Peter Somma

Lebensaufgabe

 

     

 

Das Schicksal hatte es gut mit ihm gemeint. Ohne große Mühe hatte er die letzten Prüfungen hinter sich gebracht und er war nun fest entschlossen, mit seiner Arbeit, die er während seines Studiums zu lieben begonnen hatte, sofort zu beginnen, ja, er brannte darauf, der Welt zu zeigen, was an Talent in ihm steckte.

 

            Auf der Suche nach einem geeigneten Raum für die Errichtung seines Ateliers war er auf ein Haus gestoßen, dessen Räume im obersten Stockwerk ihm auf Anhieb gefallen hatten. Das Haus lag in einer nicht allzu verkehrsreichen Straße, ohne deswegen abgelegen zu sein. Auf der Rückseite des Hauses gab es zwei große Fenster, die den Blick auf einen schönen, gepflegten Garten freigaben, an dessen Anblick er sich immer wieder erfreuen konnte, wenn er in kurzen Pausen einen Blick darauf riskierte.

 

         Neben den unentbehrlichen Utensilien, die sein Beruf erforderte, mit denen er sein Atelier eingerichtet hatte, enthielt es nur die allernötigsten Dinge und er verzichtete auf jeden Luxus, weil er meinte, er könnte ihn nur von seiner Aufgabe abhalten, glaubte er doch, nur seine Arbeit könnte seinem Leben Sinn geben.

 

        Schon bald nach Bekanntgabe der Eröffnung seines Büros erhielt er eine Aufgabe, die ihm Prestige und  reichen Ertrag versprach. An der Peripherie der Stadt sollte ein neues Viertel mit allen nötigen Bauten wie Straßen, Einkaufszentren, Kirchen und Freizeiteinrichtungen entstehen. Mit Feuereifer stürzte er sich in seine Aufgabe, denn in seinem Kopf war sein Projekt schon fix und fertig.

 

         Er befestigte ein Blatt auf seinem Arbeitstisch und brachte mit sicheren Strichen seine Gedanken, in Form eines Panoramas zu Papier. Straßen entstanden, Wohnhäuser, Plätze, Kindergarten. Bald war das ganze Siedlungsgebiet auf das Papier gebannt. Da und dort hatte er Grünflächen und Parks vorgesehen und der Plan seiner Satellitenstadt begann für ihn Leben anzunehmen. Er freute sich über das Geleistete, fühlte sich auf dem Zenit seiner Schaffenskraft und richtete seinen Blick auf die Uhr, die sich an der Stirnwand seines Ateliers befand. Es war halb zwölf und er war erstaunt, dass es schon so spät war. Die Frühjahrssonne stand im Süden und sandte ihre Strahlen auf den Garten hinter dem Haus. Tulpen, Narzissen, Krokusse und Traubenhyazinthen hatten ihre volle Pracht entfaltet, der  Apfel- und der Birnbaum die ersten Knospen angesetzt und der Kirschbaum war über und über mit weißen Blüten übersät.  

 

        Nach einer kurzen Pause setzte er tatkräftig seine Arbeit fort. Es galt nun, seine Gedanken, die er bisher nur als Schaubild aufs Papier gebannt  hatte, in einen genauen Grundriss der Straßen und Plätze zu verwandeln. War bisher vor allem Phantasie gefragt, erforderte diese Beschäftigung jetzt große Gewissenhaftigkeit. Vorschriften und Normen mussten eingehalten werden, unterirdische Einbauten bedacht werden und manches Mal musste er auch von seinen bisherigen Vorstellungen Abstand nehmen. Es erforderte viel Disziplin und Genauigkeit, diese Aufgabe zu Ende zu bringen, die zur Herausforderung seines Lebens geworden war. Brannte bisher das Feuer jugendlicher Begeisterung in ihm, so spürte er jetzt immer mehr die Verantwortung, die auf ihm lastete.

 

        Während einer Unterbrechung richtete er einen Blick in den Spiegel, der sich in der Garderobe befand. Er entdeckte ein paar graue Haare, die ihm bisher gar nicht aufgefallen waren und zudem schmerzte sein Rücken. Hatte er immer schon diese Falte unter den Augen? Die Uhr zeigte immer noch halb zwölf und die Sonne stand immer noch im Süden. Sie musste stehen geblieben sein. Oder hatte er den ganzen Tag und die Nacht durchgearbeitet? Er wusste es nicht. Im Garten waren die Frühlingsblumen verblüht. Lupinen, Dahlien und Margeriten gaben dem Garten ein sommerliches Aussehen. Rosen erstrahlten in allen Farbschattierungen, der Kirschbaum versprach reiche Ernte, und die anderen Obstbäume hatten ein reiches Blätterkleid angelegt und wenn man genau hinsah, erkannte man die Ansätze der Früchte.

 

         Jetzt platzierte er in seine Straßen und Plätze die Häuser, rückte sie da etwas nach hinten und plante dort einen Vorsprung, setzte das Theater an einen repräsentativen Platz, fügte Kaufhäuser an den Plätzen ein, die einen regen Verkehr erwarten ließen, fand einen Platz für den Kindergarten in der Nähe eines Parks und machte sich Gedanken über dessen Bepflanzung. Die Arbeit begann ihn zu ermüden und die Augen brannten ihm. Er appellierte an seine Selbstdisziplin, aber es nützte nichts, er musste eine Pause einlegen. Als er an das Fenster trat, das in den Garten ging, bemerkte er, dass die Bäume ihre Blätter abzuwerfen begannen. Die Beschäftigung mit diesem Projekt, besann er sich, hatte ihn in einen Zustand versetzt, in dem er keine Veränderungen wahrnahm, die nicht seine Arbeit betrafen. Auf seinem Tisch stand eine halbvolle Schale Kaffee und einen Teller mit Speiseresten umschwirrte ein Schwarm Fliegen. Er hatte jeden Zeitsinn verloren, vergaß auf Mahlzeiten und merkte nicht einmal, wenn ihn der Schlaf übermannte. Die Uhr an der Stirnwand seines Ateliers zeigte immer noch halb zwölf, aber die Sonne stand jetzt schon tief im Westen. Er glaubte erst Stunden gearbeitet zu haben, dabei mussten es Tage gewesen sein und er musste immer wieder dazwischen eingeschlafen sein. Für ihn waren nur wenige Stunden vergangen und er dachte, er hätte eben erst mit seiner Arbeit begonnen, sosehr hatte er sich in diese Aufgabe vertieft aber außerhalb seines Büros war die Zeit nicht stehen geblieben. Nur mehr wenige Rosenblüten waren an den kahlen Stängeln zu sehen aber auch Astern und Herbstanemonen konnten die herbstliche Tristesse, die das Aussehen prägte, nicht aufheitern.

        Nur mit Mühe, ja, etwas Widerwillen setzte er seine Beschäftigung fort. Nachdem er den Grundriss seines Ortsteiles fertig gestellt hatte, widmete er sich einigen Detailplänen für ortsprägende Gebäude. Er plante Fassaden für Kaufhäuser und sah für das Freizeitzentrum Kinos, Cafés und Restaurants vor. Besondere Liebe investierte er für die Planung des Theaters, stellte er sich doch vor, später einmal selbst dort häufiger Besucher zu sein. Dann erst lehnte er sich zurück. Voll Genugtuung betrachtete er die vielen Bögen mit seinen Skizzen und Plänen. Er hatte gute Arbeit geleistet, und die Mühe hatte sich gelohnt.

 

        Als er aus dem Fenster blickte, bemerkte er, dass es zu schneien begonnen hatte. Schon bedeckte eine dünne Schneedecke den Rasen und die Äste der Bäume trugen kleine weiße Hauben. War denn wirklich so viel Zeit verstrichen? Ermüdet sank er nun in einen Polsterstuhl, der im Atelier stand. Er war grau geworden, tiefe Falten durchzogen sein Gesicht und seine Hände hatten zu zittern begonnen. Wie lange brütete er nun schon über diesem Projekt? Er wusste nicht mehr, ob er je sein Büro verlassen hatte, seit er damit angefangen hatte, sosehr hatte er alles um sich vergessen. Erst jetzt bemerkte er, dass  sein ganzes Leben der Arbeit gewidmet gewesen war und er darüber vergessen hatte, zu leben. Das Projekt war zu seiner Lebensaufgabe geworden, für die er sein Leben aufgegeben hatte. Die Jahreszeiten waren an ihm vorbeigezogen und damit auch sein Leben, denn für ihn war die Zeit in diesen vier Wänden stehen geblieben. Draußen war es Nacht geworden und auf der Uhr in seinem Atelier, die vor langer Zeit stehen geblieben war, war es immer noch halb zwölf. Er hatte seine Arbeit vollendet und hier nichts mehr zu tun. Er musste nach Hause gehen, wo ihn nichts und niemand erwarteten.

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.12.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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