Christiane Mielck-Retzdorff

Ein Wunder aus dem Tierheim



 
Der Tod unseres 18jährigen Pudelmix „Flocki“ hinterließ eine große Lücke, obwohl wir ihn nur drei Jahre hatten. Wir entdeckten ihn nach dem altersbedingten Ableben seines Vorgängers im Tierheim, und es war bestimmt sein Vorteil, dass er dem verstorbenen Hund sehr ähnlich sah. Doch Flocki ist eine andere Geschichte. Jedenfalls wurde uns schnell bewußt, dass die Trauer nur bemildert werden konnte, wenn wir das Ende des einen Hundes als Anfang für einen neuen Hund betrachteten. Also auf ins Tierheim.
 
Wir hatten keine besonderen Vorstellungen von unserem zukünftigen Hausgenossen, nur dass er nicht zu groß sein durfte, denn der Platz in unserem Wohnmobil war begrenzt. Und natürlich wünschten wir uns einen jüngeren Hund, mit dem wir noch einige Jahre unser Leben teilen konnten. Leider fanden wir in dem örtlichen Tierheim kein Wesen, dass diese wenigen Voraussetzungen erfüllte. Dort warteten nur größere Hunde auf neue Besitzer. Der Besuch eines Tierheims hat auch mit den besten Absichten immer etwas Niederdrückendes. So wollte ich nach dem ersten Fehlschlag schon aufgeben. Auch im Internet wurden schließlich Hunde angeboten, ohne dass man in die traurigen Augen etlicher verlassener Tiere blicken mußte. Doch mein Mann schlug vor, wir sollten es unbedingt noch in der Süderstraße versuchen, dem großen Hamburger Tierheim. Hoffentlich hielt mein angeschlagenes Gemüt dem Besuch dieses Ortes stand.
 
Das moderne Gebäude machte einen aufmunternd einladenden Eindruck. Die Zwinger waren, sauber, großzügig und mit Außenauslauf. Das Personal begrüßte uns freundlich, und wir durften allein durch die Gänge schlendern auf der Suche nach dem neuen Hausgenossen oder der Hausgenossin. Ich bin der Meinung, dass ich schon beim ersten Anblick eines Hundes weiß, ob dieser zu uns paßt. So gingen wir an den Zwingern vorbei, und ich wartete darauf, dass genau dieses Gefühl mich erfaßte. Mein Mann, weniger erfahren mit Hunden, wollte ja mir die Entscheidung überlassen. Doch nirgendwo entdeckte ich das Tier, das genau auf uns wartete. Ich denke nämlich, dass nicht nur der Mensch den Hund aussucht, sondern dieser ebenfalls weiß, ob er zu dem Menschen paßt und dieses dann auch deutlich zeigt. Langsam kroch Resignation in mir hoch, und ich wollte wieder nach Hause.
 
Zufällig, auf dem Weg zum Ausgang, durchquerten wir noch mal das Gebäude, dessen Insassen wir zuerst in Augenschein genommen hatten. Dort hockte in einer Ecke ein kleines weißes Hündchen, das in Größe und Alter schon unseren Vorstellungen entsprach, aber es kam nicht einmal zu uns ans Gitter. Wir wollten ja nichts erzwingen. Der Hund mußte schon zu uns wollen. Also Abmarsch.
 
Da ertönte plötzlich ein nachdrückliches Bellen aus einem Zwinger, den wir eigentlich für ungenutzt hielten. Kein Schild mit Namen, Eigenschaften und Alter klebte an der Tür. Aber tatsächlich, dort lag am Gitter kein vergessener, schmutziger Wischmopp sondern ein lebendiges Wesen mit schwarzen Knopfaugen. Und der Kleine freute sich sichtlich, uns zu sehen. „Bloß nicht so einen Kläffer“, wand mein Mann ein, doch ich wollte diesen haarigen Kerl unbedingt kennenlernen, von dem ich weder etwas über das Alter noch das Geschlecht wußte.
 
Im Büro erfuhren wir dann, dass es sich um einen Fundhund handelte, der im Stadtteil Finkenwerder aufgegriffen worden und erst sechs Tage im Tierheim war. Nach dem Zustand seines Fells zu urteilen, hatte er eine ganze Weile heimatlos auf der Straße gelebt. Aber da er erst nach sechs Tagen vermittelt werden durfte, die gerade an diesem Tag verstrichen waren, hatte noch niemand ein Schild an der Tür seines Zwingers angebracht. Wir waren also genau zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Dieser Hund hatte scheinbar auf uns gewartet und wollte nicht zulassen, dass wir ohne ihn gingen.
 
Wir durften mit ihm spazieren gehen, aber vorher mußte noch etliche Formalitäten erledigt werden. Während ich also die Zettel mit Fragen über die Person, Anschrift und Lebensumstände ausfüllte, schmeichelte der Kleine meinem Mann, in dem er sich vor ihm auf den Rücken legte und sich den Bauch streicheln ließ. So verscheute er charmant die anfängliche Skepsis des Rudelführers gegenüber einem Kläffer. Ich mußte lachen, denn ich fand das Verhalten des Kleinen ziemlich clever.
 
Draußen an der Leine ging er zügig und schnüffelte aufmerksam. Er zog nicht und war sichtlich zufrieden, so als wären wir schon immer ein Team gewesen. Also keine Frage, das war unser neuer Hund, ein unkastrierter Rüde. Da das Tierheim ihm noch keinen Namen gegeben hatte, sinnierten wir bei dem Spaziergang darüber, wie wir ihn nennen wollten. Wir entschieden uns für „Billy, the dog“.
 
Auf der Heimfahrt sperrten wir ihn nicht in das Hundeabteil unseres Geländewagens, sondern er saß auf meinem Schoß, damit er sich gleich an uns gewöhnte und Vertrauen faßte.  Dabei machte er den Eindruck, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, mit uns in eine neue Zukunft zu starten. Er jammerte oder fremdelte nicht, sondern beobachtete interessiert die Umgebung bei der Fahrt. Allerdings mußte ich dabei feststellen, dass er so sehr haarte, dass sich mein Sakko langsam in eine Pelzjacke verwandelte. Das war insofern ungewohnt, als unsere letzten beiden Hunden als Pudelmischlinge kaum Haare verloren.
 
In unserem Haus schien Billy sich gleich heimisch zu fühlen. Wir wollten ihn auch nicht als Erstes spüren lassen, dass es doch etwas störend war, überall seine Haare zu finden. Er hatte 5 Zentimeter lange, verfilzte Rastalocken, die ohnehin einen Friseurbesuch erforderlich machten. Aber da wir ja wußten, wie ungern sich Hunde scheren und baden ließen, wollten wir mit dieser Prozedur noch warten. Doch der kleine Billy, nach Aussage des Tierheims ein Cairn-Terrier-Lhasa-Mix, zeigte uns deutlich, dass auch ihn das ungepflegte Fell störte. Also bat ich unsere Hundefriseurin um einen schnellen Termin, den ich auch bekam.
 
Wir ließen Billy von Anfang an frei in unserer ruhigen Straße laufen, und er blieb ohne Ansage immer in unserer Nähe. Munter erkundete er sein neues Umfeld, doch rannte nicht davon. Er war erstaunlich brav und schien uns in allem gefallen zu wollen. Dieser Hund hatte uns ausgesucht, das bewies er durch Freundlichkeit und Gehorsam.
 
Am nächsten Tag beim Friseur gab er zu verstehen, dass er der Fellmatte mehr als überdrüssig war. Ohne Murren ließ er alles über sich ergehen. Doch was nach dem Waschen und Scheren herauskam, versetzte uns zuerst in Erstaunen und dann in Begeisterung. Aus dem schmuddeligen Wischmopp war ein wunderschönes Kerlchen geworden, was die Friseurin mit den Worten kommentierte: „Binden Sie den bloß nie vor einem Supermarkt an. Der wird sofort geklaut:“ Diesem Rat folgen wir bis heute.
 
Wenn jemand in ein Tierheim geht und sagt „Ich möchte einen kleinen, bildschönen Hund, der sehr gut erzogen ist, nicht haart, sich mit seinen Artgenossen versteht, nicht wildert, wachsam aber kein Kläffer ist, gern Auto fährt, problemlos allein bleibt, bewegungsfreudig und anschmiegsam“, dann werden ihm die Angestellten entweder auslachen oder für verrückt erklären. Doch genauso ist Billy, und zu dem noch klug und auf Harmonie bedacht.
 
Er mußt in seiner Zeit auf der Straße viel gelernt haben. Er weiß mit seinen Artgenossen umzugehen genauso wie mit Katzen. Nur Menschen gegenüber ist er mißtrauisch, was sich nicht auf uns bezieht. Es muß ja auch nicht jeder diesen hübschen, kleinen Kerl anfassen, auch wenn das viele möchten. Er ist selbstbewußt und durchsetzungsstark, aber nicht aggressiv, pflegeleicht im Alltag und genießt gern in der Sonne liegend sein Leben. Und er gehorcht so gut, dass wir selbst beim Überqueren einer Straße keine Leine benötigen. Er ist unser Wunder aus dem Tierheim.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.11.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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