Peter Somma

Heiße Tage

 

 

 

            Die Nadel des Barometers wanderte immer weiter nach rechts und das Thermometer zeigte schon tagelang Temperaturen über dreißig Grad an. Am blauen Himmel war kein Wölkchen zu sehen und keine Brise bewegte die Luft. Die Hitze brütete seit Tagen über der Stadt und legte sie lahm. Nur wenige Autos, die von entnervten Fahrern, denen der Schweiß auf der Stirne stand, gelenkt wurden, fuhren durch die engen Straßen und Gassen der Stadt und der Gestank, den ihre Fahrzeuge erzeugten, lag als Smog in den engsten Winkeln, Durchfahrten und Durchgängen. Die Stadt war wie ausgestorben und nur wenige Passanten, die irgendeine unaufschiebbare Besorgung zu erledigen hatten, suchten meist vergeblich den heißen Strahlen der Sonne, die unerbittlich die Gassen erhitzten zu entgehen, nützten für ihre dringenden Wege jeden schmalen Streifen Schlagschattens, den die Häuserreihen auf die Straßen warfen und in den Geschäften warteten von der Hitze ermattete Kaufleute und Angestellte vergebens auf Kundschaft. Selbst die Nächte brachten kaum Abkühlung und wer konnte verließ die Stadt zeitlich am Morgen, um in einem Bad Erfrischung zu finden und im Schatten eines Baumes zu ruhen. 

 

            Schon am Vormittag hatte ein junges Pärchen ihre Wohnung im zweiten Stock eines schäbigen Hauses in einem der elendsten Vierteln der Stadt verlassen, hatte den Kofferraum seines zerbeulten, alten Wagens, der mit zahlreichen rostigen Flecken übersäht war, bis obenhin mit Badeutensilien und Esswaren voll gestopft, und war davon gefahren. So wie andere war es der stickigen Hitze der Stadt entflohen und wollte einen Tag in einem Bad verbringen, um dort an einem schattigen Platz unter einem alten Baum zu ruhen und sich von Zeit zu Zeit im kühlen Wasser des Schwimmbeckens, das so kühl gar nicht mehr war, abzukühlen.

 

              Im ersten Stock des selben Hauses saß ein älterer Mann in der abgewohnten Küche auf einem Stuhl beim Tisch, streckte die Beine weit von sich und hielt ein halb volles Glas Bier in der Hand, umklammerte es, als ob er Angst hätte jemand könnte es ihm wegnehmen und auf dem verdreckten Tisch standen mehrere leere Bierflaschen. Seine Hose war schäbig und das ärmellose Unterhemd, das er trug, musste einmal weiß gewesen sein. Im Raum war es dunkel, denn die geschlossenen Jalousien, die die brütende Hitze fern halten sollten, ließen nur wenig Licht in die Küche dringen. 

 

         Inzwischen war es Nachmittag geworden und im ganzen Raum lag der stickige Geruch abgestandenen Bieres. Durch eine Türe, die zum Wohnzimmer, das auch als Schlafzimmer dienen musste, beobachtete der Mann seine Frau. Sie lag auf der, zum Ehebett herabgeklappten Wohnzimmerbank in ihrer Unterwäsche, der man ansah, dass sie sie schon mehrere Tage getragen hatte, und versuchte vergebens, sich durch das [1]Wachteln einer Zeitung, Kühlung zu verschaffen. Unter ihrer schmutzigen Wäsche zeichnete sich ein üppiger Körper ab und aus ihren Dessous quollen oben aus dem Dekollete ihre überreichlichen Brüste und unten ihre fetten Beine hervor.

 

Ein verächtlicher Blick des Mannes streifte die Gestalt der Frau auf dem Bett. „Musste sie denn unbedingt ihren verblühenden Körper in so provozierender Art zur Schau stellen?“ dachte er und nahm einen Schluck aus dem Glas. Es schmeckte schal und er verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, als er die Flüssigkeit durch die Gurgel rinnen ließ.

 

              Als ob sie die Gedanken ihres Mannes erraten hätte, verdunkelte sich ihr Gesichtsausdruck. „Sauf nicht so viel!“ rief sie ihm von der Liege, auf der sie sich ausgestreckt hatte zu und er antwortete mit einem mürrischen Grunzen. „Fett war er geworden, ungepflegt und immer besoffen“, dachte sie. Dann schwiegen wieder beide. Die Hitze  hatte sie träge gemacht und es schien, als ob ihnen jedes Wort, das über ihre Lippen kam, unendliche Mühe kostete. Nur mehr das Summen einer dicken Fliege unterbrach jetzt die drückende Stille die sich in dieser schäbigen Wohnung breit gemacht hatte. Seit Jahren lebten sie nun schon in dieser abgewohnten Behausung und sie hatten sich nicht mehr viel zu sagen, einer wusste vom anderen, was er dachte, denn sie kannten einander besser, als es ihnen lieb war.

 

Endlich, gegen Abend, das junge Pärchen war von seinem Badeausflug zurückgekehrt, kam ein leichtes Lüftchen auf. Der Mann spähte durch die Ritzen der verschlossenen Jalousien und entdeckte weit entfernt die ersten schwarzen Wolken. Noch war es nicht sicher, ob sie die erhoffte Abkühlung bringen würden, aber der Wind nahm bald an Stärke zu und brachte kühle Luft mit sich, deshalb kippte er das Fenster und ließ den frischen Lufthauch durchs Zimmer strömen.

 

          Bald darauf hatten die näher gekommenen, dunklen Wolken bedrohliche Formen angenommen und der Wind, der zu einem Sturm angewachsen war, trieb Staub, Dreck und Papierfetzten durch die Gassen. Die Bäume einer nahe gelegenen Allee bogen sich im Wind, einzelne Äste brachen ab und wurden durch die leergefegten Gassen getrieben. Von ferne hörte man das Heulen der Sirenen und die Folgetonhörner der Feuerwehrfahrzeuge. Noch bevor die ersten dicken Tropfen die Gassen und Straßen befeuchteten, schlugen große Hagelkörner wie Maschinengewehrsalven auf Dächer und Straßen. Dann endlich lösten die Regentropfen, die in riesigen Mengen vom Himmel schossen, die Hagelkörner ab. Die Temperatur war in nur wenigen Minuten um gut zehn Grad gefallen und die Luft war nun endlich frisch und rein.

 

          Der Mann duschte, wusch sich den Schweiß und den Bierdunst von der Haut, aber sein Atem zeugte noch immer von dem in großer Menge getrunkenen Bieres. Dann hatte er sich, so wie er war, nackt, neben seine Frau aufs Bett gelegt.

         Von oben drangen durch die dünnen Wände und die geöffneten Fenster das Gurren, Lachen und Stöhnen des Liebesspieles der beiden Verliebten im oberen Stockwerk. Die beiden Alten lächelten sich verstehend zu. Sie waren nicht mehr so schön und jugendlich, wie das Paar im oberen Stock. Hässlich und alt waren sie geworden, und ihre runzeligen Körper hatten jedes Verlangen in ihnen abgetötet, aber immer noch glomm unter der Asche die Glut vergangener Tage. Lange hatten sie keine Zärtlichkeiten mehr ausgetauscht, sich nicht mehr geliebt, aber die Töne, die aus dem oberen Stockwerk drangen, riefen Zeiten vergangenen, längst vergessenen Liebesspiels in ihr Gedächtnis zurück und ließen sie ihre Makel vergessen. Zu lange hatten sie auf Umarmungen verzichtet, weil ihre Körper nicht mehr knackig und attraktiv waren und sie geglaubt hatten, dass sie kein Recht mehr  hätten auf Zärtlichkeiten. Aber waren sie nicht auch einmal jung und schön gewesen und hatten sich geliebt? Der Mann streichelte ihren Arm und sie ließ es zu. Dann  umarmten sie einander und küssten sich. Ihre Berührungen waren ungeschickt und schwerfällig. Fast schämten sie sich dafür, aber dann vergaßen sie ihre alten, runzelig gewordenen Körper, umschlangen einander mit ihren Armen  und Beinen und liebten sich, wie sie es früher getan hatten, als sie noch jung und schön waren.

 

         Das heftige Gewitter hatte die Hitzeperiode abgelöst und es folgten Tage milden, warmen Wetters. Die Menschen in diesem alten, abgewohnten Haus nahmen wieder ihre alten Gewohnheiten auf und die Umarmung der beiden Alten nach dem Gewitter war bald vergessen. Aber heimlich warteten sie darauf, dass das nächste Gewitter nach einer langen Hitzewelle, sie wieder ihre Hemmungen vergessen lassen werde und die Glut, die noch immer nicht erloschen war, sie wieder aus ihrer Lethargie reißen und sie zu Taten verführen werde, die sie längst vergessen geglaubt hatten.

 

 



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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.12.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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