Florence Siwak

Was macht dein Vater eigentlich?




„Was macht dein Vater eigentlich?“
fragte Michi harmlos, zu harmlos.
Die Häme dahinter vermutete keiner, der ihn nicht näher kannte.
Ich war gerade auf dem Weg zu meinem Vater und erzählte das meinem alten Schul“freund“ auch.
„Wir arbeiten gemeinsam an einem Projekt. Ein Verlag will seine Geschichten herausbringen.“
„Wird ja auch Zeit, Alter. Ich weiß noch, was er immer für irre Storys erzählt hat, die er irgendwann aufschreiben wollte.
Sag mir Bescheid, wenn man sie lesen kann.“
Michi klang nicht gerade überzeugt und sein süffisantes Grinsen ließ mich wissen, dass er an eine Veröffentlichung nicht glaubte.
Verständlich – und wahr.

Auf dem Weg erinnerte ich mich mit aller Deutlichkeit. An Besuche von Freunden, die ich immer weniger zu uns einlud.
Waren mir doch die Fragen peinlich.
„Was macht dein Vater eigentlich?“
„Er schreibt.“
„Was schreibt er?“

Ja was eigentlich. Ich wusste keine Antwort.
Er redete immer davon. Hatte Ideen, die ihm das Hirn versengten. Erzählte mir Passagen.
‚Wenn ich das Buch verkaufen kann, fahren wir nach Australien…‘ bekam ich zu hören.
Er hat es nie geschrieben. Wir sind nie gefahren. Nirgendwohin.
Nie habe ich eine Zeile von ihm gesehen, werde aber auch niemals seine bunten Geschichten vergessen,
mit denen ich aufgewachsen bin.
Die eine oder andere ging mir durch den Kopf auf dem Weg zu ihm.
Vielleicht schreibe ich sie ja auf. Irgendwann.
Im Moment habe ich noch keine Zeit.

„Hallo, Papa" begrüßte ich ihn und berührte seine eingefallene Wange flüchtig mit meinen Lippen,
die von dem langen Weg kalt waren.
Gottlob bewohnte er das Zimmer allein und ich musste meine Stimme nicht dämpfen, hatte ich doch die Hoffnung,
ihn irgendwie zu erreichen in seinem Versteck, in dem er seit Monaten hauste.

Ängstlich, aber auch vertrauensvoll blickte er zu mir auf, als ich mich neben sein Bett setzte und ihm – wie jeden Tag –
eine weitere seiner Geschichten erzählte, die mir einfielen.

I c h konnte mich an die meisten erinnern, er nicht, wie seine Augen berichteten, die über meine Schulter hinweg ins Leere blickten.
Vielleicht aber sieht er ja auch nicht ins Leere, sondern in die Vergangenheit oder Zukunft.

Heute hatte ich zum ersten Mal einen Block und Stift dabei, um mir Notizen zu machen.

Schließlich hatte ich denselben Vornamen wie mein Vater und vielleicht konnte ich ja Michi irgendwann einen Geschichtenband
in die Hand drücken.

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