Richard von Lenzano

Im Jenseits

Im Jenseits
(eine skurrile Betrachtung )
 
 

 
Es war soweit.
Die Glocken der evangelischen Kirche fangen zu läuten an. Erst die großen und dicken, danach die kleinen, die sich mit hohem Ton dazu gesellen.

Menschen, teils in dunkel gewandet, betreten die Kirche, andere in normaler Straßenbekleidung mischen sich dazwischen. Die meisten gehen nach vorn, kurz vor den Altar, wo der blumengeschmückte Sarg steht. Man verharrt kurz, verbeugt sich und sucht sich einen freien Platz. Einige legen noch diverse Kränze, Gebinde und Blumen vor dem Sarg ab und vertiefen sich in ein kurzes Gebet.
Links und rechts vom Sarg sind Kandelaber mit riesigen Kerzen aufgestellt, welche ein leicht flackerndes, kaltes Licht ausstrahlen.

Ich habe meinen schwarzen Anzug - den nadelgestreiften - an, trage darunter ein weißes gestärktes Hemd sowie saubere Unterwäsche. Meine Hände sind zum Gebet gefaltet, zwischen meinen Fingern befinden sich zwei rote Rosen.
 
Die Lage im Sarg ist momentan noch einigermaßen bequem, obwohl es doch leicht beengend ist. Da er hoch aufgebahrt ist, kann ich jedoch alles sehen und erkennen, habe den idealen Überblick. Allerdings kann ich dem Geläut der Glocken nichts abgewinnen, finde sie einfach zu laut.
 
Nach wenigen Minuten verstummen sie, es tritt Ruhe in den alten Gemäuern der Kirche ein. Diese wird aber durch den Organisten jäh unterbrochen, der die „Toccata in C-Dur“, von Bach, intoniert, während gleichzeitig der Pfarrer nach vorn zum Altar schreitet. Unmittelbar vor mir bleibt er stehen, murmelt ein Gebet, schlägt ein Kreuz und begibt sich zum Altar.
 
Es werden Predigten gehalten und christliche Lieder gesungen, während ich interessiert auf die Trauergemeinde schaue um zu sehen, wer alles erschienen ist. Ich staune ab und zu, denn es waren einige Damen und Herren dabei, von denen ich dies nicht gedacht hätte. Es kann aber auch sein, dass sie nur Flagge zeigen wollten – nach dem Motto: Ich war auch da!
 

Nun kommt der Rückblick des Pastors, indem er mein Leben von der Geburt bis heute im Detail preisgibt. Einiges davon kenne ich, einiges ist mir unbekannt, ich muss doch ein ordentlicher Mensch gewesen sein, fast ein Supermann – könnte man mich jetzt sehen, wäre meine fahle Blässe einem mittleren Rouge gewichen.


Jetzt bin ich aber mit meinen schwebenden Gedanken abgeschweift und bekomme gerade noch mit, dass alle zusammen das gemeinsame Vater-Unser beten.  Es folgt die Aussegnung, dann werde ich angehoben, mit den Füßen voran aus der Kirche getragen und in den Leichenwagen gestellt.
Mit langsamer Fahrt setzt sich der Zug in Richtung Friedhof in Bewegung.


Jetzt wird es mir doch ein wenig mulmig, da ich ja weiß, was mich dort erwartet. Aber, solange ich alles, was sich außerhalb von mir abspielt sehen und erkennen kann, denke ich ein wenig hoffnungsvoller. Am Grab angekommen werde ich auf Bohlen abgestellt, die man über den offenen Grund gelegt hat. Jetzt folgen letztlich noch einmal eine Aussegnung und  - ein Gebet für mich und meine Seele - danach lassen mich die Träger mit dicken Tauen ins Erdreich hinab gleiten.
 
Angefangen vom Pastor verharren alle kurz zu meinen Füßen, manche murmeln ein Gebet, andere freuen sich bereits, dass die Zeremonie endlich vorbei ist und sie zum Leichenschmaus können, und werfen mit einem Schäufelchen Erde auf mich.

Man nahm es wörtlich, da der Pastor ja gesagt hatte:  Erde zu Erde und Staub zu Staub!


Es dauert nicht lange und ich bin alleine, mit meinen Nachbarn zur linken und rechten Seite. Das Erste, was mir auffällt, ist die himmlische Ruhe, die mich umgibt. Doch, es folgt ein schweres Getöse und Gepolter, weil die ausgehobene Erde nun auf mich und meinen Sarg geworfen wird. Da ich ja nicht in meinem Körper bin, sondern außerhalb des Grabes schwebe, kann ich alles sehen, was sie tun und was geschieht. Bisher wusste ich nicht, dass es doch eine Knochenarbeit ist, so ein großes Grab wieder zu schließen. Na ja, vielleicht haben sie dafür morgen zwei Urnengräber, die machen nicht so viele Umstände.
 
Endlich ist das Grab geschlossen, Kränze, Gebinde und Blumen sind darauf drapiert und es kehrt Friede ein.  Jetzt  bin ich so erschöpft, dass meine Seele dringend zur Ruhe kommen muss. Ich begebe mich in eine alte und ausladende Platane, lasse mich dort nieder und vom Gesang der Vögel beruhigen.
 
 
Die erste Nacht ist schon ungewohnt, so ganz alleine, ohne Menschen, in freier Natur zu sein.
Aber was ich nach Sonnenaufgang alles erleben kann ist schon erhebend, stimmt mich teilweise auch nachdenklich.

 
So kommt ein altes, gramgebücktes Mütterlein mit einem Blumenstrauß zum Grab ihres Mannes, putzt den Stein, zupft hie und da ein wenig Unkraut, steckt die Blumen in eine Vase, während ihre Lippen fortlaufend in Bewegung sind. Ich konzentriere mich darauf und kann erkennen, dass sie mit ihrem Hugo schimpft, weil er sie viel zu früh verlassen hat.  Mit feuchten Augen verlässt sie Grab und Friedhof.

 
Ein alter, gebeugter Rentner kommt getippelt, in der rechten Hand einen Krückstock und in der anderen einen schlichten zusammengeklappten Feldhocker.  Zielstrebig geht er zu einem Grab und legt Hocker und Stock ab, fasst in die rechte Hosentasche, holt ein großes Taschentuch heraus und wischt den Grabstein ab. Danach schüttelt er es kurz aus und steckt es zerknüllt wieder in die Hose.
Er klappt nun seinen Stuhl auf und setzt sich mit Blickrichtung zum Stein langsam nieder.
Dann holt er aus der Jackentasche eine Packung Zigaretten heraus, entnimmt daraus  zwei Stück und zündet sie mit einem Streichholz an. Dabei zittern seine Hände und es dauert einen Moment, bis beide Zigaretten glimmen. Mit dem kleinen Satz:  „Bitte meine Liebe“, legt er eine Zigarette in einen auf dem Grab abgestellten Aschenbecher ab, Mundstück zum Stein zeigend.

 
Gedankenverloren und wortlos zieht er nun den Glimmstängel in sich rein, drückt danach den Rest in dem Ascher aus, nimmt die noch glimmende Zigarette vom Ascher, pafft noch ein paar Züge und drückt sie ebenfalls aus.
Mit seinem Stock macht er ein kleines Loch in das Grab, deponiert dort Kippen und Asche, bläst den Ascher sauber, stellt ihn wieder ab. Danach richtet er noch ein paar Blumen und legt ein Gesteck gerade, bevor er wieder aufsteht, seinen Stuhl zusammenklappt, den Stock unter den Arm nimmt und imaginär dem Grabstein zuwinkt.
Mit den Worten „bis Morgen meine Liebe“, verabschiedet er sich vom Grabe seiner Frau, die zu früh verstorben war.

 
Der Tag geht zu Ende und die nächste lange Nacht beginnt. Unter dem gewaltigen Blätterdach meiner Platane komme ich zur Ruhe, dämmere langsam in den Schlaf.
Plötzlich, ein lauter Knall, der mich aus dem Schlaf schreckte. Ein Gewitter war aufgekommen und ich hatte es nicht bemerkt.  Ich will mich krampfhaft an meiner Platane festhalten, stelle aber mit Entsetzen fest, dass sie keinen Stamm und keine Blätter mehr hat.

 
Um mich herum tiefste Dunkelheit.
Ich habe keine Möglichkeit mehr, mich in meinen Körper zurückzuziehen, um dem Unwetter zu entgehen – ich muss es einfach aushalten.

 
Langsam und vorsichtig öffne ich meine Augen und sehe – nichts.
Es ist stockfinster und panisch vor Angst schlage ich um mich, um mich festzuhalten.


Plötzlich fällt etwas auf meine Brust – ich taste danach und stelle fest – es ist aus warm und – aus Fleisch und Blut.
Schweiß rinnt mir aus allen Poren – ich kann nichts mehr zuordnen.


Dann beginnt die Hand auch noch zu reden:  
„Liebling, ich bin‘s doch nur, du hattest wohl einen schlimmen Traum und – draußen tobt ein schweres Gewitter!“

 
Ganz langsam wurden meine Sinne klar, die Traumwelt schwand und ich stellte fest, dass ich nicht gestorben war und - glücklicherweise - im Bett neben meiner Frau liege.
 
 
 
Richard von Lenzano
© 08-2011
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.10.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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