Jürgen Berndt-Lüders

Amanda setzt sich durch

Amanda war die einzige Frau auf der Großbaustelle in Dubai. Sie arbeitete in einem der Räume, die als Container übereinander gestapelt waren und bediente den Computer.
 
Sie war der Anlaufpunkt für sämtliche Lieferanten und Besucher, meist Araber, die keine europäischen Frauen gewöhnt waren und die viel mehr als sie auf die Waage brachten. Zumal sie auch noch gut aussah und modern gekleidet war, musste sie die Anmache sämtlicher Männer ertragen, und nicht selten wurde einer zudringlich, wenn auch nicht dem Maße, dass sie sich hätte beschweren können.
 
Amanda war Single, und bei den Maurern hieß sie nur „Keinmannda“, was sie nicht besonders störte. Nur an Wochenenden, wenn niemand heim fahren konnte, war es für sie kaum erträglich. Dann verzog sie sich in ihren Wohncontainer, schloss zweimal um, schaute fern, spielte mit ihrem Laptop und telefonierte mit Mama im fernen Deutschland.
 
Heute war Firmenjubiläum. Der Vize-Chef kam aus der Hauptstadt und brachte Bier und zwei Flaschen Roten, und letztere speziell für Amanda.
 
„Soll ich Sie vielleicht für ein paar Tage mitnehmen?“, fragte er besorgt, als er die Übermacht der Männer verinnerlicht hatte. „Wir hätten noch genügend für Sie zu tun.“
 
„Nein, danke“, rief Amanda stolz. „An mich traut sich keiner mehr ran. Ich habe ein spitzes Knie.“ Demonstrativ hob sie das Bein, als wolle sie dem Chef die wertvollsten Teile demolieren. Der grinste nur, tippte sich an den Bauhelm und verschwand.
 
Je leerer die Bierflaschen wurden, desto voller waren naturgemäß die Handwerker. Noch hatte sie der Polier im Griff, noch waren sie sich darüber klar, dass es sie den Job kosten konnte, wenn sie zu aufdringlich wurden.
 
„Weißt du, was der Unterschied zwischen der Hochzeitsnacht und Zahnschmerzen ist, Mandy?“ fragte Egon, der Rohrleger.
 
Amanda zuckte mit den Achseln.
 
Bei Zahnschmerzen muss einer raus, und in der Hochzeitsnacht? Na?“
 
Alles grölte.
 
Amanda sah Egon gelassen an. Glaubte der, sie mit solchen Kinkerlitzchen provozieren zu können?
 
„Du glaubst jetzt, dass ich von dir hören will, dass in der Hochzeitsnacht einer rein muss, nicht?“, fragte Egon.
 
Amanda sah ihn unvermindert an und rührte sich nicht.
 
„Nein“, schrie Egon und stellte sich auf die Bank. „Falsch, absolut falsch. Richtig ist, dass du dich freust, wenn du in der Hochzeitsnacht keine Zahnschmerzen hast.“
 
Keiner lachte, keiner rührte sich. Der Witz schien uralt zu sein. Amanda sah ihre Chance.
 
„Wieso kann sich jemand über so etwas freuen, wenn er gar nicht daran denkt, Zahnschmerzen haben zu können? Hat er denn vor der Hochzeitsnacht Zahnschmerzen gehabt? Und wirken jetzt womöglich die Tabletten, die er eingenommen hat?“
 
„Du hast keinen Humor, Mandy“, fand Egon und wollte sie kurz drücken, als täte sie ihm leid. Der Polier pfiff warnend durch die Zähne.
 
„Ich kenne auch einen“, behauptete Amanda und dachte sich einen Witz aus, während sie erzählte. „Kommt ein Rohrleger an einer Baustelle vorbei, auf der nur Frauen arbeiten. Er zieht den Bauch ein und läuft wie ein Gockel. Sagt die Vorarbeiterin: „Apropos Halbes Hähnchen. Ich bestelle mir eins für die Mittagspause. Will noch eine was?“
 
Die Männer lauerten. Wie würde Egon reagieren?
 
„Und? Wollte noch eine eins? Oder haben sie sich alle auf den Rohrleger gestürzt?“ fragte er unsicher.
 
„Klar. Sie haben ihm Geld gegeben und ihn los geschickt, Hähnchen holen. Als Kalfaktor* war er gerade noch zu gebrauchen.“
 
Alles wieherte vor Lachen. Das passte Egon nun gar nicht, und auch sein Kollege Ibrahim war nicht sehr von dem Gedanken angetan, dass hier ein Mann von einer Frau vorgeführt wurde.
 
„Die Frauen haben alle nicht viel getaugt“, fand er. „Wieso haben die alle Arbeit und er läuft dumm auf der Straße rum?“
 
„Komm, trink noch einen, Ibi“, rief der Polier.
 
„Ich trinke keinen Alkohol“, rief Ibrahim. „Das wisst ihr, und der Chef weiß das auch. Und trotzdem hat er nichts außer Alkohol mitgebracht. Bin ich Terrorist? Bin ich von Al Kaida?“
 
Alles erstarrte. Die Fröhlichkeit war verflogen. Wie würde die Feier ausgehen?
 
„Komm, Ibi“, rief Amanda. „Komm mit mir.“ Sie stand auf, winkte mit dem krummen Zeigefinger und ging wortlos nach draußen. Ibrahim schaute sich hilflos um, aber als ihn alle anfeuerten, folgte er.
 
„Die steht also auf Araber“, rief Egon. „Jetzt wissen wir endlich, weshalb sie auf uns nicht reagiert.“
 
„Weil er beschnitten ist“, behauptete ein anderer. „Da dauert es länger.“
 
„Ruhe, Männer“, donnerte der Polier. „Mandy ist eine Kollegin und keine Nutte. Merkt euch das.“
 
Mandy schloss ihren Container auf und bat ihn zu warten.
 
Als sie zurück waren, präsentierte Ibrahim stolz eine angebrochene Kiste Cola.
 
„Wer will meinen Wein?“, rief sie in die Menge. „Ich trinke nämlich auch keinen Alkohol“,  aber das ging bereits im Beifall der Kollegen unter
 
 
*Ein Kalfaktor ist lt. Wikipedia eine Hilfskraft oder ein Bediensteter, der einfache Arbeiten verrichtet.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.10.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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