Christiane Mielck-Retzdorff

Aufgeschlossene Eheschließung

 
 
Auf das Klopfen an ihrer Bürotür antwortete die Standesbeamtin Uta Möller mit einem aufmunternden „Herein“. Schon betraten zwei Männer den Raum, der eine ungefähr Mitte vierzig, der andere einige Jahre jünger und blieben in einem feierlichen Abstand vor dem Schreibtisch stehen. Der Ältere legte den Arm um die Schultern des zweiten Mannes und verkündete laut und nachdrücklich:
„Wir wollen heiraten.“
Nun war dies zwar keine Großstadt, aber die Standesbeamtin hatte durchaus schon gleichgeschlechtliche Paare getraut. Seit der, einer konservativen Partei angehörende Bürgermeister allerorten und in der Presse hatte verlauten lassen, dass in dieser Gemeinde jeder Bürger egal welcher Religion, Hautfarbe oder sexuellen Neigung herzlich willkommen sei, wurde von allen Beamten erwartet, diese liberale Einstellung für eigen anzunehmen.
 
Also forderte Uta Möller lächelnd die beiden Männer auf, sich auf die Stühle vor dem Schreibtisch zu setzen. Routinemäßig verlangte sie die Vorlage der Ausweispapiere, aus denen hervorging, dass beide Männer schon unter der gleichen Adresse gemeldet waren. Allerdings erforderte die Eheschließung noch andere Papiere wie etwa die Geburtsurkunden, die ebenfalls sofort vorgelegt wurden. Offensichtlich war es den Männern sehr ernst mit ihrer Absicht, und sie hatten sich vorbereitet. Das versprach einen reibungslosen Ablauf der Vorbereitungen.
„Fanden bereits Eheschließungen mit anderen Personen statt?“ frage die Standesbeamtin so beiläufig, als kenne sie die Antwort bereits. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften wurden nicht so häufig geschieden und wenn doch, waren die meisten Beteiligten danach vom Ehevirus geheilt.
„Nein“, ertönte erstmals die Stimme des Jüngeren, dessen Name nun als Julius Stein bekannt war. Der andere, Martin Neubert, warf ihm einen zärtlichen Blick zu.
Uta Möller machte einen Haken auf einem Dokument auf dem Bildschirm ihres PCs.
„Und Sie, Herr Neubert?“
„Ich bin verheiratet“, wurde die Frage mit einer Selbstverständlichkeit beantwortet, dass die Standesbeamtin zuerst den merkwürdigen Inhalt nicht wirklich wahrnahm. Doch dann hakte sie ungläubig nach.
„Sie sind verheiratet, Herr Neubert?“
„Ja.“
Die Frau war derartig erstaunt, dass sie erstmal Luft holen mußte, um die Fassung zu bewahren. Mit einem säuerlichen Grinsen auf den Lippen belehrte sie dann: „Um Herrn Stein heiraten zu können, müssen Sie aber erst geschieden sein.“
Immer noch entrüstet über die Dreistigkeit, das Anliegen einer Hochzeit vorzutragen, obwohl ein Partner noch verheiratet war, strafft Frau Möller ihre Schultern und bedachte die Männer mit einem strengen Blick. Sie stahlen einer hart arbeitenden Frau die Zeit mit solchem Unfug.
„Ich will mich aber nicht scheiden lassen“, trug Herr Neubert mit störrischem Unterton vor, „sondern auch meinen lieben Julius heiraten.“
„Das ist unmöglich“, sagte die Standesbeamtin ruhig aber deutlich gereizt.
„Und warum?“, fragte Herr Neubert in gleicher Manier. „Ich bin nun mal bisexuell und habe das gleiche Recht auf Anerkennung meiner Neigungen wie Hetero- und Homosexuelle.“
Diese Aussage machte Frau Möller sprachlos, und der Heiratswillige fuhr sogleich mit seinen Ausführungen fort:
„Mit einer Ablehnung meines Wunsches verletzten Sie meine in Artikel 1 des Grundgesetzes garantierte Würde. Nach Artikel 2 des Grundgesetzes habe ich das Recht auf freie Entfaltung meiner Persönlichkeit. Ihre Weigerung meinen Julius und mich zu verheiraten steht auch in unübersehbaren Widerspruch zu Artikel 3 des Grundgesetzes, wonach alle deutschen Bürger gleich zu behandeln sind. Nach Artikel 6 des Grundgesetzes stehen Ehe und Familie unter besonderem Schutz des Staates, und diesen vertreten Sie ja wohl. Wie können Sie mich also auffordern, meine Familie zu verlassen, ja sogar meine Ehe aufzugeben. Das sind ja verfassungsfeindliche Ansichten. Damit riskieren Sie ihren Job und ihren Beamtenstatus.“
Herr Neubert grinste nun die verwirrte Standesbeamtin triumphierend an. Diese fühlte sich deutlich in die Enge getrieben. Das Grundgesetz war ihr zwar bekannt, aber in dem Zusammenhang mit einer Doppelehe hatte sie es noch nie betrachtet. Frau Möller war ja auch keine Juristin sondern setzte nur Verwaltungsanweisungen um. Diese sahen aber einen solchen Fall nicht vor. Schnell suchte sie ihr Heil im Angriff.
„Und was sagt ihre Ehefrau dazu?“ fragte sie in der Gewißheit, dass ihre Geschlechtsgenossinnen sich niemals auf eine Ehe zu Dritt oder eine Doppelehe einlassen würden. Aber der überhebliche Gesichtsausdruck von Herrn Neubert und das Lächeln seines Begleiters zerstörten diese Hoffnung sofort.
„Meine Frau findet die Idee, dass ich mich nun auch zu Julius vor dem Gesetz bekenne, hervorragend. Wir leben ja schon eine geraume Zeit zusammen und haben uns alle furchtbar gern. Auch die Kinder genießen dieses Leben.“
Die Standesbeamtin sackte in sich zusammen und schien damit das Mitleid von Herrn Neubert zu wecken.
„Aber gute Frau, was ist denn so verwerflich daran, dass ein Mensch wie ich Frauen und Männer liebt. Und ich bin auch bereit, dafür die Verantwortung zu übernehmen. Julius soll sich nicht wie ein geduldeter Geliebter fühlen. Er soll den gleichen Status wie meine angetraute Frau erhalten. Sie wird auch unsere Trauzeugin sein. Damit zeigen wir doch der Welt, das wir Freiheit und Gleichheit wirklich leben.“
Frau Möller mußte sich geschlagen geben. Warum sollte etwas nicht gehen, wenn alle einverstanden waren? Doch ihre Vorschriften ließen dies nicht zu. Plötzlich zweifelte sie an dem Sinn ihrer Tätigkeit. Eben noch eine glühende Vertreterin der Ehe, hielt sie diese plötzlich für überholt. Also schlug sie kämpferisch vor:
„Dann lassen Sie sich doch scheiden. So können sie alle drei mit den Kindern ohne Trauschein glücklich und zufrieden zusammenleben.“
„Oh nein, das widerstrebt meiner religiösen Überzeugung und meinem Verantwortungsgefühl. Und außerdem möchte ich als gut verdienender Unternehmer auch weiterhin die Vorteile der niedrigen Steuern durch das Ehegattensplitting in Anspruch nehmen. Wenn meine Einkünfte durch drei geteilt würden, wäre das eine erhebliche finanzielle Entlastung.“
Die Standesbeamtin fühlte sich gänzlich überfordert.
„Ich muß Sie leider vertrösten und werde den Fall meinem Vorgesetzten vortragen“
„Sprechen Sie am besten gleich mit unserem auch glücklich verheirateten Bürgermeister“, schlug Herr Neubert vor. „Wenn dieser meiner Ansicht folgt, kann er auch endlich die junge Haushälterin aus Moldawien heiraten, mit der er schon so lange ein Verhältnis hat. Zwar kann er die Geliebte dann nicht mehr von der Steuer absetzen, aber der Mann kommt in den Genuß des Ehegattensplittings durch drei. Außerdem wird er zum Vorreiter für eine zeitgemäße, liberale und gleichzeitig konservative Gemeinde, was ihm bei der nächsten Wahl bestimmt viele Stimmen verschafft.“