Jürgen Berndt-Lüders

Konrads innere Stimme

Es war am Samstag, kurz nach halb zehn. Konrad schaltete den Fernseher ein. Erstmals in seinem Leben hatte er Lotto gespielt. Eigentlich war es wirklich eine Spielerei gewesen, denn die Gewinnchancen, einen Sechser zu haben, liegen bei eins zu vierzehn Million. Sehr unwahrscheinlich bei den geringen Chancen, etwas zu gewinnen.
 
Wenn nicht Günther Jauch am vergangenen Montag seinen „Wer wird Millionär“-Kandidaten gefragt hätte, was er denn mit sechzehntausend Euro anzufangen gedächte, wäre er nie auf die Idee gekommen, Lotto zu spielen.
 
Ja, etwas mehr Geld konnte Konrad gut gebrauchen, und es hatte ihn schon Überwindung gekostet, das, was er hatte, für einen Lottoschein einzuplanen.
 
Die erste Zahl stimmte, die zweite ebenfalls, und als sich die dritte und vierte Zahl als richtig vorausgeahnt heraus stellte, stieg die Spannung in ihm. Am Ende waren es alle sechs. Nur mit der  Zusatzzahl lag er daneben.
 
Konrad hielt die Luft an. Der Blutdruck und die Atemfrequenz stiegen. Sein Körper produzierte massenhaft Adrenalin, Serotonin und Qxytocin und wie die Aktivierungs- und Belohnungshormone noch alle heißen mögen. Ihm wurde schwindelig. Er sprang auf und warf eine billige Blumenvase in die Ecke, dass es krachte und die Scherben durch das Zimmer sprangen. Er tanzte um den Tisch herum wie ein Indianer um den Marterpfahl, und er überlegte, ob er sein Glück aus dem Fenster brüllen sollte.
 
Ich bin reich, dachte Konrad, als er langsam wieder klar im Kopf wurde. Mein Leben wird sich nun ändern. Es hätte sich schon mit ein paar Tausendern geändert gehabt; mit sechzehntausend von Günther Jauch beispielsweise. Aber nun waren es an die vierhundert- bis fünfhunderttausend. Weit mehr als genug.
 
Konrad legte sich ins Bett und dachte nach.
 
War dieser Gewinn vielleicht ein göttliches Dankeschön für seine Einstellung zu den Menschen? Schließlich hatte er nur deshalb so wenig Einkommen, weil er seine geistigen Kapazitäten nie gegen jemand Anderen eingesetzt, weil er niemals jemanden übervorteilt hatte. Andere gingen skrupellos vor, aber Konrad achtete stets darauf, dass  es in allem, was er tat, keine Verlierer gab.
 
Es muss einen Gott geben, dachte Konrad. Bei der geringen Gewinnchance etwas zu gewinnen kann nur eine Belohnung sein.
 
Ja, glaub nur daran, dass es einen Gott gibt, sagte eine Stimme in ihm. Unsinn, du hast einfach Glück gehabt. Aber meinetwegen glaube. Schaden kann es nicht.
 
Was sollte er mit dem Geld anfangen?
 
Kauf dir ein dickes Auto, sagte die Stimme. Lass dich herrichten und stylen, damit du eine Frau findest und nicht mehr so allein bist.
 
Ich mag aber keine Angeberautos, dachte Konrad. Ich habe meine alte Kiste, die reicht mir, und eine Frau, die ich nur durch Geld gewinne, taugt sowieso nichts.
 
Kauf dir ein Haus, flüsterte die Stimme. Dann musst du keine Miete mehr zahlen.
 
Was soll ich mit einem Haus, fragte sich Konrad. Ein gutes Haus kostet mich meinen kompletten Gewinn. Selbst wenn ich tausend Euro Miete für ein Haus pro Monat rechnen würde, könnte ich fünfhundert Monate von meinem Gewinn Miete zahlen. Das sind mehr als vierzig Jahre. Selbst wenn ich noch so lange lebe, gehört es mir zwar am Ende, aber ich kann es schließlich nicht mit ins Grab nehmen.
 
Zweifel kamen in ihm auf. Hatte er die Gewinnzahlen auch richtig notiert? Konrad erhob sich und schaltete den Computer ein. Er suchte die Lottozahlen im Internet und verglich sie. Richtig, er hatte sich nicht vertan. Die Zahlen stimmten. Und eine neue Waschmaschine würde er gebrauchen können; an der alten zeigte sich Rost. Und die Küche war auch nicht mehr die modernste.
 
Was tue ich hier eigentlich, fragte er sich. Das Geld, was er noch nicht einmal besaß, brachte ihn jetzt schon in eine Lage, in die er nie hatte kommen wollen. Die Stimme in ihm hatte ihm die Möglichkeit gelassen, an Gott zu glauben. Das wäre niemals ein guter Glaube gewesen, erkannte er, sondern ein Deal in Form von: Du hast mir geholfen, Gott, also danke ich dir, indem ich an dich glaube.
 
Die Stimme hatte gesagt, dass er ein Haus und ein Auto kaufen solle. Das würde wieder neuen, lebensverkürzenden Stress bringen. Und mit Sicherheit würde ihm die Stimme eine Kreuzfahrt empfehlen, teure Clubs und Freundschaften mit einflussreichen Leuten. Wenn er auf die innere Stimme hörte.
 
Was sollte er mit all dem Plunder? Hatte er nicht jetzt schon Freunde und Bekannte, die sicher nie Geld von ihm erwarten würden? Und zeigten sie ihm dadurch nicht täglich, dass sie es ehrlich mit ihm meinten?
 
Was ihn erwartete, war keine höhere Lebensqualität. Der Gewinn bedeutete mehr Stress als Freude. Das Geld würde ihn nicht glücklicher machen.
 
Konrad erschrak. Hatte er den Lottoschein überhaupt abgegeben? Es reichte doch nicht, einen Schein auszufüllen. Man muss ihn auch in der Annahmestelle einreichen. Er kontrollierte den Schein, und es war keine Quittung darauf.
 
Irgend etwas hatte ihn daran gehindert, den Schein zur Annahmestelle zu bringen. Er hatte ihn einfach im Handschuhfach seiner alten Klapperkiste liegen gelassen und nicht mehr daran gedacht.
 
Er sah in sein Portemonnaie, und das Geld, was er hatte, reichte morgen für den Einkauf. Es hätte nicht gereicht, hätte er es für einen Lottoschein ausgegeben.
 
Dies war der Beweis. Es gibt einen Gott, und der meint es gut mit mir, dachte Konrad. Er dankte Gott, dass er ihn vor einem Irrtum bewahrt hatte.

Dies ist eine Kurzgeschichte und nicht autobiografisch. Weder habe ich einen Lottoschein ausgefüllt und vergessen, den Schein abzugeben, noch würde ich mich freuen, wenn ich weniger Geld hätte. Ich würde dadurch auch nicht gläubiger werden als ich schon bin.

Bei Geschichten kommt es m. E. nicht darauf an, ob die Handlung dem Autor oder dem Leser gefällt, sondern darum, ob es dem Autor gelungen ist, die Haltung des Protagonisten verständlich rüber zu bringen.

Wenn dies nicht so wäre, könnten nur Kriminelle Krimis schreiben und nur Verbrecher Krimis lesen.

Jürgen Berndt-Lüders, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.11.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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