Timo Koppitz

Neue Freundin?


Sie
kam neu in unsere Klasse, obwohl das Schuljahr gerade erst begonnen hatte. Der
Platz neben mir war wie letztes Jahr frei geblieben, denn die anderen Mädchen
bildeten ihre eigenen kleinen Grüppchen – die Streberinnen, die Coolen und die
Punker. Und ich passte da scheinbar nirgends dazu. Als unser Klassenlehrer,
Herr Mainka, an diesem Mittwoch um 8 Uhr mit Sina den Raum betrat, wurde mir
klar, dass mein kleines Königreich vorne am Pult nun einen neuen Mitbürger
bekam – es war ja sonst kein anderer Platz mehr frei in unserem Klassenzimmer.
In
der ersten Stunde hatten wir Mathematik. Sina saß stumm neben mir, entweder mit
verschränkten Armen oder die Handflächen auf den Knien. Der Schultag verlief
ohne nennenswerte Kontakte, die „Neue“ fragte mich nur nach dem Weg zu den
Toiletten. Der Gong zum Schulschluss trennte unsere erste Begegnung. Am
nächsten Morgen kam Sina genau wie ich schon um 7.30 Uhr vor unser
Klassenzimmer. Wie selbstverständlich setzte sie sich zu mir und begann, sich
über die Hausaufgaben zu beschweren. Damit war die große Eiswand zwischen uns
beiden in Sekunden weggeschmolzen. Wir schimpften gemeinsam über die fiesen
Matheaufgaben, die riesen Berge an Vokabeln und den viel zu langen Aufsatz.
Dass die anderen nach und nach auch eintrafen, bemerkte ich an diesem Tag gar
nicht. Die Stunden zogen sich lähmend, die Pausen waren ab diesem Tag viel zu
kurz und mein ehemaliges ruhiges und individuelles Königsreich wurde erneut
erschüttert, denn von den Lehrkräften wurden wir wegen unserer Privatgespräche
mehrmals ermahnt. Sina berichtete mir von der Scheidung ihrer Eltern und dem
damit verbundenen Umzug in unsere Stadt, ihrem nervigen kleinen Bruder und
einer ganzen Menge witziger Geschichten aus ihrer alten Schule. Dabei wurde sie
aber ein wenig traurig. Nach Schulschluss verabredeten wir uns für den späteren
Nachmittag bei ihr Zuhause.
Wir
quatschten bis in den Abend und um ein Haar wäre ich zu spät zum Abendessen
nach Hause gekommen. Mein Vater grinste: „Das kenne ich ja gar nicht von dir.
Werden wir jetzt einen zweiten Telefonanschluss brauchen?“ „Vielleicht?“
erwiderte ich.
Ich
freute mich von da an immer richtig auf die Schule.
Die
folgenden Wochen waren grandios. Ich verbrachte viel Zeit mit meiner neuen
Freundin. Wir schlenderten durch die Stadt, wir verabredeten uns zum Kino und
wir tuschelten in der Schule in den Stunden.
Dann
kam der Montag, als ich wegen übler Bauchschmerzen nicht in die Schule konnte.
Auch den Dienstag musste ich noch Zuhause verbringen. Als ich am Mittwochmorgen
wieder in die Schule kam, stand Sina bei einigen anderen Mädchen und unterhielt
sich lachend mit ihnen.
„Na,
wieder fit?“ war alles, was Sina zu mir sagte. „Du hast doch kein Problem
damit, dass ich mich heute mal hinter zu Victoria setze? Melina ist krank und
da ist dann ein Platz frei.“
Auch
die Pausen verbrachte sie mit den anderen Mädchen, beobachtete mich aber immer
aus den Augenwinkeln.
Traurig
ging ich nach der Schule nach Hause. Die nächsten Schultage verliefen dann
wieder nach dem alten Schema:
Ich
isolierte mich, mümmelte stumm in den Pausen mein belegtes Brot und versuchte,
jeden Blickkontakt mit Sina zu vermeiden. Sie begrüßte mich zwar immer
freundlich und sagte auch „Tschüss“, allerdings blieb mein Königreich ein
„Ein-Frau-Gebiet“.
Am
Wochenende fasste ich schließlich  allen
Mut zusammen und rief bei Sina an.
„Hallo!
Schön, dass du anrufst!“
„Ich
wollte mal fragen, warum du nichts mehr mit mir zu tun haben möchtest?“
Sina
antwortete verwirrt: „Aber du hast mich doch links liegen gelassen, nur weil
ich einen Tag mal bei Victoria sitzen wollte?“
„Aber
du hast doch … .“ Weiter kam ich nicht.
„Ich
komme gleich vorbei“, murmelte Sina ins Telefon

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.11.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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