Jürgen Berndt-Lüders

Eine andere Art von Facebook

Vor vier Jahren hatte Justus endlich seinen Beruf zum Hobby machen können. Sicherlich hatte er schon immer gern geschrieben, aber wenn man unter Termindruck schreibt, macht der schönste Beruf keinen Spaß.
 
Als er pensioniert war, hatte er sich im Internet ein Forum gesucht, in dem er seine Geistesblitze los werden konnte, ohne dass ihn jemand drängte. Das würde wieder die Art von Begeisterung schaffen, die er früher genossen hatte. Und sicherlich würde er Arbeiten von Gleichgesinnten finden, mit denen er sich austauschen konnte. Vielleicht gab es den einen oder anderen jungen Kollegen, der für  ein paar Tips für das Schreiben und im Umgang mit Verlagen und Lektoren dankbar war.
 
Er staunte nicht schlecht über das, was er vorfand. Obwohl der Name des Forums eher auf Kurzgeschichten hin deutete, wurde die Rubrik Gedichte wesentlich häufiger genutzt. Justus, stur wie er war, beteiligte sich mit Geschichten in der Art, wie er sie während seines Berufslebens erfolgreich angeboten hatte, denn seiner Erfahrung nach interessierten sich heute nur noch wenige Menschen für Gedichte.
 
Wurden Gedichtbände nicht wie Sauerbier bei den Verlagen angeboten, ohne dass es zu Verträgen kam?
 
Kaum jemand reagierte auf Justus’ Arbeiten. Die Geschichten wurden wohl zwanzig, dreißig mal angeklickt, aber lediglich 3, 4 Interessierte äußerten sich dazu. Es waren meist dieselben, die seine Schreibe kannten und mochten.
 

  • Wäre er Anfänger gewesen, hätte er vermutet, dass seine Geschichten schlecht seien und dass die Leser nur zuviel Taktgefühl besäßen, um ihm dies mitzuteilen. Aber die Erfahrung deutete auf Anderes...
 
Justus versuchte es mit Gedichten, schon um sich bekannter zu machen. Nun, das Gehirn eines geübten Autoren ist auf Wortfindungen geprägt, und so war es für ihn keine Schwierigkeit, gute Gedichte zu schreiben. Die Reaktionen waren ausgesprochen positiv, aber wenn er sich die Arbeiten anderer Autoren  ansah, die nicht besonders gut gelungen waren, stellte er fest, dass starke Resonanz nicht unbedingt bedeutete, dass vermehrt Tips zur Verbesserung der Qualität gegeben wurden. Im Gegenteil, die Kommentare waren oft sehr schemenhaft in Form eines Briefs abgefasst. Mit Anrede, Lob und guten Wünschen zum Schluss.
 
Justus schrieb den Autoren, die ihren Arbeitsweise nicht ganz so gut beherrschten wie andere, gut gemeinte, private  Mails mit Hinweisen, die meist als schulmeisterhaft abgetan wurden. Je häufiger er sich einbrachte, desto weniger wurden seine Arbeiten kommentiert, vor Allem von den Angeschriebenen nicht.
 
Eine lange Testphase begann. Justus stellte fest, dass sehr kurze Gedichte bevorzugt waren, wobei die von bekannten Autoren wesentlich häufiger kommentiert wurden als die von weniger bekannten, und zwar völlig unabhängig von der Qualität der Arbeiten. Und immer positiv, mehr in der Art von Begrüßungen, als dass sie sich auf die Arbeit bezogen.
 
Wenn Kritik bei Gedichten unüblich, ja unerwünscht war, und wenn die Rubrik Kurzgeschichten wesentlich weniger frequentiert wurde, gab es vielleicht die Möglichkeit, sich dort positiv einzubringen. Qualität setzt sich schließlich überall auf der Welt durch, und wenn die grußfreudigen  Gedichte-Freaks sich hin und wieder mal zu den Prosa-Autoren verirrten, würde auf Dauer sicherlich mehr Bewegung in die Prosa-Szene kommen.
 
Tatsächlich wurden Kurzgeschichten inzwischen  häufiger angeklickt. Ob sie auch gelesen  wurden, war nicht klar erkennbar, aber eines war sicher: nach wie vor gaben nur wenige zum Ausdruck, ob ihnen die Geschichten gefallen hatten oder nicht.
 
Arbeiten von Gleichgesinnten konsumieren ohne zu kommentieren? Was war das für eine Einstellung zum Hobby? Ging es den Usern vielleicht wirklich nur darum, sich gegenseitig zu grüßen und sich Komplimente zu schenken, damit sie zurück gegrüßt wurden? So wie man Nachbarn freundlich begrüßt und erwartet, dass in gleicher Art zurück gegrüßt wird?
 
War das bei Kurzgeschichten mit zuviel Arbeit verbunden? Eigneten sich Gedichte für dieses Ansinnen wesentlich besser, weil sie kürzer waren und weil, sie zu lesen, weniger Zeit in Anspruch nahm? Konnte man so mit wenig Aufwand so viele wie möglich grüßen, und konnte man damit rechnen, von Vielen unterhalb von Gedichten zurückgegrüßt zu werden?
 
  • War dazu ein Chat nicht viel geeigneter als ein Forum für Gedichte und Kurzgeschichten?
 
Eine andere Art von Facebook, fiel Justus dazu ein, aber er beschloss, das Beste aus den kaum änderbaren Voraussetzungen zu machen und seine Kurzgeschichten weiter einzustellen, sie zu sammeln und über seinen Verleger zu veröffentlichen, sobald er genügend geschrieben hatte.
 
„Lehre mich zu ändern, was geändert werden kann und hinzunehmen, was nicht änderbar ist“, hatte er irgendwann im Laufe seines Lebens gelesen, und in diesem Sinn handelte er ab sofort.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.10.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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