Leben mit allen Sinnen – oder – Jeder Schritt ein Abenteuer
Je einfacher die Lebensbedingungen, umso mehr konzentriert man sich auf das Wesentliche. Das erlebe ich in meiner „Klause“ immer wieder.
Es schneit seit ein paar Tagen, über Nacht noch einen halben Meter. Mein gestern geschöpfter Weg ist wieder zu. Und der Schneepflug hat außerdem am Straßenrand einen meterhohen Schneewall hergeschoben, - ich bin eingesperrt, gefangen, wenn ich mich nicht selbst befreie.
Schön wäre es ja, sich einfach einschneien zu lassen, einen Winterschlaf zu halten, aber das ist uns Menschen nicht gegeben.
So aber muss ich was anderes tun, - nämlich ausräumen. Die Schneeschaufel habe ich ja schon griffbereit vor der Haustüre stehen. Nach nicht ganz einer Stunde ist mein Ausgang frei, und ich erst mal müde und durstig.
Am Nachmittag muss ich ins nächste Dorf. Hinzu kann ich den Bus nehmen und bin in einer Viertelstunde dort. Aber heimzu - - - ??
Eine Stunde müsste ich auf den Bus warten, es schneit sehr feucht, an der Haltestelle gibt es keine Überdachung, der Rucksack ist nicht wasserdicht, mein Anorak vielleicht, Schirm habe ich keinen. Was tun? Eine Stunde warten und frieren? Bis dahin habe ich die sechs Kilometer auch zu Fuß fast geschafft.
Also, jeder Weg beginnt bekanntlich mit dem ersten Schritt. Die erste Abkürzung wird beinahe zur Verlängerung. Der alte Steig ist mir von früher bekannt, inzwischen stehen dort einige Häuser, zwischen denen er sich schmal und ohne Beleuchtung durchzwängt. Ich bin zuerst vorbei gelaufen und habe ihn erst beim Rückweg gesehen. Fürs erste bin ich mal von der Hauptstraße weg, bis zur Brücke.
Nun muss ich mich entscheiden: die Hauptstraße entlang, auf welcher gerade vorhin die Salzstreuung aktiv war, oder meinen einsamen Feld-Wiesen-Wald-Weg, und hoffen dass dieser geräumt ist.
Natürlich entscheide ich mich für den Feld-Wiesen-Wald-Weg. Dieses winterliche Abenteuer kann ich mir nicht entgehen lassen!
Es beginnt nach den letzten Häusern des Dorfes, nach der letzten Straßenlampe. An die Dunkelheit gewöhnen sich die Augen rasch, durch den Schnee ist es ja nicht gar so dunkel. Ich habe nie eine Taschenlampe mit, wenn ich im Dunkeln unterwegs bin.
Der Weg, anfangs eine Fahrstraße, dürfte zu Mittag das letzte Mal geräumt worden sein. Schnee liegt darüber, und die Straße darunter ist spiegelglatt! Immer wieder komme ich mit einem Fuß ins Rutschen, kann mich aber immer noch ausbalancieren. Meine alte Trittsicherheit, die ich mir beim Bergsteigen angeeignet habe, ist noch vorhanden. So schaffe ich das erste Drittel der Strecke jedenfalls schon unfallfrei.
Dann ist die geräumte Straße zu Ende. Ich muss nach rechts abbiegen. Zwei Spuren, von denen ich zuerst annahm, es seien Traktorspuren, führen in meine Richtung in den Wald. Zuerst am Waldrand, rechts einige Meter tiefer unter mir zieht sich die Autobahn. Im Scheinwerferlicht der entgegen kommenden Fahrzeuge erkenne ich die Spur einigermaßen. Sie ist so schmal, dass man gerade drin gehen kann, zu beiden Seiten türmt sich ja bereits der Schnee. Doch dann geht es bergauf in den Wald. Im Sommer geht man vielleicht drei Minuten. Doch nun beginnt das Abenteuer.
Wie in einen Tunnel trete ich in den Hohlweg, der ein Stück den Wald durchquert. Die Wegspur wird noch enger, tiefer, die hohen Bäume von links und rechts reichen einander die Äste, die nun ein schneebedecktes Dach über mir bilden. Hoffentlich lassen sie ihren Schnee nicht gerade fallen, wenn ich darunter bin! Das haben sie nicht, wohl aber vorher schon einige Häufchen auf den nun kaum mehr sichtbaren Steig abgeworfen. Ich muss schon sehr um mein Gleichgewicht kämpfen, wenn ich einmal in ein tieferes Loch steige, ein andermal mit einem Fuß in so einem Schneehaufen abrupt abgebremst werde.
Tiefer im Wald ist es wirklich stockdunkel. Mit den Augen orientiere ich mich an den Baumkronen, um so den Verlauf meines Weges zu erkunden, mit den Füßen versuche ich die Unebenheiten des Bodens auszugleichen. Ich wäre zwar weich gefallen, aber Wühlmaus spielen wollte ich denn doch nicht. Wer den Weg am nächsten Tag sieht, wird denken, da war ein Betrunkener unterwegs!
Aber alles hat ein Ende, so auch dieser Pfad, schon blinkt mir die erste Straßenlampe meines Dorfes zu.
Noch gute sechs Minuten, ich nehme eine letzte Abkürzung, da ich ohnehin schon genug im Schnee gewatet bin, so sind es nur noch vier Minuten, dann steige ich die letzten Schritte hinauf zu meinem Haus. Der Schneepflug hat mir schon wieder eine Mauer vorgesetzt!
Einigermaßen erschöpft, aber zufrieden und vor allem glücklich lasse ich mich in meinen Sessel am – noch kalten – Ofen fallen. Erst mal fünf Minuten rasten, noch bin ich erhitzt vom Gehen, dann aber brennt bald wieder ein lustiges Feuerchen, und wohlige Wärme breitet sich erneut aus.
Der Teekessel beginnt zu summen, der Bratapfel duftet…. Ein wunderbarer Tag, einfach, elementar, im völligen Einklang mit der Natur, zeitweise sogar im Kampfe mit ihr, aber immer als die Unterlegene, die sich der Natur zu unterstellen und anzupassen hat.
Und ich bin voll Dankbarkeit, dass es mir noch möglich ist, allein solche Naturabenteuer zu bestehen.
ChA 10.12.12
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.12.2012.
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