Jürgen Berndt-Lüders

Ein Abschied für immer?

Jutta erwachte. Es war fünf Uhr, Zeit zum Aufstehen. „Will“, flüsterte sie und fühlte mit der Hand nach ihrem Mann.
 
Das Bett war leer. Sicher war er auf der Toilette.
 
„Guten Morgen“, rief Jutta im Wohnzimmer, so wie jeden Morgen, aber Will antwortete nicht. Er stand am Fenster und sah hinaus. Jutta schaute zur Couch hinüber. Ein Couchkissen und die zerknautschte Wolldecke zeigten an, dass Will heute Nacht hier geschlafen hatte.
 
„Was ist los?“, fragte sie, aber Will antwortete nicht. Er drehte sich um, sah ihr ein paar Sekunden lang traurig ins Gesicht und ging ohne den üblichen Abschiedskuss.
 
Das ist wie ein Abschied für immer, dachte sie urplötzlich.
 
Auf der Flurgarderobe lag ein Zettel. „Grüß’ Herbert schön. Ich komme nie wieder“, stand drauf.
 
Was hatte sie Will angetan? Was war so schlimm, dass er sich von ihr trennen wollte? Vor allem, welche Bewandtnis hatte die Sache mit diesem Herbert?
 
Sie wählte seine Handy-Kurzwahl. Ehe sie etwas sagen konnte, gab er ihr eine kurze, trockene Anweisung.
 
„Such dir einen Anwalt. Eine einvernehmliche Scheidung gibt es nicht. Und vergiss nicht: grüß Herbert schön.“
 
Jutta setzte sich und starrte gegen die Wand. Tränen bildeten sich in ihren Augen.
 
Was war das für ein Herbert? Will’s wenige Worte deuteten darauf hin, dass er glaubte, sie habe ein Verhältnis mit einem anderen. Jutta kannte niemanden, der Herbert hieß, außer Herbert Grönemeyer vielleicht. Was hatte das alles zu bedeuten?
 
Jutta wusste von einem Arbeitskollegen ihres Mannes, einem Manni. Den rief sie an. Seine Frau meldete sich.
 
„Hier ist Jutta. Sag mal, kennst du einen Herbert?“
 
Schweigen im Telefon. Die Frau räusperte sich. „Du, ich hänge mich da nicht rein. Ihr müsste eure Sachen selber in den Griff kriegen. Tut mir leid.“ Sie legte auf.
 
Herbert war also ein Arbeitskollege von Will und Manni. Und das Gerücht, sie hätte was mit dem, musste schon die Runde gemacht haben.
 
Jutta war verzweifelt. Wie sollte sie jetzt tun? Wen konnte sie anrufen, ohne sich zu blamieren?
 
Richtig! In Will’s Schreibtisch musste die Firmenzeitung liegen. Dort wurde von der letzten Grillfete berichtet, und die aktiv an der Vorbereitung mitgewirkt hatten, waren namentlich aufgeführt. Jutta tat das, was sie noch sie getan hatte: sie ging an seine Sachen.
 
Sie schlug die Firmenzeitung auf. Wolfgang, Will, Manni, Detlef, hier, Herbert! Einen Herbert Dängler gab es da. Ein Bild von Herbert gab es auch.
 
Jutta starrte das Bild an. Sie überlegte. Hatte sie nicht mit dem da getanzt? Ja richtig. Die Kerle waren größtenteils angetrunken gewesen, so auch ihr Tänzer. Beim langsamen Walzer hatte er sie fest an sich gedrückt und mit dem Kopf in den Wald hinüber gewiesen. Er hatte sie küssen wollen. „Hast du schon mal einen Pferdekuss von mir genossen?“ hatte sie ihn gefragt.
 
Jutta hatte die Bagatelle schnell vergessen gehabt.
 
Jutta suchte im Telefonbuch. Denabar Mustafa, Dendel Mario, und Dengler Herbert. Da hatte sie ihn. Die Adresse stand daneben. Sollte sie anrufen?
 
Jutta rief nicht an. Sie setzte sich aufs Fahrrad und fuhr zu Herbert. Sie stellte das Rad ab, als Will aus dem Schatten trat. Er hatte ihr aufgelauert, wollte den letzten Beweis.
 
„Die Kumpels haben also doch recht“, sagte Will entsetzt.
 
Jutta erstarrte. „Will, ich will Herbert doch nur fragen, wie dieses Gerücht aufgekommen ist. Ich habe nichts mit ihm. Wirklich nicht.“
 
Sie sahen sich schweigend an. Liebe lag in seinem Blick. Er wollte ihr so gern glauben, aber er konnte nicht.
 
Ein Wagen fuhr vor. Herbert stieg aus. Seine Frau öffnete die hinteren Autotüren und ließ die Kinder hinaus. Die stürmten schreiend und rufend in den Garten.
 
„Was macht ihr beide hier? Hat’s gebrannt? Ihr guckt so erschrocken.“
 
„Wart ihr im Urlaub?“, fragte Will zurück.
 
„Ja, drei Wochen Mallorca. War schön, aber nicht gerade erholsam.“
 
Und Will hatte schon geglaubt, Herbert hielte sich von ihm fern, weil er die Konfrontation mit ihm vermeiden wollte.
 
„Herbert, was erzählst du für Sachen über uns beide?“, schrie Jutta. Sie konnte nicht mehr an sich halten.
 
„Über euch beide? Was soll ich da erzählen? Ich weiß doch gar nichts über euch.“ Ein Missverständnis...
 
Will hatte längst zurück geschaltet. Er nahm Herbert beim Arm. „Es laufen Gerüchte. Hast du was mit Jutta?“
 
„Nee“, rief Herberts Frau von der Gartenpforte her. „Der bestimmt nicht. Der hat ja kaum mal was mit mir. Der wollte mal was von Jutta. Da war er besoffen, aber sie hat ihm einen Korb gebeben. Und als die Kumpels ihn ausgelacht haben, hat er behauptet, da wäre was gewesen. Männer!!“
 
Will schwieg. Er nahm Jutta bei der Hand und wollte sie zum Auto führen, was um die Ecke stand.
 
„Mein Fahrrad“, rief Jutta.
 
„Ich bringe es dir“, tröstete Herbert.
 
„Nee, du auf keinen Fall“, schimpfte seine Frau. „Das können die Kinder machen.“
 
„Einen Scheiß habe ich angerichtet“, murmelte Will.  „Verzeih mir bitte.“
 
„Dann kann ich dir ja wieder deinen Kaffee machen und die Schnittchen zubereiten“, sagte Jutta, aber sie war mit der Sache noch lange nicht fertig. „Nein, so nicht. Nie wieder. Warum fragst du mich nicht, ehe du deinen Kumpels glaubst?“

Jutta fragen? Niemals, dachte er. Er hatte solche Angst gehabt, nicht nur betrogen, sondern auch noch belogen zu werden.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Jürgen Berndt-Lüders).
Der Beitrag wurde von Jürgen Berndt-Lüders auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.11.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Jürgen Berndt-Lüders als Lieblingsautor markieren

Buch von Jürgen Berndt-Lüders:

cover

Regina Mundis - Königin der Welt. Buch 1: die Berufung von Jürgen Berndt-Lüders



Agnes, die Tochter des Markgrafen vertritt bei einer Konferenz König Otto II, der ein Kindskopf ist. Während dieser Zeit ist sie die mächtigste Frau der Welt.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (4)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Mensch kontra Mensch" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Jürgen Berndt-Lüders

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Szenen einer Ehe (5) von Jürgen Berndt-Lüders (Mensch kontra Mensch)
Unglaublich dreist von Rainer Tiemann (Mensch kontra Mensch)
Freundlichkeit macht sich bezahlt von Rainer Tiemann (Zauberhafte Geschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen