Jürgen Berndt-Lüders

Panische Angst kurz vor Mitternacht!

Berlin. Sonntagnacht dreiundzwanzig Uhr zweiundzwanzig. Marion hatte am Wochenende ihr gesamtes Kleingeld auf die Bettler und Straßenmusiker der Stadt verteilt und die Scheine beim Shoppping verjubelt, als ihr einfiel, dass sie am Montag ganz früh wieder Bargeld brauchte. Also stieg sie vorm Schlafengehen noch einmal die vier Treppen  ihres Mietshauses hinunter und machte sich auf zum Bankautomaten um die Ecke.
 
Sie sah sich vorsichtig um. Niemand da, der ihr über die Schulter sehen konnte. Die Scheckkarte verschwand im Schlitz, und hastig tippte sie ihre 4stellige Geheimzahl ein.  Der Automat ratterte und spuckte hundert Euro aus: Einen Fünfziger, einen Zwanziger, zwei Zehner und zwei Fünfer. Sie steckte das Geld ein, entnahm die Scheckkarte und machte sich auf den Weg nach Hause.
 
„Pardon“, rief jemand hinter ihr. Sie erschrak, Sie drehte sich um. Ein riesiger Afrikaner stand hinter ihr. Der Mann zeigte auf ihr Portemonnaie, dass sie eben in ihre Jackentasche gesteckt hatte. Was er sonst noch sagte, verstand sie nicht, aber eigentlich war eindeutig, dass er Geld wollte.
 
Marion drehte sich um und lief panisch davon. Der Mann folgte ihr. Was sollte sie tun? Er hatte sie nicht bedroht, hatte nur verlegen auf ihre Geldbörse gezeigt. Und weil sie ein gutes Herz hatte, zog sie ihr Portemonnaie und entnahm ihm einen Fünfer. Den hielt sie ihm entgegen.
 
Der Riese schüttelte den Kopf. Er zeigte weiter auf ihr Geld. Also nahm sie den Zwanziger und hielt ihn hin. Wieder war er nicht einverstanden, und sie nahm seine Hand und drückte ihm die gesamten hundert Euro hinein. Er hielt das Geld fest, lächelte verlegen und zeigte weiter auf ihre Geldbörse.
 
Sie öffnete die Fächer ihre Portemonnaies und bewies, dass sie leer waren. Wieder schüttelte er den Kopf und sah sie verlegen an.
 
Marion verzweifelte. Was wollte er? Mehr? Wollte er womöglich ihre Scheckkarte? Dann fehlte ihm noch die PIN. Wollte er also das gesamte Portemonnaie, in der Hoffnung, dass sie er irgendwo die Geheimzahl fand, die sie auf einen kleinen Zettel geschrieben hatte?
 
Wäre es vielleicht besser, um Hilfe zu rufen? Die Straßen waren leer, aber irgendwo gab es sicherlich einen Menschen, der helfen konnte. Aber bisher hatte der Mann sie nur verlegen angelächelt und auf ihr Portemonnaie gezeigt. Das war keine Straftat, und sie lief Gefahr, sich zu blamieren.
 
Entschlossen drehte sie sich um und marschierte die paar Schritte, die sie noch vom Mietshaus trennten. Sie schloss auf und hastete hinein. Ehe er ihr folgen konnte, zog sie die Tür hinter sich zu. Gerettet! Jetzt noch die Treppen hinauf...
 
Die Haustür öffnete sich hinter ihr. Er schloss sorgfältig ab und folgte ihr. Der Mann hatte also einen Haustürschlüssel. Was war das jetzt? Atemlos blieb sie auf dem Treppenabsatz stehen und registrierte, dass er vor einer Wohnungstür halt machte. Er sah sie an und lächelte verzweifelt...
 
Hatte er sich ausgesperrt?

Richtig. Hatte ihr Schwager nicht davon erzählt, dass man eine Tür, die nur zugefallen, aber nicht abgeschlossen ist, mit einer Scheckkarte öffnen kann?
 
Eine gewaltige Angst fiel von ihr ab. Rasch gab sie ihm die abgelaufenen Karte der Krankenkasse, die das Scheckkarten-Format hatte, und mit einer raschen Bewegung zog er sie durch den Türspalt, drückte gegen die Tür, und  die sprang auf, als ei nichts gewesen.
 
„Oh, mein Gott“, rief sie. „Und ich dachte schon...“. Er verstand sie nicht, aber er hatte die ganze Zeit ihre Angst gespürt. Sie tat ihm leid, und deshalb nahm er sie in den Arm, drückte sie kurz und gab ihr die Karte und die hundert Euro zurück.
 
Frau Danckwardt hinter dem Spion in der Nebenwohnung drehte sich zu ihrem Mann um und fand, dass dies wieder typisch für Marion, die Schlampe sei. Ließ die sich doch sogar auf den bulligen Neger ein, der erst vorgestern eingezogen war. Und bezahlen ließ sie sich auch noch. Sie hatte genau gesehen, dass er ihr Geld gegeben hatte...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.10.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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