Christiane Mielck-Retzdorff

Sex ist eigentlich...


 
 
In einer großen Buchhandlung in dem mondänen Einkaufszentrum einer Millionenstadt. Eine modisch gekleidete, aber etwas scheu wirkende Frau Mitte Dreißig steht zwischen den Regalen und schaut sich suchend um. Schließlich bleibt ihr Blick an einem jungen Verkäufer hängen, der sofort herbeieilt. Mit seinem, morgendlich vor dem Spiegel geübten, Bauernfängerlächeln fragt er:
„Kann ich etwas für Sie tun?“
Da er nicht sehr groß ist, sieht er der Frau direkt in die Augen. Diese antwortet in normalem Tonfall und mit Bestimmtheit: „Sex ist eigentlich nicht so mein Ding.“
Das Lächeln des Verkäufers erstarrt zu einer Fratze, und er ringt darum, seine Verlegenheit zu verbergen. Ein leichtes Rot färbt seine Wangen, während er sich fragt, wie er die Aussage der Frau verstehen soll. Will sie mit dem Satz andeuten, dass sie nicht so auf Sex steht, aber bei ihm eine Ausnahme machen würde? Dann traute sie ihm auf diesem Gebiet Meisterleistungen zu. Eine echte Herausforderung, aber so leicht war er nicht zu haben. Sich auf seine Ausbildung besinnend, selbst anspruchsvollen und sogar ausfallenden Kunden gegenüber immer höflich und sachlich aufzutreten, unternimmt er einen zweiten Anlauf. Um möglichst viel Selbstsicherheit in der Stimme bemüht und mit verbindlicher Freundlichkeit fragt er:
„Womit kann ich Ihnen dienen?
Die Antwort kommt prompt und ganz selbstverständlich: „Sex ist eigentlich nicht so mein Ding.“
Nun tastet der Verkäufer möglichst unauffällig am Schritt seiner Hose herum, weil ihm der Verdacht kommt, die Kundin zieht aus einer Unachtsamkeit merkwürdige Schlüsse, doch der Hosenschlitz ist zu.
 
Der Filialleiter, der zufällig die Szene beobachtet, meint den Verkäufer in dem korrekten Umgang mit Kunden unterweisen zu müssen, allerdings ohne dem Gespräch genauer gefolgt zu sein und fragt die Frau:
„Hat der junge Kollege sie belästigt?“
Die Frau kann mit der Unterstellung nichts anfangen, fühlt sich aber verpflichtet zu antworten:
„Der junge Mann ist offensichtlich nicht gewillt, meinen Wunsch zu erfüllen.“
Ein tadelnder Blick des Filialleiters trifft den Verkäufer. Dieser meint sich rechtfertigen zu müssen und stottert unsicher:
„Sie wollte Sex.“
„Wie bitte?“, empört sich die Kundin. Dann mustert sie eingehend den nicht unattraktiven Verkäufer
„Darf ich den Herrschaften behilflich sein?“ mischt sich eine alte Dame ein, die gerade in der Nähe Bücher durchstöberte.
„Was verstehen Sie denn davon?“, ereifert sich der Filialleiter über die Unterbrechung.
Die alte Dame antwortet ruhig und mit schelmischem Grinsen:
„Ich weiß ganz genau, wovon die Kundin spricht.“
Der Filialleiter fühlte sich von der geballten und offensichtlich sexwütigen Weiblichkeit überfordert und hastete unter einem Vorwand davon.
„Sex ist eigentlich nicht so mein Ding. Das kann ich nur empfehlen,“ sagte die alte Dame.
Der Verkäufer schnappte nach Luft. Wenn alle Frauen diese Einstellung haben, was ist sein Leben dann noch wert? Wie ein geprügelter Hund schleicht er davon.
„Kommen Sie“, fordert die alte Dame die Kundin auf. „Ich weiß, wo sie finden, was sie suchen.“
Und tatsächlich hält sie wenige Augenblicke später ein Buch* in der Hand.
 
*„Sex ist eigentlich nicht so mein Ding“, Anthologie herausgegeben von Friederike Moldenhauer und Tina Uebel.    
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.09.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Buch von Christiane Mielck-Retzdorff:

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Trug und Wahrhaftigkeit: Eine Liebesgeschichte von Christiane Mielck-Retzdorff



Zum wiederholten Mal muss sich die Gymnasiastin Lisa-Marie in einer neuen Schule zurechtfinden. Dabei fällt sie allein durch ihre bescheidene Kleidung und Zurückhaltung auf. Schon bei der ersten Begegnung fühlt sie sich zu ihrem jungen, attraktiven Lehrer, Hendrik von Auental, der einem alten Adelsgeschlecht entstammt, hingezogen. Aber das geht nicht ihr allein so.
Die junge Frau muss gegen Ablehnung und Misstrauen kämpfen. Doch auch der Lehrer sieht sich plötzlich einer bösartigen Anschuldigung ausgesetzt. Trotzdem kommt es zwischen beiden zu einer zarten Annäherung. Dann treibt ein Schicksalsschlag den Mann zurück auf das elterliche Gut, wo ihn nicht nur neue Aufgaben erwarten sondern auch Familientraditionen, die ihn in Ketten legen.

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