Christiane Mielck-Retzdorff

Tödliche Quote

 


 
Wie zufällig begegneten sich die beiden leitenden Angestellten, einer blond, einer dunkelhaarig, vor der Tür des Fahrstuhls. Sie lebten schon seit Jahren als Nachbarn in einem Vorort der Großstadt und bildeten eine Fahrgemeinschaft. Doch das durfte niemand wissen, denn als treibende Köpfe einer großen Bank, wurde von ihnen erwartet, dass sie die Wirtschaft ankurbelten und nicht durch übertriebene Sparsamkeit schädigten. Und im Grunde hätte auch jeder für sich gern auf der Autobahn das Gaspedal unter den Füßen gehabt, aber ihre Ehefrauen waren gerade auf dem Öko-Trip, und ihre Ehemänner hatten sich nur mühsam gegen die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wehren können. Eigentlich sollten sie zur Förderung ihrer Gesundheit auch wenigstens teilweise die Treppe benutzen, sozusagen als Frühsport, aber da konnten die beiden Männer vor ihren Gattinnen siegessicher mit dem unternehmenseigenen Fitnessraum trumpfen, den sie allerdings noch nie von innen gesehen hatten.
 
Während sie nun auf den, am Morgen stark frequentierten, Fahrstuhl warteten, gesellte sich eine Vorstandssekretärin zu ihnen. Sie war ungewöhnlich jung für diesen Posten. Böse Zungen behaupteten sogar, sie hätte ihn nur ihrem weiblich gerundeten Aussehen zu verdanken. Diesen optischen Eindruck konnten die beiden leitenden Angestellten nur bestätigen. Und Frau Schulze galt als Bildzeitung der Firma, was sie sogleich unter Beweis stellte.
„Guten Morgen, die Herren. Haben sie schon gehört, dass sich gestern nach der Vorstandsitzung Frau Friedemann-Lustig aus dem Fenster ihres Büros gestürzt hat?“
„Nein, das ist ja schrecklich“, antworteten die Männer unisono ohne jegliche Betroffenheit. Dann sinnierte der Blonde von beiden: „War das nicht diese hagere Quotenfrau?“
„Ja“, bestätigte Frau Schulze eifrig, „und ich habe meinem Chef ja gleich gesagt, sie ist mit dieser Aufgabe vollkommen überfordert.“
„Was hat sie eigentlich vorher gemacht?“, fragte der Dunkelhaarige.
„Sie war die Leiterin unseres Facility Managements oder einfacher gesagt, sie beaufsichtigte die Putzkolonnen“, erklärte die Frau in abfälligem Tonfall.
„Aha“, sagte der Blonde ohne ernsthaftes Interesse.
„Und warum hat man sich nicht für eine andere Frau entschieden?“ fragte der Dunkelhaarige.
„Weil keine andere Angestellte den Posten haben wollte. Dabei ist das Gehalt beeindruckend. Aber mich hat man ja niemand gefragt, ob ich das machen will.“
Die beiden Männer zuckten die Achseln und drückten ungeduldig auf den Knopf, um den Fahrstuhl herbeizurufen.
„Doch jetzt kommt das Beste“, freute sich Frau Schulze. „Wegen der Quote soll nun ein männliches Mitglied des Vorstands aus dem Fenster seines Büros springen. Damit wollen die Herren ein Zeichen für die Gleichberechtigung setzen und verhindern, dass eine neue Frau gesucht werden muß.“     
Die beiden Männer der geheimen Fahrgemeinschaft sahen sich nachdenklich an. Dann fragte sie: „Und wer ist dafür vorgesehen?“
„Das wird in einer Sitzung heute nachmittag beschlossen. Und ich darf sogar das Protokoll führen. Mein Chef kommt natürlich nicht für diese Lösung des Problems in Frage. Der hat vorgesorgt und sich bei einem Betriebsunfall eine hohe Abfindung für seine Witwe in den Vertrag schreiben lassen. Clever, nicht?“
Es trat kurzes Schweigen ein, und der Fahrstuhl öffnete endlich seine Tür für die Wartenden.
Im Hineingehen murmelte Frau Schulze deutlich hörbar: „Aber Stil hatte Frau Friedemann-Lustig schon. Sie zerschmetterte genau auf ihrem Parkplatz für Vorstandsmitglieder. Dabei besaß sie gar kein Auto.“
 
 

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