderte er Henri auf. Von einer noch jungen Weide schnitt Wulluwutsch einen langen Zweig ab und entfernte die Blätter.

„Das wird die Rute.“

Am See angekommen band er die Schnur an die Weidenrute, band den Korken an die Sehne, steckte den Wurm auf den Haken und warf die Angelschnur im hohen Bogen in das kühle Wasser des Sees.

Es dauerte auch nicht lange, bis der erste Fisch am Haken hing.

„Das muss ein ganz schön großer Fisch sein. Der ist nämlich gar nicht leicht an Land zu ziehen“, bemerkte Wulluwutsch. Und tatsächlich, der Fisch wehrte sich mit Leibeskräften und kurz vor dem Ufer wäre der Fisch beinahe entkommen. Aber Henri war mit einem schnellen Satz bei ihm und erwischte den Fisch an seiner Schwanzflosse.

„Gut Henri, den haben wir jetzt. Und du hast mitgeholfen. Klasse! Jetzt haben wir unser Abendessen.“

Wulluwutsch nahm seine Angel und Henri trug den großen Fisch in seinem Maul bis zur Höhle.

„Jetzt muss der Fisch aber noch gebraten werde, denn roh schmeckt er nicht. Mir jedenfalls nicht.“

Wulluwutsch klaubte einige Steine auf und legte sie in der Höhle zu einem kleinen Kreis zusammen.

Dann ging er in den Wald, sammelte trockenes Holz und vertrocknete Pflanzenreste.

„Man darf das Holz nicht vom Boden aufheben, dann ist es nämlich zu feucht und brennt nicht. Am besten ist Holz, das sich in den Zweigen und Ästen verfangen hat. Das ist schön trocken und brennt gut, wirst sehen, Henri.“

Wulluwutsch steckte zwei Hölzer mit der Astgabel nach oben in den Boden direkt am Steinkreis und legte einen anderen Zweig in die Astgabeln.

„Jetzt haben wir einen richtigen Grill, Henri.“

Die trockenen Pflanzenreste kamen in die Mitte des Steinkreises, die trockenen Hölzer platzierte er darüber.

Aus seinem Rucksack nahm Wulluwutsch eine Schachtel mit Streichhölzern.

Vorsichtig nahm er eines heraus.

„Damit muss ich sparsam sein. Mehr habe ich nicht.“

Dann entzündete er das Feuer.

„So, das hätten wir. Jetzt muss ich nur noch den Fisch ausnehmen und dann können wir bald essen, Henri. He, siehst du wie das Feuer flackert? Und der Rauch, er zieht nach oben ab, das heißt, dort muss es eine Öffnung nach draußen geben, und wir müssen den Rauch nicht einatmen. Jetzt können wir das Feuer die ganze Nacht brennen lassen. Dann wird uns auch nicht kalt.“

Gut das Wulluwutsch einen so guten Lehrer wie Daniel hatte. Sie waren nämlich ein Jahr zuvor für ein Wochenende zum Angeln gewesen und hatten die gefangenen Fische am Lagerfeuer gegart. Jetzt konnte Wullwutsch von dem Gelernten profitieren.

Bald schon war der Fisch ausgenommen und steckte auf dem Holz über dem Feuer, wo er von Wulluwutsch langsam gedreht wurde, um von allen Seiten gut durchzubraten. 

Endlich war der Fisch gar und wurde von Wulluwutsch entgrätet und gerecht aufgeteilt.

„Hier ist deine Hälfte, die hast du dir verdient, Henri. Aber pass' auf, der Fisch ist noch heiß.“

Henri blickte Wulluwutsch an, er hatte seinen Kopf dabei leicht zur Seite geneigt und wedelte mit seinem Schwanz.

Ein wenig warteten beide, bis der Fisch sich soweit abgekühlt hatte, dass man ihn essen konnte.

„Das war richtig lecker, nicht wahr, Henri?“

Als Antwort rülpste Henri, legte sich hin und schlief ein, denn mittlerweile war es dunkel geworden.

„Recht hast du, Henri. Ich leg noch ein wenig Holz auf das Feuer und dann wird geschlafen.“

 

 

 

Die Sonne ging auf, eine neuer Tag brach an. Wulluwutsch wachte auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen.

Erst mal zur Toilette, dachte er. Aber dann wurde ihm klar, dass er gar nicht mehr im Waisenhaus war.

Oh, dann muss ich ja draußen mein Geschäft verrichten, kam ihm in den Sinn.

Auch Henri wachte auf und kam schwanzwedelnd auf ihn zu. Beide gingen hinaus und erledigten ihr Morgengeschäft.

Zum Glück hatte Wulluwutsch noch ein wenig von dem gefangenen Fisch übrig gelassen, sodass sie etwas für das Frühstück hatten. Ihren Durst löschten sie mit dem köstlichen Quellwasser.

„Wenn wir etwas essen wollen, dann muss ich wohl oder übel etwas fangen“, sprach er mehr zu sich selbst. „Dann gibt es heute Mittag lecker Fisch. Aber vorher gehe ich in den Wald. Dort werde ich nach Beeren und Nüssen suchen. Komm, Henri, wir brechen auf!“

Wulluwutsch nahm die leere Fruchtsaftflasche und füllte sie mit Quellwasser. Mit einem Stück von der dünnen Schnur befestigte er sie an seinem Gürtel. Dann steckte er das Taschenmesser ein, nahm die leere Tüte in der das Brot war und ging mit seinem Freund Henri in den Wald.

Auf einer Lichtung entdeckte er viele Blaubeeren, die er aufsammelte und in die Tüte steckte. An einem Nussbaum wuchsen leckere Haselnüsse und schon bald war die Tüte mit Beeren und Nüssen gefüllt. Wulluwutsch war aber so mit dem Sammeln beschäftigt, dass er nicht gemerkt hatte, wie Henri sich entfernte.

„Henri!“, rief er. „Henri, Henri, wo bist du?“

Doch Henri war nirgends zu sehen. Wulluwutsch wurde traurig, endlich hatte er einen Freund gefunden, und jetzt war er plötzlich verschwunden.

Er rief und suchte weiter nach seinem Freund, aber der war nicht zu finden.

Traurig wandte er sich ab und machte sich auf den Weg zurück zur Höhle.

Vielleicht ist Henri ja schon längst in der Höhle, keimte Hoffnung in ihm auf.

Aber als er dort ankam war von Henri nichts zu sehen.

Tieftraurig setzte sich Wulluwutsch hin und legte die Tüte mit den Nüssen und Beeren zur Seite.

Dann zog er seine Beine an die Brust umschlang sie mit den Armen und wollte einfach nur noch weinen, als ein leises Fiepen vom Höhleneingang an sein Ohr drang.

Er guckte auf und sah seinen Freund in die Höhle kommen, in seinem Maul hatte Henri ein Kaninchen, das er vor Wulluwutsch ablegte.

Oh, war die Freude groß, als er seinen Freund Henri wieder hatte.

Wulluwutsch sprang auf, nahm Henri in seine Arme und war außer sich vor Freude.

„Und ich habe gedacht du wärst weggelaufen, dabei hast du uns bloß etwas zu Essen gefangen. Du bist der beste Freund den ich je hatte.“ Jetzt kamen ihm doch ein paar Tränen in die Augen. Aber dafür schämte er sich nicht. Schließlich hatte er seinen Freund wieder und sich völlig umsonst gesorgt.

„Heute Mittag gibt es Kaninchen, das wird lecker. Aber vorher muss ich das Fell noch abziehen. Gut, dass ich von Daniel weiß wie man so etwas macht.“

Wulluwutsch wusste aber nur theoretisch wie man so was macht, aber nach anfänglichen Schwierigkeiten schaffte er es und schon bald briet das Kaninchen über dem offenen Feuer.

 

 

 

Eine Woche war es nun her, dass Wulluwutsch in der freien Natur, zusammen mit seinem besten Freund Henri, die neugewonnene Freiheit erlebte.

Dass man im sich im Waisenhaus große Sorgen machte und auch die Polizei nach ihm suchte, daran verschwendete er keinen Gedanken. Zu aufregend war dieses neue Leben. Heute wollte er mit Henri am Seeufer spazieren gehen, spielen, herumtoben und vielleicht auch ein wenig im See baden.

Er nahm seinen Rucksack, legte Proviant und die Flasche mit Wasser hinein. Natürlich auch sein Taschenmesser und die Angelausrüstung.

So ausgestattet machte er sich mit Henri auf den Weg.

Es war ein schöner, sonniger Tag und die beiden Freunde wanderten am Seeufer entlang. Sie waren schon über eine Stunde unterwegs und legten eine kleine Rast am Ufer ein.

„Hier ist es schön, Henri. Wir machen eine kleine Pause, ich habe Durst. Es ist ja auch sehr warm heute.“

Wulluwutsch nahm einen großen Schluck aus seiner Flasche, während Henri seinen Durst mit Seewasser löschte.

Plötzlich hörte Wulluwutsch ein Geräusch und drehte sich um.

Ein Mann kam auf ihn zu und sagte: „Na, ihr beiden. Was treibt ihr denn hier? Hast du keine Schule, junger Mann?“

Wulluwutsch wollte vor Aufregung keine Antwort einfallen, aber dann sagte er spontan: „Schule? Aber es sind doch Ferien. Da habe ich keine Schule.“

Er wusste genau, dass die Ferien noch nicht angefangen hatten, aber vielleicht wusste der fremde Mann das ja nicht.

„Ferien, ja ja. Ferien. War das schön als ich auch noch Ferien hatte. Aber lang, lang ist es her. Du hast aber einen schönen Hund. Was ist das für eine Rasse?“

„Das weiß ich nicht“, antwortete Wulluwutsch.

„Hm“, sagte der Mann. „Ich schätze, das ist ein Mischling. Vermutlich ein Windhund und ein größerer Pinscher. Die langen Beine und das Fell an den Beinen sind vom Windhund und der Kopf sieht nach einem Pinscher, vielleicht ein Dobermann, aus. Ich glaube der ist noch jung, vielleicht sechs oder sieben Monat alt.“

„Stimmt genau“, erwiderte Wulluwutsch, um sich nicht zu verraten. Denn er wusste ja nicht wie alt Henri war, und zu welcher Rasse er gehörte wusste er erst recht nicht.

Der Mann setzte sich neben Wulluwutsch und fragte: „Hast du für mich auch einen Schluck Wasser?“

„Natürlich“, antwortete Wulluwutsch und reichte dem Mann die Flasche.

Puh, der stinkt aber, dachte Wulluwutsch als er so nah bei dem Fremden saß.

Und seine Kleidung könnte auch mal gewaschen werden.

Tatsächlich machte der fremde Mann einen sehr ungepflegten Eindruck.

„Darf ich deinen Hund mal streicheln?“, fragte der Fremde. „Wie heißt er denn?“

„Henri ist sein Name, und er ist mein bester Freund.“

Wulluwutsch rief Henri zu sich und artig setzte Henri sich vor ihm hin.

Der Mann kraulte Henri und griff mit seiner linken Hand in seine Jackentasche. Wulluwutsch konnte das nicht sehen, weil er rechts von dem fremden Mann saß.

Plötzlich hatte der ein Seil in der Hand, band es Henri um den Hals, stand auf und lief mit Henri davon. Henri wehrte sich und versuchte zu fliehen, aber der Mann war zu stark und zu schnell, sodass Wulluwutsch die beiden nicht einholen konnte.

„Gib ihn mir zurück! Henri, Henri! Befreie dich, lauf weg!“, rief Wulluwutsch, aber der Abstand wurde immer größer.

„Warum hast du das gemacht? Was willst du mit meinem Hund? Gib ihn mir zurück, sonst hole ich die Polizei!“

Der Fremde blieb stehen, drehte sich um und sagte: „Ich verkaufe ihn an ein Labor. Da kriege ich bestimmt 50€, die kann ich gut gebrauchen. Und die Polizei wirst du bestimmt nicht holen, du bist nämlich ein kleiner Ausreißer!“

„Woher willst du das wissen?“, fragte Wulluwutsch.

„Ganz einfach, du müsstest eigentlich in der Schule sein, die Ferien beginnen erst nächste Woche“, antwortete der fremde Mann.

Kalter Schrecken ergriff Wulluwutsch und ein ganz schlechtes Gefühl überkam ihn.

Das darf nicht passieren. Ich muss Henri retten, dachte er.

Der Mann ging mit Henri an der Leine weiter.

Wulluwutsch stand wie gelähmt da und rührte sich nicht. Aber das war Absicht, er wollte den Fremden nämlich in Sicherheit wiegen.

Er ließ ihn noch ein paar Schritte gehen, schlich sich dann seitlich in die Büsche und nahm die Verfolgung auf.

 

 

 

Leise verfolgte Wulluwutsch den Mann, der seinen besten Freund gestohlen hatte. Er blieb immer in Deckung und ließ den Abstand nicht zu groß werden.

Der fremde Mann bemerkte nichts und ging mit Henri, der sich immer wieder wehrte und heftig an der Leine zerrte, einfach weiter.

Nach etwa einer halben Stunde, Wulluwutsch kam das viel, viel länger vor, verschwand der Mann mit Henri in einem nahen Wald.

Dann jaulte Henri plötzlich auf und Wulluwutsch wusste nun in welche Richtung er zu gehen hatte. Eine Lichtung tat sich vor ihm auf. Ein kleines Zelt befand sich darauf, und der Fremde hatte Henri an einem kleinen Baum festgemacht.

Wulluwutsch blieb aber in Deckung und beobachtete erst einmal.

Der Mann kroch in sein Zelt und kam mit einer Flasche wieder hinaus.

Er trank einen Schluck daraus, rülpste und sagte: „Das tat gut. Wenn ich dich verkauft habe kann ich mir viel Schnaps kaufen. Bist ein richtiger Glücksbringer für mich, du...ich hab deinen Namen vergessen, Hund“

Wieder nahm er einen Schluck aus der Pulle und setzte sich hin. Wulluwutsch beobachtete weiter aus seiner Deckung heraus und sah wie der Mann reichlich von seinem Schnaps trank.

„Jetzt m...mach ich a...aber erst m...mal ein N...Nickerchen, dass d...du mir a...aber nicht a...abhaust, du H...Hund“, lallte der Fremde und legte sich hin. Wulluwutsch wartete bis ein lautes Schnarchen ankündigte, dass der Mann fest schlief.

Jetzt schlich sich Wulluwutsch vorsichtig heran.

„Pssst, Henri, leise bleiben“, flüsterte er und erreichte den am Baum fest gebundenen Freund. Vorsichtig löste er die Leine vom Hals und wollte schon fortlaufen. Aber plötzlich hatte er eine Idee.

Er nahm die Leine, schlich leise zu dem schlafenden Mann und band sie an einem seiner Beine fest. Wulluwutsch machte einen richtig festen Knoten, der so leicht nicht aufzukriegen war. Das andere Ende verknotete er an eine der Zeltstangen, ebenfalls mit einem richtig festen Knoten.

„Und jetzt los, Henri! Lauf, lauf!“, rief er und schon rannten beide los.

Der Mann erwachte, erkannte was geschehen war und sprang auf. Er wollte sofort hinterher laufen, aber plötzlich fiel er der Länge nach hin, das Zelt stürzte ein und der Mann kam nicht weiter. Er schaffte es auch nicht die Knoten zu öffnen und fluchte lauthals vor sich hin.

Uns so konnten die beiden Freunde einen großen Vorsprung gewinnen und erreichten ihre sichere Deckung in der Höhle.

Erleichtert über die geglückte Befreiung seines besten Freundes, hüpfte Wulluwutsch von einem Bein auf das andere.

Aber dann fiel ihm etwas ein. Was sollte er machen, wenn der fremde Mann nach ihnen suchte? Wulluwutsch nahm sein Taschenmesser und ging hinaus.

Draußen schnitt er lange, mit vielen Blättern bewachsene Zweige ab und tarnte damit den Eingang zu seiner Höhle.

Der Abend kam und Wulluwutsch befand, dass der Höhleneingang nun nicht mehr zu erkennen war. Dann zwängte er sich vorsichtig durch die Zweige in die Höhle hinein.

„Heute können wir kein Feuer machen, Henri. Das könnte uns verraten. Wir müssen ganz still bleiben.“

Es wurde dunkel und mit der Dunkelheit kam auch die Angst, denn Wulluwutsch hörte aus der Ferne Stimmen. Henri fing an zu knurren und so wusste Wulluwutsch, dass draußen Gefahr lauerte.

„Psst, Henri. Still. Wir dürfen keinen Mucks von uns geben.“

Die Stimmen kamen näher und Wulluwutsch konnte nun verstehen, was eine der Gestalten sagte.

„Das hat doch keinen Sinn. Wir suchen schon seit Stunden diesen Jungen mit  seinem Hund. Lass es uns aufgeben.“

„Ich glaub du hast recht, wir werden morgen weiter suchen. Wir gehen jetzt.“

Erleichtert darüber, dass die Männer aufgaben drückte Wulluwutsch Henri fest an sich.

Als der nächste Morgen graute, hatte Wulluwutsch einen Entschluss gefasst.

„Henri“, sagte er. „Wir müssen diese Höhle aufgeben. Zu groß ist die Gefahr, dass uns die Männer finden. Ich packe jetzt all unsere Sachen und dann gehen wir. Wir gehen in die Welt hinaus, denn die Welt ist groß und wartet darauf, dass wir sie erkunden und neue Abenteuer erleben. Welt... wir kommen!“

 

Ende... Fortsetzung folgt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

Bild zu Die Abenteuer des kleinen Wulluwutsch

Wulluwutsch ist die Erfindung meiner damals 14 oder 15 jährigen Schwester. Ende der
1960ger Jahre hat sie mir und meinen beiden jüngeren Schwestern lustige Geschichten
mit Wulluwutsch vor dem Einschlafen erzählt. Bis heute unvergessen und nun digital
unsterblich.
Alfred Hermanni, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.09.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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