Marco Mann

Das Geheimnis in uns



Gestützt auf einen alten Stab, dem kalten Wetter zum Trotz, stand er dort auf der höchsten Klippe und verhöhnte das Meer. Mächtige Wellen krachten gegen die steinerne Küste und schickten ein sanftes Vibrieren bis hin zu den Füßen des alten Mannes. Die letzten Sonnenstrahlen wärmten sein Gesicht, das von kalten Winden leicht gerötet war. In der Ferne vermischten sich die Schreie der Möwen mit dem bedrohlich wirkenden Grollen der schwarzen Wolken, die in rasendem Tempo den Himmel bedeckten. Einst war er so wild und ungestüm wie die riesigen Wellen, die versuchten die Klippen zu zermalmen. Doch nun vom Alter gebeutelt, halb zerdrückt von der Last des Lebens, mit einem Blick in den Augen der von einem langem Leben sprach, war sein Geist ruhiger.

Vor langer Zeit hatte er etwas gesucht, etwas so wertvolles, dass jeder Mensch es haben wollte. So unglaublich einzigartig, dass jeder danach suchte, ob er wollte oder nicht. Nie wurde es gefunden, nicht mal eine Hauch von einer Spur. Durch Wüsten war er gewandert, so heiß, dass jeder Atemzug in den Lungen brannte, so schmerzhaft, dass man das Gefühl hatte, nie wieder Luft zu bekommen. Sonne bleichte sein Haar und verbrannte die Haut. Und nachts kam die Kälte. Schlüpfte durch Kleider und Decken, fraß sich tief in die Knochen  kleine spitze Krallen, die niemals ganz verschwanden. Doch auch Berge hatte der alte Mann bestiegen. Von Felsen zerschrammt, atemlos durch dünne Luft und mit schmerzenden Waden. Ein ewiges auf und ab. Die Suche führte ihn bis in die Gipfel, der heiligsten Berge. An Orte, an denen man den Göttern näher war als sonst wo. Wie oft hatte er den Himmel berührt und nichts gespürt. Und so ging seine Reise weiter. Überquerte Meere, so gewaltig, dass man das Gefühl hatte sie würden niemals enden. Stürme hatte er getrotzt, so gigantisch und mächtig dass selbst erfahrene Seemänner vor Angst zitterten. Ins Wasser von Meerjungfrauen hatte er gepisst, gegen Kraken gekämpft und sich gegen Riesenhaie gewehrt als er Schiffbruch erlitt. So schrecklich das Atmen in der Wüste war, war es doch kein Vergleich damit, im Angesicht des Todes die nötige Ruhe zu bewahren um nicht zu ertrinken und sich beständig immer wieder an die Wasseroberfläche zu kämpfen. Lindwürmer hatte der alte Mann um Rat gefragt, Orakel um Hilfe erbeten, auf der ganzen Welt nach Prophezeiungen gelauscht. Doch das Wertvollste auf der Welt blieb ihm stets verborgen. Jahre vergingen, die Augen wurden müder, die Muskeln schwächer und die Gelenke schmerzten. Narben übersäten seine Haut und seine Seele und die Hoffnung auf den größten Schatz der Welt, floh aus seinen Gedanken.

Doch dann kam dieser Tag, der Tag an dem das Schicksal eine Entscheidung traf. Eine Entscheidung die das Verlangen der Menschheit nach dem Schatz löschen sollte. Es war ein schwüler Tag. Der alte Mann durchschritt den Felesteni-Wald, einst bevölkert von Elfen und Feen, noch bevor die Menschen existierten. Mitten im tiefsten Wald, dunkler als die schwärzeste Nacht und stiller als der stillste Ort. Ein Ort der Ehrfurcht und der Macht. Dort fand der alte Mann, endlich den größten Schatz der Welt. Tränen rannen über seine Wangen und hinterließen brennende Spuren auf seiner Haut. All das Leid das er ertragen musste war verschwunden, es war ihm, als wurde er neu geboren. Doch als ihm das volle Ausmaß des Schatzes bewusst wurde, entschloss er sich den Schatz nicht mit der Welt zu teilen.

Ein letztes Mal blickte der alte Mann auf das stürmische Meer hinaus, in Gedanken an die Vergangenheit, bis er sich schließlich umdrehte und in den Wald eintauchte. Er stellte sich neben einer schönen Eiche und verharrte dort, mit dem größten Schatz der Welt in seinen Armen. Jahre stand er dort und wurde immer mehr selbst zu einem Baum, bin schließlich nicht mehr zu erkennen war was er im Arm hielt und was er einst war.
Aus einem Samen entsprungen, ward er zu einem Baum und nur er kannte das Geheimnis des Schatzes, nur er wusste um den Sinn des Lebens nach dem die Menschheit noch immer sucht.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.09.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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