Jürgen Berndt-Lüders

Lernen und geprägt werden




Unser Kopf merkt sich auf unterschiedliche Arten das, von dem er meint, dass es be“merkens“wert sei. Den Einkaufszettel schreiben viele, wenn sie denn überhaupt einen brauchen, einfach so mal schnell zwischen Tür und Angel und werfen dann beim Einkauf kaum einen Blick drauf. Ist der Einkauf getan, vergessen sie sowohl den Zettel als auch das, was sie eingekauft haben.
 
Das extreme Gegenstück zur Notiz ist die Prägung. Wir lernen etwas, und das Gelernte prägt sich uns tief im Unbewussten ein und beeinflusst uns lange Zeit, wenn nicht gar ein Leben lang. Rein objektiv gesehen muss diese Prägung überhaupt nicht den wirklichen Zusammenhängen entsprechen. Sie kann sich rein zufällig aus wenigen Erlebnissen ergeben haben und in allen weiteren Vorfällen ähnlicher Art gar nicht mehr zutreffen. Und doch wird uns die Prägung immer wieder auf die gleiche Spur hetzen.
 
Die Abläufe sind gleich; die Anlässe tausendfach unterschiedlich.
 
Ich stelle mir ein frisch verliebtes Pärchen vor. Beide sehen ineinander den Grund dafür, dass sie glücklich sind. Diesen Zustand möchten beide gern erhalten, und weil sie aus einer der vorangegangenen Beziehungen gelernt haben, verzichten sie auf jede Art von Auseinandersetzung, wenn es um Bagatellen geht. Ganz nach dem Motto, es sei doch alles gar nicht so schlimm, und morgen hätten beide sowieso vergessen, dass er zuletzt einen Moment zu früh und sie etwas zu spät zum Date kam. Er wartet quasi jedes Mal relativ lange auf sie (er war 10 Min. zu früh und sie 10 Min. zu spät = 20 Min.) , und das prägt ihn.
 
Sobald die Begeisterung der beiden füreinander etwas abgeflaut ist, explodiert er förmlich, als er plötzlich eine glatte halbe Stunde auf sie warten muss, weil er noch einmal 5 Minuten früher kam als sonst und sie weitere 5 Minuten später. Sie weiß nicht, dass er sich die Wut über die Wartezeit jedes Mal verkniffen hat und glaubt, dass er genau wie sie wenig Wert auf Pünktlichkeit legte. Weil man ja leicht seine Arbeit, die man eben begonnen habe – so der Verstand -, noch schnell zuende bringen könne. In Wirklichkeit, weil ihr Vater ein überpünktlicher Pedant gewesen ist und sie sich geschworen hat, nie einen solchen Pedanten zu heiraten.
 
Ich hasse unpünktliche Weiber, denkt er. Sie wollen einem mit ihrer Unpünktlichkeit nur zeigen, wie wenig abhängig sie von einem sind.
 
Er ist ein Pedant wie mein Vater, denkt sie. Er will mich zur folgsamen Untergebenen erziehen.
 
Die beiden trennen sich. Die Ursache für die Trennung wird nie geklärt, aber sie prägt sich tief in beider Verhaltensmuster ein.
 
Bei der nächsten Frau achtet er – in seinen Augen – rechtzeitig darauf, ob sie denn pünktlich ist, weil er nicht leiden will, und je früher er ihre Eigenarten durchschaut, so glaubt er, desto weniger muss er leiden. Ihr geht es ähnlich. Für sie ist ein Mann, der so entschieden Wert auf ein paar Minuten legt, jemand, der es nicht gut mit ihr meint. Irgendwann dreht er sich beim Date auf dem Absatz um, sobald die Uhrzeit erreicht ist, und sie fährt gar nicht erst los, wenn zu erkennen ist, dass sie nicht pünktlich sein wird.
 
Irgendwann wird sie mit fester Überzeugung behaupten, dass Männer pedantisch seinen, und er, dass man sich auf Frauen nicht verlassen könne. Und jeder, der etwas Anderes behaupte, ein Lügner sei und sicherlich etwas Manipulatives mit seiner Lüge bezwecken wolle.
 
Prägungen lassen sich vermeiden, wenn die Anlässe  auf nette Art geklärt werden.
 
Er: „Schatz, ab jetzt schreibe ich mir die Uhrzeit auf. Heute war ich schon um 17:00 Uhr da.“
 
Sie schaut auf die Uhr. „Wir waren ja auch um 17:00 Uhr verabredet. Entschuldige, dass ich etwas zu spät war. Soll nicht wieder vorkommen.“ 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Jürgen Berndt-Lüders).
Der Beitrag wurde von Jürgen Berndt-Lüders auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.12.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Jürgen Berndt-Lüders als Lieblingsautor markieren

Buch von Jürgen Berndt-Lüders:

cover

The power of butterflies - Geschichten und Gedichte zum Thema Liebe von Jürgen Berndt-Lüders



Die Kraft der Liebe führt und verführt uns ein Leben lang. Der Autor schwelgt in Empathie.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (3)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Mensch kontra Mensch" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Jürgen Berndt-Lüders

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Macht der Ehefrauen von Jürgen Berndt-Lüders (Alltag)
Unglaublich dreist von Rainer Tiemann (Mensch kontra Mensch)
Was ist Glück von Norbert Wittke (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen