Der Krieg schrieb das Jahr 1944. Wind pfiff eisig durch viele Ruinen. Sie hoben sich vom nächtlichen Himmel wie Scherenschnitte ab. Trotzdem regte sich Leben in den Trümmern und Straßen, die noch Straßen genannt werden konnten. Die Leid Geprüften trotzten den Widrigkeiten des Krieges. Das Jahr neigte sich dem Ende zu. Heilig Abend stand vor der Tür. An diesem Tag huschten die Menschen noch emsiger hin und her. Einige schleppten Tannenbäume, andere hasteten mit Taschen oder Säcken beladen nach Hause. Sie kamen vom Schwarzmarkt oder anderswo her, glücklich, ein Stück Weihnachten ergattert zu haben. In der Ferne loderte ein Feuer, darum drängten sich die Leute, um einen Moment die, von Kälte, erstarrten Glieder ein bisschen aufzuwärmen. Inzwischen fielen Schneeflocken vom Himmel und erfüllten den Mythos " Weiße Weihnachten ".
Mit einem aufkommenden Angstgefühl wand ich mich vom Fenster ab, fühlte aber gleich die Geborgenheit des familiären Schutzes, der mich umgab. Das beruhigte mich. In der Stube knisterte ein Feuer im Ofen. Woher meine Mutter das Brennholz nahm blieb ein Geheimnis. Vieles, in dieser Zeit, blieb ein Geheimnis. Der gedeckte Tisch lud zu einem einfachen Weihnachtsschmaus ein. Es brannten Hindenburgslichter auf dem Tisch. Richtige Kerzen waren Luxus und schwer zu bekommen. Ein Paar Kerzen schmückten aber doch den kleinen Tannenbaum, in der Zimmerecke. Selbst meine gebastelten Strohsterne kamen, neben der rot-goldenen Weihnachtsdekoration, zur Geltung. Für uns war dieses Bäumchen der schönste Weihnachtsbote seit Jahren.
Die Familie rückte zusammen. Tante Elisabeth mit Tochter Claudia, meine Mutter, mein Bruder Frank und ich, seine kleine Schwester Marlies. So schloss sich der Kreis um den großen, runden Tisch. Eigentlich war der Kreis nicht ganz geschlossen, nämlich, das Gedeck meines Vaters stand unberührt auf seinem Platz, wie jeden Tag, seitdem der Krieg wütete. Mit einer Schweigeminute schlossen wir Vater in unsere Runde mit ein und wünschten ihm alles erdenklich Gute. Vor allem eine baldige Heimkehr von der Front in den Schoß der Familie.
Ein GRRRRRRRRRRR ! schreckte uns auf.
Wer konnte das sein ?
" Der Weihnachtsmann !" platzte ich in das familiäre Schweigen.
Alle sahen mich entgeistert an. Mutter und Tante Elisabeth nickten ratlos.
" Vielleicht hast du recht !" kam es synchron aus ihren Mündern.
Ein zweites GRRRRRRRRRRRRRRRR ! folgte dem ersten nur fordernder. Meine Mutter stürzte aus dem Wohnzimmer. Die Tür fiel, mit einem lauten Peng, hinter ihr ins Schloss. Wir zuckten zusammen. Ich versuchte verzweifelt mich an ein Weihnachtsgedicht zu erinnern, falls ich eins aufsagen sollte. Aber mir fiel keines ein.
Vom Flur drangen gedämpfte Stimmen an unser Ohr. Dann ein helles Lachen meiner Mutter gefolgt von einem hemmunglosen Schluchzen. Schwere Schritte kamen näher, Schritte, die nur von Stiefeln herrühren konnten. Unsere Anspannung wuchs. Sollte etwa die Gestapo uns am Heiligen Abend aufsuchen ? - Es öffnete sich die Tür und eine Spukgestalt stand dort im Türrahmen - MEIN VATER ! -
Tante Elisabeth konnte sich nur mühsam beherrschen, um nicht einen Schrei aus zustoßen. Bis zur Unkenntlichkeit abgemagert stand mein Vater vor uns. Mindestens eineinhalb Jahre lagen zwischen dem letzten Besuch und heute. Diese Erscheinung kannte ich nicht. Sie flößte mir Angst ein. Der Krieg zeichnete tiefe Falten in sein Gesicht. Sie beherrschten den ganzen Gesichtsausdruck und machten ihn optisch zu einem Fremden. Aber die Auge strahlten und ein Lächeln huschte über sein müdes Gesicht als er unser trautes Beisammensein gewahr wurde. Unter dem Arm trug er zwei flache Pakete, notdürftig zu geschnürt, und eingepackt in eine französische Zeitung. Er kam direkt von der Front um seinen bewilligten Weihnachtsurlaub mit uns zu verbringen.
" Das ich euch alle lebend wiedersehen darf grenzt an ein Wunder !"seine Stimme zitterte und Tränen standen in seinen Augen. Er begann seine flachen Pakete aus zupacken. Zwei Holzintarsienbilder kamen zum Vorschein. Ein kleiner Franzose, mit einem Tornister auf dem Rücken, ging über eine Brücke, an einem Fachwerkhaus vorbei. Das zweite Bild zeigt eine Bäuerin mit einem weißen Kopftuch. Hinter ihr, an einer Leine, flatterte die Wäsche im Wind.
" Diese komplizierte Einlegearbeit der Bilder gab mir die Kraft und den Halt die Geschenisse des Krieges zu ertragen. Ich setzte meine ganze Hoffnung in diese Bilder, um sie euch Weihnachten schenken zu können."
Betroffenes Schweigen !
" Das aus Krieg Kunst entstehen kann und noch seelische Kraft sich entwickelt. Darauf wäre ich im Leben nicht gekommen , Georg !"
" Ach, - Marion, schön deine Stimme wieder zu hören. - Wie habe ich sie vermisst !"
Vater nahm Mutter in den Arm und drückte sie fest an sich. Als wolle er sie nie wieder hergeben.
" Für uns bist du das schönste Weihnachtsgeschenk. Direkt vom Himmel in unsere Stube gefallen."
Mutter lachte erleichtert. Wir nahmen uns bei den Händen und bildeten eine Familienkette, nach so langer Zeit der Entbehrung und des Wartens, in Dankbarkeit.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.11.2012.
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