Helmut Wurm

Sokrates und die Wirtschaftskenntnisse von Jugendlichen

    
          Sokrates und für das Leben, nicht für die Schule lernen wir

                                               
 Sokrates hat im Internet eine Untersuchung des deutschen Bankenverbandes über das Wirtschafts- und Finanzverständnis deutscher Jugendlicher gefunden. Sie trägt den Titel „Jugendstudie 2012, Wirtschaftsverständnis und Finanzkultur“ und ist zu finden unter: http://bankenverband.de/presse/reden/jugendstudie-2012-wirtschaftsverstaendnis-und-finanzkultur
 
Es handelt sich um eine repräsentative Meinungsumfrage der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) bei 14- bis 24-Jährigen (n=758, 84% davon sind Schüler aller Schularten, vorgenommenim Mai/Juni 2012). Die Umfrage wird seit 2003 in einem dreijährigen Rhythmus durchgeführt, ist also die 4. dieser Art. Veröffentlicht wurde sie vom Bundesverband deutscher Banken auf einer Pressekonferenz am 12. Juli 2012.
 
Es geht in dieser Studie um das Wissen und die Einstellungen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu folgenden Themenblöcken:
 
- Finanz- und Eurokrise,
- Jugend und Wirtschaft,
- Finanzkultur und Finanzverhalten,
- Bankenimage.
 
Sokrates hat diesen längeren Bericht, die Ergebnisse und Schlussfolgerungen und die dazu angebotenen weiterführenden Links des Bankenverbandes gelesen, macht seinen Laptop zu und beginnt darüber zu sinnieren. Er ist deutlich gereizt und erregt, mehr als sonst bei ihm gelegentlich zu bemerken ist. Das hängt damit zusammen, dass alte Erinnerungen an enttäuschende und schmerzliche Erfahrungen damals vor 20 bis 30 Jahren wieder in ihm hochkommen.  

Sokrates nutzt natürlich das Internet, denn wer am Puls der Zeit bleiben und mit den Menschen nachdenken will, kommt über das Internet nicht herum. Deswegen hat sich Sokrates in die dafür notwendigen Kenntnisse eingearbeitet (nach dem Motto: auch im Alter kann man noch Neues lernen, wenn man will) und hat sich einen Laptop gekauft.  Sokrates beherrscht dabei die neuen Medien und lässt sich nicht von ihnen beherrschen.   
 
Nun sitzt er wie üblich nachdenklich, aber mit einer nicht übersehbaren Zornfalte auf der Stirn, in seinem Sessel und geht die Ergebnisse dieser Jugendstudie noch einmal durch.
 
Sokrates(sinniert): Es ist gut, dass es solche Studien auch im jugendlichen Bereich gibt. Dadurch werden die naiven Illusionen der "pädagogischen Gutmenschen", die Borniertheit der schulischen Betonköpfe, die Selbsttäuschungen und Lügenmärchen der pädagogischen Ideologen eingeengt. Im pädagogischen Bereich wird es wohl immer sowohl Illusionen als auch Starrheiten geben, denn die  Pädagogik grenzt an das Empfinden, an das Meinen, an Glauben und Überzeugungen im Menschen, an die philosophische Spekulation. Aber gerade deswegen sollte man sich um Realitätsbestrebungen bemühen, sollte die Pädagogik immer wieder aus ihren Wolkenkuckucksheimen auf den Boden der Realitäten herunter holen. Und das tun bis auf den heutigen Tag noch zu wenige pädagogisch Verantwortliche. Ich habe mich immer für die Menschen in ihrer realen Situation verantwortlich gefühlt, aber schon mein Nachfolger Plato ist teilweise wieder in die Sphäre des Irrationalen abgeglitten…
 
Die deutsche Schule, vor allem das allgemeinbildende Gymnasium, hat sich noch immer nicht in vollem Umfang der Vermittlung von Alltags-Realitäten geöffnet, der Vorbereitung der Schüler auf das Leben. Sie schleppt immer noch zu viel von der humanistischen Illusion mit sich herum, durch die reine intellektuelle Beschäftigung mit bestimmten theoretischen Lernbereichen das Gehirn zu kneten, zu üben und zu entwickeln. Früher waren das alte Sprachen, Grammatik und Mathematik, heute das Bestreben, generell möglichst viel zu vermitteln, gleichgültig ob die Schüler das Gelernte später brauchen oder nicht. Für die heutige deutsche Schule, vor allem für die Gymnasien, gilt in vielen Bereichen immer noch der Satz "scholae, non vitae discimus".
 
Und zum realen Leben, auf das die Schüler vorbereitet werden müssen, nicht nur sollten!, gehört die Beschäftigung mit Wirtschaft und Geldwesen. Was hat diese letzte Studie nun gezeigt? Es sind folgende Hauptergebnisse:
 
- Das Interesse an wirtschaftlichen Fragen ist nach einem Anstieg in früheren Jahren wieder rückläufig.
 
- Das Interesse an der Politik und das Vertrauen, dass die Politik die wirtschaftlichen Probleme lösen könne, hat weiter abgenommen.
 
- Bei fast jedem zweiten Befragten gab es größere Defizite im Verständnis von Wirtschaft und einfachen Wirtschaftsthemen. So hatten 4 von 10 Befragten keine konkreteren Vorstellungen, was Soziale Marktwirtschaft bedeutet und wie Angebot und Nachfrage zusammen hängen; nur jeder vierte Befrage kannte die Hauptaufgabe der EZB; jeder zweite gab zu, sich in Finanzfragen nicht gut auszukennen; sechs von zehn Befragten kannten nicht konkreter das Geschehen an der Börse.
 
- Von der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise hatte ca. 1 Drittel im engeren Umfeld schon intensiver reden gehört, aber nur jeder zehnte Befragte glaubte, davon im eigenen Leben umfänglicher betroffen zu werden.
 
- Eine große Mehrheit der Befragten sprach sich für einen höheren Stellenwert von Wirtschaftsthemen in der Schule aus und zwei Drittel der Befragten aus Bundesländern, wo es noch kein eigenes Schulfach Wirtschaft gibt, wünschten ein solches Schulfach.
 
Das sind doch beschämende Ergebnisse, beschämend für die Verantwortlichen im Schul-wesen - beschämend insofern, als viele Jugendliche nicht genügend auf die wirtschaftlichen Realitäten ihres späteren Lebens vorbereitet sind. Im Schulfach Sexualkunde hat man die Beschäftigung mit den Realitäten schon früher und viel zu weit, wie ich meine, vorange-trieben. Aber bezüglich Wirtschaftskenntnissen, so scheinen es viele pädagogisch Verant-wortliche zu meinen, kommen die Einsichten wohl früh genug von selbst. Wenn das nicht verantwortungslos ist?
 
Sicher gab es in den letzten Jahrzehnten einige Fortschritte. In vielen Bundesländern wurde an Realschulen ein Wahlfach "Wirtschaftskunde" eingerichtet, die Hauptschulen hatten ein Fach Arbeitslehre. Aber an den "fortschrittlichen" Gymnasien gibt es erst einen zeitlich be-grenzten Blockunterricht "Wirtschaft" innerhalb des Fachbereiches Gesellschaftswissen-schaften.
 
Ob es schon eine größere Anzahl allgemeinbildender Gymnasien gibt, an denen man in der Oberstufe wirtschaftskundliche Leistungskurse wählen kann?
 
In den vergangenen Jahren ist zwar viel über eine ökonomische Grundbildung in der Schule diskutiert worden. Mittlerweile besteht angeblich Konsens darüber, dass auch Wirtschaft in den Unterricht gehört. Der Bankenverband hat 2008 sogar ein umfassendes Konzept für ein Fach Wirtschaft vorgelegt, das erstmals alle Jahrgangsstufen von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II umfasst und auf alle Schularten angewandt werden kann (siehe den Link http://schulbank.bankenverband.de/service/unterrichtsmaterial-bestellen/index_html/
shopitem/f8acd80666919169aeb9a4accad54f5b. Die Einleitung ist wirklich treffend)
 
Aber ob noch in ihren Funktionen sitzende bornierten Betonköpfe das wieder geschickt blockieren werden?
 
Ich bin skeptisch, ob wirklich die Zeit der früheren Uneinsichtigkeit völlig vorbei ist. 
 
Mir wurde vor ca. 25 Jahren zugetragen, dass an den Schulleiter eines allgemeinbildenden Gymnasiums der Vorschlag herangetragen wurde, einen Wahlkurs Wirtschaftskunde in der Mittel- oder Oberstufe einzurichten und dass dieser Schulleier dann scharf und überheblich geantwortet habe, er leite ein allgemeinbildendes Gymnasium, für das niedere Themen wie Wirtschaft nicht geeignet seien. Gibt es heute noch solche Einstellungen bei gymnasialen Schulleitungen?
 
Und zur selben Zeit damals hatten sich Lehrer-Initiativen gebildet mit dem Vorschlag, an Realschulen eine Klassenstufe 11 mit wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Schwer-punkten einzurichten, gewissermaßen mit dem möglichen Abschluss einer "Kleinen Fach-hochschulreife". Auch diese Initiative wurde aggressiv-überheblich von Schulleitungen und ministeriellen Stellen abgeblockt. Die beleidigende Arroganz der Ablehnungen muss damals beschämend gewesen sein. Aber mittlerweile gibt es an einer Reihe von Realschulen schon weiter führende Klassenstufen 11 und 12, die zur Fachhochschulreife führen. Und das soll  ausgeweitet werden.
 
Ich kannte damals Lehrer, die waren bezüglich dieser beleidigenden bornierten Reaktionen ihrer Chefs mit Recht verletzt.
 
Und wenn man heute diese ehemaligen Blockierer in Schulleitungen und Ministerien fragte, wie sie im Nachhinein über ihre Ablehnungen denken, dann werden sie sich vermutlich so herausreden, dass die Zeit damals noch nicht reif gewesen wäre für solche Erweiterungen bzw. für solche  Neuerungen. Da kann man nur antworten, dass die Zeit damals deswegen noch nicht reif gewesen ist, weil die Köpfe der Verantwortlichen damals noch nicht reif für solche Fortschritte gewesen sind. Ob jetzt alle Schulleiterköpfe reif genug dafür sind?
 
Ich muss jetzt erst einmal spazieren gehen und mich wieder beruhigen. Wie schwer sich doch die Menschen mit fortschrittlichen Veränderungen im Schulwesen tun!
 
Damit nimmt Sokrates, immer noch ziemlich wütend, seinen Laptop, stellt ihn in das Regal
und geht hinaus in den Park.
 
 
(Verfasst von discipulus Socratis, den Sokrates dort traf und bei dem er sich seinen Ärger
vom Herzen redete. Dazu hat Sokrates auch einmal das Recht)
 
P.S. Den Vorschlag des Bundesverbandes deutscher Banken von 2008 für eine ökonomische Bildung in allen Schularten und Schulstufen und besonders die einleitende Begründung sollte man lesen. Sie umreißt klar das Problem und die Defizite.
 
 
 
 
 
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.01.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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