Jürgen Berndt-Lüders

Rieke’s Nutella-Diät

Rieke hatte von der Schokoladendiät gehört, und weil sie Schokolade über alles liebte, beschloss sie, ihr Übergewicht von 50 Kilo auf höchstens 29 zu reduzieren.  Sie wog nicht etwa 50 Kilo und wollte 29 wiegen, nein, sie wog 120 und wollte es auf 99 bringen. Und zweistellig würde sie sogar wieder Chancen bei Männern haben. So glaubte sie jedenfalls.
 
„Kind, such dir einen Eskimo. Die lieben fette Frauen“, riet ihr die Mutter.  „Weil die schlechte Zeiten besser überstehen. Fette Frauen gelten bei denen als schön.“
 
„Ich bin doch schön“, behauptete Rieke. „Guck mal, ich habe keine einzige Falte im Gesicht, obwohl ich schon über vierzig bin.“
 
„Das macht das Fett“, behauptete Mutter. „Das drückt die Haut so nach außen, dass sich gar keine Falten bilden können. Nein, bleib so dick. Die Frauen in unserer Familie waren alle wohlgenährt. Das liegt bei uns in den Genen. Und außerdem glaube ich nicht, dass man von Schokolade abnehmen kann. Das ist ein Märchen für Naive. Typisch Internet. Damit will nur die Schokoladenindustrie ihren Umsatz ankurbeln.“
 
Rieke hörte nicht auf ihre Mutter. Sie kaufte sich eine Klinikpackung Nutella und begann zu löffeln. Sie beschaffte sich einen Bauchladen von einem ehemaligen Stadionverkäufer und stellte das fünf-Kilo-Gebinde hinein. So hatte sie die Hände für ihre Nordic-Walking-Stöcke frei, und sie ging in den Wald, weil man ja auch Sport treiben soll, wenn man abnehmen will. Der in ihrer Nähe hatte breite Wege, und sie lief nicht Gefahr, irgendwo anzustoßen, bei ihrer Breite. Und immer, wenn sie Appetit auf Nutella hatte, machte sie eine Pause und löffelte.
 
Nach kurzer Zeit schaffte sie bereits hundert Meter in fünf Stunden, so oft hielt sie an und frönte ihrer neuen Schlankheitsdiät.
 
Der Mann ihrer Zukunft war kein Eskimo, aber ein Walker, der sich in die Gegenrichtung bewegte. Er blieb stehen, stutzte zuerst, und dann krümmte sich sein magerer Körper und er verschluckte sich vor Lachen.
 
Gegen sie war er kaum vorhanden. Eine regelrechte Null war er. Kaum Gewicht, aber eine laute Lache.
 
„Lachen sie mich aus oder an?“, fragte Rieke. Der wird mich nicht wollen, dachte sie gleichzeitig. Ich wiege noch keine neunundneunzig Kilo. Der könnte sich auf mir einmal komplett umdrehen.
 
„Ich werde Sie doch nicht auslachen“, behauptete Thomas, so hieß er nämlich. „Eine Frau wie Sie ist das gefundene Fressen für mich.  Sie sind so einmalig, so phantasievoll originell. Schon wie Sie den Löffel beim Nutella-Essen halten. Das macht Ihnen so schnell keine nach. Trinken wir einen Kaffee zusammen?“
 
Rieke war zwar die dickste, aber nicht die dümmste. Der Kerl war bestimmt auf ein Abenteuer aus, aber warum sollte sie keine Pause von ihrem anstrengenden Sport machen? Eine einzige ihrer  Armbewegungen konnte ihn aus dem Gleichgewicht bringen, falls er zudringlich werden würde. Wenn sie tief einatmete, hing er ihr quer vor der Nase.
 
Zudringlich?  Ihre für Männer relevanten Teile waren für einen Normalo derzeit kaum erreichbar. Vor allem nicht für einen Mann, der eine Null gegen sie war. Genau deshalb wollte sie ja auf 99 Kilo herunter.
 
Nach dem dritten Kännchen Kaffee und dem vierten Stück Sahnetorte war er ihr bereits so vertraut, dass sie bereit war, mit ihm zusammen  die Tomatenplantage zu bewirtschaften, die er besaß.  Die Tomatenzeit war angebrochen, sie wurde rot vor Freude und pflückte Tomaten. Immer abwechselnd eine ins Töpfchen und eine ins Kröpfchen.
 
Bei einer Mangeldiät soll man ja bei einer Sorte bleiben, entweder bei Schokolade oder Tomaten, und auch das nur kurze Zeit, aber im Internet  hatte sie an der Stelle nicht weiter gelesen.  So nahm sie immer mehr zu, und bei etwa hundertsechzig Kilo fragte sie ihren Thomas, ob sie ihn etwas Indiskretes fragen dürfe.
 
„Immer raus mit der Sprache“, rief der lachend. „Ich bin bei dir auf alles gefasst.“
 
„Könntest du dich mit dem Gedanken anfreunden, das Bad völlig umbauen zu lassen?“
 
„Schatz, dass du in keine Wanne passt, ist mir klar, aber wie ich weiß duscht du nur. Das Wasser wird doch wohl jeden Punkt deines herrlichen Körpers erreichen, oder?“
 
„Darum geht es nicht“, bekannte Rieke und wurde rot wie eine seiner überreifen Tomaten. „Ich brauche eine Toilette mit Unterspülung. Das gibt es jetzt auf dem deutschen Markt.“
 
Thomas unterdrückte ein unverschämtes Wiehern. „Jetzt brauchst du entweder eine Verlängerung deines rechten Armes oder eine andere Möglichkeit der Reinigung. Ich verstehe. Weißt du, ich mache dir einen Vorschlag: Tomaten und Schokolade zusammen sind zwei Dinge und ein Ding reicht wohl. Lass die Schokolade weg, bis du wieder um dich herum greifen kannst.“
 
„Und was mache ich bis dahin?“
 
„Nimm zwei Klobürsten, eine zum Gebrauch und eine zum Wechseln. Das ist zwar etwas stachelig, aber wenn du schnell abnimmst, brauchst du die nicht lange.“
 
So geschah es. Das Bad wurde nicht erneuert, die Klobürsten mit besonders weichen Borsten funktionierten,  und als Rieke sie nicht mehr brauchte, weil der Arm wieder lang genug war, hatte sie bereits so viel Freude an der Tomatendiät gefunden, dass sie das restliche Nutella einem christlichen Kinderdorf in Afrika spendete und einfach weiter machte.
 
„Schatz“, rief Thomas beim Frühstück, als Rieke endlich nahezu rank und schlank am Tisch saß und nur noch fast hundert Kilo wog. „Ich mache mir ein Tomatenbrot. Möchtest du auch eins?“
 
Rieke lächelte ihn verliebt an. „Nein, heute versuche ich es mal mit dir, du Null.“
 
Sie zog ihn an sich und küsste ihn heiß und innig. Flexibel wie sie war, stellte sie sich rasch auf ihre „Null-Diät“ um.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.10.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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