Sokrates hatte nach seinen vielen Bemühungen um Realismus, Ausgewogenheit und Ausgeglichenheit in den Zielsetzungen der deutschen Schulpolitik, des Schulwesens und der deutschen Schulpädagogik und auch nach den vielen Misserfolgen ein großes Bedürfnis gespürt, sich einmal auf anderen Themenfeldern zu beschäftigen.
Er war deswegen auf seiner Wolke zum „Chef“ aufgestiegen (wie er vereinfacht, aber keinesfalls respektlos zu sagen pflegt) und hatte um einen Einsatz anderswo gebeten. Er war aber überzeugt worden, dass er gerade in der Pädagogik und im Schulwesen, seinen originären Arbeitsfeldern, weiterhin dringend nötig sei und so war er, etwas müde und ohne Arbeitseifer, wieder abwärts gefahren – ohne einen konkreten Zielort und Plan.
Die unsichtbare Taxi-Wolke des Sokrates senkt sich von selbst - oder wird sie von einer unsichtbaren Hand gelenkt? - vor einem großen Schulzentrum nieder, dessen obere Fenster offen stehen und aus denen heftige Streitworte zu Sokrates herunter klingen. Sokrates hört zu:
Die Stimmen (durcheinander) : Das ist eine völlig veraltete pädagogische Konzeption, die hier abgeschafft werden muss… Das ist eine altbewährte Unterrichtsform, welche die besten Erfolg bringt… Das ist der neue schulpädagogische Weg, der Weg der Zukunft… Darauf weisen die Betriebe immer wieder kritisch hin… Moderne Eltern haben andere Vorstellungen von Schule… Mit diesen Methoden lernen Schüler am liebsten… Ganz neue Untersuchungen haben gezeigt, dass es ohne Disziplin nicht geht… Trotz aller Reformen werden die realen Schülerleistungen nicht besser… Wir haben noch nicht genug reformiert bei Schulformen und Unterrichtsformen… Die Schüler von heute sind anders als früher… Den Schülern heute fehlt Kontinuität in der Erziehung… Selbsterfahrung und Eigenverant-wortlichkeit müssen ab dem Kindergarten die Leitmaxime der Pädagogik werden… Reifen und Wachsen bedürfen einer Orientierung… Lasst Kinder wieder Kinder sein… Jugendliche benötigen Lehrer mit Ecken und Kanten… Wir werden mit unserem neuen Schulsystem die Wahlen gewinnen… Alte Zöpfe gehören abgeschnitten… Es ist viel zu viel reformiert worden… Andere Länder machen das ganz anders… Neue Lehrer braucht das Land… Ohne Erfahrungen geht es auch in der Schule nicht… Ich werde mich bei der Schulbehörde über Sie beschweren… ich werde die Schüler und Eltern gegen Sie mobilisieren…
Sokrates(murmelt vor sich hin): Da bin ich ja gerade mitten in ein Gefecht der Meinungen und Zielsetzungen gelandet. Und das geht da oben ja ziemlich heftig her… Aber das kenne ich ja schon zur Genüge.
In keinem anderen Bereich wird in Deutschland so viel theoretisiert, gelehrt, spekuliert, philosophiert, geglaubt, gehofft, ideologisiert, gemeint, spintisiert, phantasiert… wie in der Schulpädagogik und im Schulwesen.
Nirgends wird in Deutschland mehr gestritten, diskutiert, neu entwickelt, kreiert, gekämpft und bekämpft, reformiert, abgeschafft, sich geirrt, korrigiert… wie in der Schulpädagogik und im Schulwesen.
Bei keinem anderen Thema gibt es in Deutschland so viele Missionare, Bevormunder, Besserwisser, Theoretiker, Ideologen, Fanatiker, Unbelehrbare, Betonköpfe… wie in der Schulpolitik und im Schulwesen.
Nirgendwo in Deutschland besteht ein größerer Gegensatz zwischen Theorie und Praxis, zwischen Plan und Erfolg, zwischen Einsatz und Ergebnis… wie in der Schulpädagogik und im Schulwesen.
In keinem anderen Bereich in Deutschland glauben alle mitreden und mitgestalten zu können, nämlich neben den Lehrern die Universitäten, die Politiker, die Soziologen, die Kirchen, die Eltern, die Wirtschaft… wie in der Schulpädagogik und im Schulwesen.
In keinem anderen Bereich wird in Deutschland mehr mit allen Mitteln um Einfluss und Posten gekämpft, gemobbt, ausgebootet, geheuchelt, blockiert, verdrängt, um die Gunst gebuhlt, nieder gemacht, gedemütigt, geschmeichelt… wie in der Schulpädagogik und im Schulwesen.
Aber das war schon immer etwas so im Verlauf der Geschichte der Erziehung und der Schule - aber besonders heftig war und ist es in Deutschland.
Und die Opfer, die Dummen dieser ganzen Konflikte und Streitereien sind die Schüler.
Ich glaube, in diesen Bereichen Schulpädagogik und Schulwesen kommt es in Deutschland nie zu Entspannung und Mäßigung. Es geht tatsächlich nicht ohne Bemühungen von außen um kritische Distanz und Ausgewogenheit - Ich sollte weiter machen und ich mache weiter.
Ich werde mal nach da oben gehen und versuchen, ob ich etwas ausrichten kann… Die brauchen mich…
(Damit geht Sokrates in Richtung Schultür… Und damit schließt sich der Kreis wieder)
(Aufgeschrieben von discipulus Socratis, der froh ist, dass Sokrates wieder Mut geschöpft hat)
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.01.2013.
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