Jerome Winefield-Kraus

Als die Enten auf dem Eissee schwammen


Liebe Frau Okada,

wieder einmal Freitagmorgen und ein erneutes Mal fagen wir uns nach dem Sinn morgenstündlicher Arbeit, die versteckt in goldenfarbenen Lettern und zwergenhafter Überschrift im Dunklen eines kleinen Vorzimmers angefertigt wird, ohne dabei von etwaigen Personen erwischt zu werden.Nun stellen wir uns natürlich die Frage: wie kann man bei der Arbeit erwischt werden?
Scheinantwort: indem man den wahren Sinn der Arbeit etwas anders interpretiert, als es der gewöhnliche Intellekt zulässt. Nun erhält man eine fulminante Formel, die den wahren positiv denkenden Individualist den Zugang zur wahren kreativen Arbeit öffnet. Treten wir ein in das Land der etwas anderen Arbeit und vergessen die chimärenhaften Gestalten, deren Schatten in glühwürmchenartiger und filigraner Eleganz um unseren Körper tanzt und versucht, schleierhafte Gedanken in die Köpfe unserer, die gerade damit beschäftigt sind, ein Wort an das nächste zu reihen und ihre Gedanken an den Eissee mit den schwimmenden Enten verfrachtet haben, zu transferieren. Und gerade an diesem Eissee sitze ich nun und blinzle verstohlen auf das komisch blickende Mädchen mit dem seltsamen Namen May Kasahara und sehe, wie sie die kleinen Tiere mit Dingen füttert, die den Anschein haben, silbern in der Morgensonne zu glänzen. Vielleicht schein dir dieser ganze Wortschwall völlig unsinnig und ohne Struktur. Doch hinter dieser Wand, bedeckt mit Farnen der Mühseligkeit steckt ein Symbol, dass in Geheimschrift geschrieben ( kein Sanskrit) nur die entziffern können, welche die Formel der Glückseligkeit entdeckt haben. Willkommen im Land der Aufziehvögel. Mit einem hölzernen Schläger hämmere ich auf die veloursüberzogene Tastatur und beobachte dabei, hinter noch nicht vorgezogenen Gardinen das muntere, gesellschaftliche Treiben des Zentaur, der sich in einem der vielen Verwaltungsbüros versteckt hielt und erst im Morgengrauen mit sichelfarbenen Glocken den Tag einläutet. Leider vernahm ich diesen Klang zu spät, da ich, wie es der Zufall so wollte, zu spät in die Hemisphären der Glocke eindringen konnte. Doch dessen Folgen ungeachtet, blieb mir genug Zeit um mich auf dem goldenen Teppich der Erkenntnis auszurollen und nun lausche ich den Glocken des morgendlichen, religiösen Zirkels, angeführt durch eine vermummte Dame mit Biberaugen und Edelsteinmantel. Ach, wie herrlich ist doch dieses frühe Treibe der ersten Stunden. Nun wird es aber wieder Zeit, auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. Abgelenkt von anderen Tätigkeiten werde ich immer wieder in das einfach gestrickte Land der Arbeit zurückgeworfen und langsam verhallt auch das knarrende Geräusch, wie es ein jedes Mal klingt, wenn der Aufziehvogel sein Feder aufzieht. Nur noch einmal, Frau Okada, nur noch einmal möchte ich dieses Geräusch wahrnehmen. Und mit viel Anstrengung kann ich es zurück schaffen. Zurück in das Land des Vogels, der mit seinen Augen so traurig blicken kann, wie ein einsamer Tiger am Elefantengrab des Hochlapitalismus. Soviel zum Klirren der Luft. Nun ist aber Schluss mit der Symbolik der Fische. Mit der Zeit verstehe ich mich wohl selbst nicht mehr.
Werden wir also ein wenig verständlicher und kehren zurück in das Land der Lamettawörter. Einfach gemacht und formlos in der Luft hängend, werde ich mein Worte nun deutlicher an dich richten, um dir den Montagnachmittag mit oder ohne Hilfe deiner Konsorten und hyperboreeischen Kaffeemaschine zu versüßen.
Natürlich kann ich nicht versprechen, dass so ein Vorhaben klappt. Es hängt wohl von der Person selber ab, wie und ob sie überhaupt verstehen möchte. Dich aber kenne ich als Person, die gerne verstehen möchte und es in Bezug auf die meinige auch kann. Ich gratuliere, du bist eine der wenigen. Springen wir rasch auf die nächste Seite und singen unser Lied vom fröhlichen Verwaltungsangestellten weiter. Zwar scheint die Melodie nicht halb so melodiös, wie das Kreischen eines/einer Neugeborenen, doch mit viel Anstand und ästhetischem Hochmut lässt sich hier ganz fröhlich ein Liedchen pfeifen, zumal ich sowieso nur noch eine Stunde und wenige Minuten hier verweilen muss, um dann den Sonnenstrahl hinunter oder rauf, in meinen Schamlspururlaub springe. So ein Tanz auf dem Regenbogen ist einfach was herrliches. Solltest du mal probieren, als kleine Nebenalternative zum Schreien im Fichtewald der Euphorie.
Kommen wir zum Schluss. Es ist alles wie es sein soll. Das Eis ist geschmolzen und auch die Enten sind nicht mehr da. Ganz zu schweigen von May Kasahara. Vielleicht taucht sie am Ende der Woche wieder auf. Für dich hingegen beginnt die Woche erst. Was für ein Jammer. Aber mit der nötigen, schriftlichen Unterstützung deines braven Kollegen wird es hoffentlich nicht so schlimm enden.
Bleibt mir nur noch, dir eine schöne Woche zu wünschen. Immer weiter tanzen und lachen, lachen und tanzen. Im Hotel Delphin ist alles möglich. Nur die Phantasie allein ist der Schlüssel zur Welt des Schafmanns und des Aufziehvogels.

Wir werden uns wiedersehen. Spätestens am Tag der toten Ente.

Bis dahin verbleibe ich dein

Valentin Miller.

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