Die Uhr schlug metallen und irgendwo tropfte Wasser. Er erwachte. Es war ein Krankenhausbett. Konnte aber auch ein Lazarett sein – oder seine Wohnung. Es schien ihm, als sei er schon immer hier gewesen, als hätte er schon immer das Schlagen der Uhr, das Tropfen des Wassers vernommen. „Jeder“ – in einem unendlich langen Moment dachte er das – „legt das Ausmaß“ – und der Gedanke „Ausmaß“ war sehr gezogen – „seiner Hölle selbst fest“: Manchmal war sie banal, selten fatal und bei geringen Fällen amüsant (wenn man Galgenhumor besaß!). In den Dejavus, die er mit diesem Raum verband, hatte es je und je Frauen gegeben, Ärzte, widerscheinende Lichter, lange Bänke mit Verwundeten.
Nein. Heute war es ruhig. Seufzend ging er zum Wasserhahn und stellte ihn ab. Im Staate Ra war es nicht ohne Vorteil, in einem Krankenzimmer aufzuwachen; der Supervisor hatte dann wenig zu tun. Und das war ihm recht. Er mutete keinem Beamten gern mehr zu, als sie ohnehin schon taten. Er war ein guter Staatsdiener. Er roch Gas und warnte seine Nachbarn. Er ging ganz normal zur Arbeit, er passte sich an. Dennoch hatten immer wieder Dejavus von diesem Raum gekündet. Ein Raum wie verpackt und abgesteckt. In jedem Fall fand er sich so gut zurecht wie nicht nach allen Sprüngen. Doch er hatte einen Gedanken. Dieser Raum war eine Strafe. Und in den Vorstadien hatte er zwischen „Wohnung“, Krankenzimmer“ und „Lazarett“ wählen können. Deshalb war er sich auch anfänglich nicht sicher gewesen, wo er nun sei. Ja, eine Strafe. Aber immer noch besser, als zwischen Sarg und Urne wählen zu müssen. Das war auch schon Leuten passiert.
Er zog den Vorhang vom Fenster weg. Draußen war es Nacht und die hellen Augen – Straßenlaternen – sahen zu ihm hinein. Durch die Wände spürte er die Wärme schlafender Körper, aber er empfand sie als schal, er empfand alles, alles schal, weil er selbst den Eindruck hatte, schal zu schmecken, Unwesentliches zu tun! Noch ein Blick auf die Lichter. Stechend. Aber – schneefriedlich. Schneefriedlich, geisteskühl. Und in der Schneefriedlichkeit kommt die Liebe, kommt SIE, im Wintermantel. Vielleicht. Er nahm das Glas, das auf seinem Nachttisch stand, ging zum Wasserhahn und füllte sich etwas zu trinken ein. SIE hätte gesagt: „Wie kommst du beim Anblick eines alten, verrotteten Krankenbettes auf solche Gedanken? Schal schmecken tust du? Dann kotzen sie dich wenigstens wieder aus!“
Er saß auf seinem Bett. Der Staat Ra. Diese Errungenschaft. An Zimmern, an einer klaren Struktur der Belohnung und Bestrafung. Und ihm, dem Wassertrinker, kam der Gedanke, dass es im System einen Fehler geben müsse. Und der war innen. Wenn es aber so viele Räume wie Menschen gab, dann lag der Fehler darin, dass diese Räume austauschbar waren. Man konnte sich ja gegenseitig fühlen, sich durch die Wände atmen hören, aber nicht sehen. Der Fehler lag INNEN. Er kannte nur diesen Raum, aber es gab das Außerhalb. Er trank aus.
Ein Bild für Freunde von Modern Art. Es hängt in einer weißen Lounge über einem Esstisch, Titel: „Mann im Bett mit Wasserglas“, gemalt von dem derzeit angesagten Künstler „RA“.
Aberes gab das Außen und der Fehler lag INNEN.
Er roch Gas. Er alarmierte den Nachbarn nicht. Er kappte einen Draht unterm Teppich. RÄUME RA BILDER AUSSEN INNEN.
Die Laterne steht winterkühl, weihnachtshell, die Flocken fallen. Zeit für uns Kinder. Draußen steht SIE.
Der Draht reißt, sprüht Funken. BILDER RA BILDERBUCH DEJAVUS „DER ARME SUPERVISOR“ WEISSES ESSZIMMER.
Er geht durch die Schneefriedlichkeit, Licht unter Lichtern. Die Liebe. Da ist sie. Im Wintermantel. Und schon einen respektlosen Witz auf den Lippen
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.10.2012.
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