Christiane Mielck-Retzdorff

Das Schimpfwörterverbot


 
 
Das Haus nannte sich Seniorenresidenz „Liebstöckl“, womit die Betreiberin ausdrücken wollte, dass sich dort die Menschen in allen Stockwerken lieb hatten. Sie war eine echte Fachfrau, denn sie hatte schon eine ähnliche Einrichtung in den Konkurs gewirtschaftet und konnte nun alles besser machen. Die Ausstattung der Zimmer und Aufenthaltsräume genügte zwar kaum gehobenen Ansprüchen, dafür garantierten die Preise aber, dass nur wohlsituierte, alte Leute sich den Aufenthalt leisten konnten.
 
Da sich die Chefin ja auskannte, wußte sie auch um den verbreitete Mißmut der Anvertrauten, den sie in der Tatsache begründet sah, dass deren Dasein vollkommen sinnlos war. Deswegen hielt sie es für unabdingbar, Regeln aufzustellen, damit alle Bewohner respektvoll miteinander umgingen. Abgesehen von der Einhaltung strenger Ruhezeiten zwischen 13 und 15 Uhr sowie des Nachts zwischen 20 Uhr und sechs Uhr morgens, waren Beschimpfungen insbesondere gegenüber dem Personal unter Strafe verboten. Der Gebrauch von Schimpfworten wie Arschl… oder ähnlichem wurden mit einer Geldbuße geahndet. Wer sich zu solch unwürdigen Entgleisungen hinreißen ließ, mußte 5 Euro in die Kaffeekasse der Angestellten zahlen.
 
Das führte schnell dazu, dass das Personal in seinem Aufenthaltsraum nicht nur eine moderne Kaffeemaschine für sich nutzen konnte, sondern auch so manche Sektflasche den Kühlschrank füllte. Die Nachtschicht bekämpfte mit dem Prickelgetränk ihre Stimmungstiefs und die Langeweile. Auch nahm sie das energische Klingeln der Notsignale aus den Zimmern nicht mehr so ernst. Da wollte sich bestimmt wieder ein Insasse wichtig machen, der meinte in einem Hotel zu wohnen mit uneingeschränktem Zimmerservice. Meistens wurde das nervige Geräusch auch bald schwächer oder hörte ganz auf.
 
So herrschte eine friedliche Atmosphäre in der Seniorenresidenz, die bald von keinem Schimpfwort mehr getrübt wurde. Doch irgendwie wurden die männlichen wie weiblichen Angestellten auch mißtrauisch. Die alten Leute waren viel zu guter Laune und kicherten oft in sich hinein. Da war erhöhte Aufmerksamkeit gefordert. Und so meinte einer Pfleger plötzlich das Schimpfwort „Milchbubi“ zu hören. Sofort stellte dieser die verdächtigen Verursacherin zur Rede. Diese lächelte nur und erklärte unschuldig:
„Meine Tochter gibt ihrem Bubi immer Milch.“
Kurz darauf drang das Wort „Weichei“ in das Ohr des Pflegers. Der beschuldigte alte Herr antwortete nur schelmisch: „Morgen wünsche ich ein weiches Ei zum Frühstück.“
Die weiblichen Angestellten lachten über ihren verunsicherten Kollegen, und überhörten so das von Gekicher begleitete „Dünnbrettbohrer“. Erst als eine von ihnen hinter ihrem Rücken das Wort „Quarktasche“ vernahm, war auch sie empört. Aber sie mußte sich mit der Begründung zufrieden geben, es handele sich lediglich um den Wunsch einer Insassin nach einer Quarktasche zum Nachmittagskaffee. Die sie umgebenden grinsenden Gesichter ließen jedoch eine andere Vermutung in ihr keimen.
 
Im Personalraum wurden nun die Unverschämtheiten der Bewohner der Seniorenresidenz ausführlich besprochen. Das durfte man sich nicht bieten lassen. Es wurde eine Strategie entwickelt, sich in den Aufenthaltsräumen der Alten so zu postieren, dass alle Gespräche belauscht werden konnten. Die Kaffeekasse war leer und der Sekt ausgetrunken. Es mußten also dringend Schimpfworte ausgemacht werden, um die notwendigen Einnahmen zu erzielen.
 
Und gleich am nächsten Tag fiel das Wort „Gurkentruppe“. Eindeutig eine Beleidigung, die eine Zahlung nach sich ziehen mußte. Doch der Angeklagte entschuldigte sich mit der Erklärung, er wünsche sich eine Gurkensuppe. Eine Pflegerin konnte sich kaum noch beherrschen, als sie meinte, als „Trockenpflaume“ bezeichnet zu werden, doch auch hier handelte es sich angeblich um einen Irrtum, denn der Mann verlangte nur nach Trockenpflaumen für seine Verdauung.
 
Genauso war die „alte Plantschkuh“ ein vermißtes Badeutensil und der „Vollpfosten“ schuld an einer Beule am Kopf des einen Bewohners. Die „Matschbirne“ war in einem Obstkorb gewesen und ordnungsgemäß auf dem Kompost entsorgt worden, und das gemeinschaftliche bauen einer „Vogelscheuche“ würde doch sicher allen Spaß machen. Die alten Leute hatten sichtliches Vergnügen beim Ersinnen von Schimpfworten, die doppeldeutig waren, während die Angestellten langsam unter Verfolgungswahn litten. Und immer noch war die Kaffeekasse leer.
 
Nun war die Leiterin des Unternehmens als regelnde Kraft gefordert. Also ließ sie überall Abhöranlagen installieren, offiziell zum Schutz der betagten Menschen. Doch die teuren Geräte funktionierten nur eine Stunde. Es wußte nämlich keiner von dem Personal und auch die Chefin nicht, dass einer der Bewohner der Seniorenresidenz vorher Elektrotechniker bei einer Sicherheitsfirma gewesen war. Und schon klagen wieder Worte wie „Besen“ und „Dreckshaufen“ ganz unauffällig durch die Gänge, getragen von der ausgelassenen Stimmung der Bewohner der Seniorenresidenz Liebstöckl.    
 
 
    
 

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