Ewald Frankenberg

Doppelleben (Burnout)

 Langsam nimmt das Auto Fahrt auf. Bevor ich mir überlegen kann, wohin
ich eigentlich will, kracht es jäh gegen die Mauer. Schlagartig bin ich wach.
Oder doch nicht. Mein Kind auf dem Beifahrersitz weint. Ich nehme es hoch,
schüttele es, bis es still ist. Na also, geht doch. Ich habe gar keine Kinder
und werfe die Puppe auf den Rücksitz.

Was sollte das denn jetzt schon wieder sein. Ich schaue auf die Uhr. Es ist
drei. Meine übliche Zeit. Nach drei Stunden Schlaf fühle ich mich fit. Und
ich darf noch drei weitere Stunden, überschlage ich schnell. Ein gutes Gefühl.
Wenn ich jetzt pinkeln geh, spare ich mir vielleicht den Gang um vier. Das
Licht lasse ich aus, damit ich schneller wieder einschlafen kann.

Um Acht habe ich einen Termin, einfache Kiste, also kein Grund, jetzt an
Arbeit zu denken. Um Neun eine Besprechung andernorts. Muss ich halt
unterbrechen. Dann lege ich mir noch drei Reparaturen zurecht. Wenn die
Besprechung nichts anderes ergibt, schaffe ich alles ohne Stress.

Mein Handy piept mich mahnend an. Mutwillig lasse ich den Akku immer
leer werden, bin ich nicht erreichbar, kann der Tag laufen wie geplant.
Aber diensteifrig springe ich doch noch aus dem Bett, hänge das Ding ans
Ladegerät.

Noch eineinhalb Stunden Schlaf, überschlage ich, ein gutes Gefühl. Schnell
noch einmal pinkeln, damit mich nicht noch zehn Minuten vor der Zeit meine
Blase raustreibt.

Wecker brauch ich nicht, ich werde jeden Morgen zur gleichen Zeit wach.
Auch am Wochenende. Da kann ich mich dann noch mal rumdrehen, ein gutes
Gefühl, kann im Dunkeln grübeln oder bei Licht lesen, bis meine Frau mir
erklärt, wie blöd ich doch bin, dass ich am Wochenende nicht weiterschlafe.
In der Woche hingegen freut sie sich aufs Wecken durch mich, weil meine
positive Ausstrahlung den Start in den Tag leicht macht.

Frühstück brauch ich nicht, weil der Druck auf den Magen Völle vorgaukelt.
Der Druck steigt mit zunehmender Nähe zur Firma, so dass meine positive
Ausstrahlung nach dem Morgengruß in die Runde verbraucht ist und ich erst
einmal auf Klo verschwinde.

Nach meiner Rückkehr freut sich mein Boss, dass ich doch auch schon da bin
und drückt mir zwei neue Aufträge in die Hand. Mit ausladender Armbewegung verdeutliche ich ihm, wie unübersehbar hoch der Berg unerledigter Arbeiten
für mich schon ist. Er stellt mich ruhig mit dem Versprechen, ab morgen bekomme
ich Hilfe. Na gut.

Entspannt fahre ich vom Hof, ohne den mir gestern für heute versprochenen
Helfer, weil der, genau wie schon in den Wochen zuvor, eben noch einen anderen
Auftrag erledigen muss. Das Vertrauen meines Chefs ehrt mich, und auch die
Kunden freuen sich meist, wenn ich auflaufe. Das baut mich auf und die Arbeit
macht Spaß.

Nach der Besprechung unterbricht erstmals das Handy den schon eh umgeplanten Tagesablauf mit der Bitte, kannst du mal eben. Na klar, sofort, bin sowieso
gerade unterwegs. Allerdings klingelt das Ding so oft, dass ich mich schon mal
trauen muss, abzulehnen.

Und dann überlagert zwischendurch auch schon mal ein Hunger- das Völlegefühl,
so dass ich mir die eine oder andere Pause gönne. Und wenn ich zu Feierabend
den Tag Revue passieren lasse, wundere ich mich, dass ich doch auf das ein
oder andere Erfolgserlebnis zurückblicken kann. Das baut doch auf.


 

*****
 

Ich freue mich auf Daheim. Meine Frau, die ich liebe, kommt zwar später als
ich, aber unser Zuhause ist auch ohne sie schon gemütlich. Außerdem gibt es
immer etwas zu tun, im Haus, im Garten, und wenn ich schon einmal den
Arbeitsanzug anhabe, …

Aber erstmal setze ich mich doch kurz hin, trinke einen Kakao, mache zur
Entspannung den Fernseher an, lese noch ein, zwei Artikel in der Zeitung,
für die ich in den Pausen keine Zeit hatte. Die intelligenten Fernsehmacher
gestalten das Nachmittags- und Vorabendprogramm ganz geschickt immer so,
dass es keinen von der Arbeit abhalten kann, aber irgendwie, trotz festen
Plans scheint das Heimwerk von einem Schutzschirm umgeben, den ich nicht
durchbrechen kann.

Außerdem habe ich ja schon den ganzen Tag gearbeitet. Vielleicht bin ich
morgen entspannter. Und dann ist ja auch schon wieder Wochenende. Da habe
ich ganze Tage. Na gut, alles klar. Andererseits ist Wochenende Wochenende,
und das muss ich ja nicht auch noch mit Arbeit vollpacken. Tue ich auch nicht.
Weiß ich aus Erfahrung.

Also auf. Musik auflegen gibt zusätzlichen Schwung. Klasse. Na gut, ein Lied
noch. Und währenddessen kann ich ja eben mal in den PC gucken. Die Äpfel
vertragen mitunter noch ein paar Tage Reife und die zu mähende Wiese steht
morgen auch noch da.

Aber das gute Wetter heute ist ein unschlagbares Argument. Trotzdem, der
PC ist gerade hochgefahren, dann kann ich auch mal eben schauen. Und dann
sind darauf noch so ein, zwei Spiele programmiert, die zwar nicht wirklich
unterhalten oder entspannen, aber die Texte, die ich hier noch zur Eingabe
liegen habe, sind dagegen dann doch schon wieder eher Arbeit.

Ich trete mir gedanklich in den Hintern, raffe mich auf, spiele nur eben noch
ein Spiel, denn eine etwas bessere Quote geht doch wohl noch. Ansonsten ist
es jetzt tatsächlich schon fast zu spät, und der Druck auf dem Magen lässt
auch kein wirklich entspanntes Arbeiten zu. Dann kann ich die Klamotten auch
ausziehen und in die Ecke schmeißen.

Ich höre meine Frau vorfahren, nehme ein Buch zur Hand, weil das wenigstens
etwas den Eindruck einer anständigen und zugleich entspannenden Tätigkeit
vermittelt, drehe es gerade noch richtig herum, als sie eintritt.

Sie ist abgekämpft, freut sich mich zu sehen, strahlt mich an. Na, das baut
einen doch wieder auf.

Auf ihre Frage, wie mein Tag war, bekommt sie die ausweichende Antwort
normal, wie immer, ich habe schließlich Feierabend und muss hier nun wirklich
nicht alles noch einmal aufarbeiten.

Sie hingegen arbeitet mit alten und kranken Menschen, trägt ein richtiges
Päckchen mit sich rum, das abgeladen werden muss. Ich kenne die Leute nicht,
von denen sie redet, versuche ihr aber dennoch durch Zuhören ein wenig Last
von den Schultern zu nehmen. Das baut auch mich auf.

Weil sie insgesamt weniger Stunden als ich arbeitet und ich außerdem im
Garten noch so viel zu tun habe, habe ich ein Alibi, die Kocharbeit auf sie
abzuwälzen. So lange ziehe ich mich zurück, entspanne, hasse mich dafür,
was mir wiederum die Entspannung nimmt. So kreisen in meinem Kopf die
Gedanken um die Arbeiten, die wieder liegen geblieben sind, umrundet von
der Frage, wieso ich es nicht schaffe, mich selbst für die kleinste Kleinigkeit aufzuraffen.

Trotz des Völlegefühls kann ich aber unser gemeinsames Essen genießen. Das
ist sozusagen immer das Tageshighlight. Obwohl nur zu zweit, verschaffen
wir uns mit Hilfe des Fernsehers, in dem das Perfekte Dinner läuft, das Gefühl,
in einer größeren Abendgesellschaft zu dinieren. Gleichzeitig bin ich sicher,
dass mir die kleinen Zaubereien meiner Frau besser munden, als es die
extravaganten Menüs der medialen Esser tun würden. Das baut doch richtig auf.

Ich hadere aber heute wieder mal extrem mit mir selber, gebe vor, etwas
anderes im Fernsehen sehen zu wollen und begebe mich vors Zweitgerät ins
Bett, überlasse mich meinen Selbstzweifeln und -vorwürfen. Der Kopf ist nicht
klar, obwohl nur wenige Gedanken zu ordnen wären kreisen sie wild im Kopf,
kein Anfang, der richtig zu fassen wäre und kein Ende, mit dem ich das Thema
abhaken könnte. Und die Depression im Kopf verursacht zusätzliche Beklemmung
in der Herzgegend.

Ab und zu blitzt im Menü der Gedanke durch, steh auf, beweg dich, tu was und
das Karussell ist gestoppt, aber wegen des negativen Bauchgefühls kann ich mich
nur dazu aufraffen, vorsichtshalber einen Eimer ans Bett zu holen.

Die Gedankenschleife im Kopf hat sich auf den Zuruf –tu was- und die Frage
–warum nur schaffst du das nicht- reduziert und springt entsprechend schnell
hin und her, unterschwellig etabliert sich das Gefühl, jetzt drehst du ab.
Gleichzeitig verspüre ich eine starke Korrespondenz zwischen Herz und Magen,
anfangs nur ein flaues Gefühl, das sich aber zusehends zu Schmerz steigert.

Ich muss hier raus, schreit es in mir, aber jetzt geht Garnichts mehr. Die
gesamte linke Leibseite schmerzt zerreißend, so dass ein Ausgangspunkt nicht
mehr definierbar ist.

Ich kämpfe mich noch einmal ins Wohnzimmer zu meiner Frau, erkläre ihr, wie
schlecht es mir geht und dass ich mich deswegen jetzt hinlege. Dann versichere
ich ihr noch überschwänglich und ausführlich meine Liebe, dass, für den Fall,
wenn ich heute Nacht sterbe, sie ein gutes Abschiedsgefühl zu mir hat.


 

*****

 

Ich überlebe, verweigere mich aber der Arbeit und erkläre meiner Ärztin,
dass die Symptome wohl psychisch bedingt sind. Daraufhin hofft sie, die
Androhung einer Magenspiegelung könne plötzliche Genesung zur Folge haben,
schreibt aber zusätzlich noch ein Antibiotikum auf. Etwas von dem hilft mir
über den Berg, vielleicht waren es auch nur die drei Tage Auszeit, die sie mir
verordnet.

Was auch immer, mir geht’s gut, und bis zu meinem nächsten Zusammenbruch
kann ich meinem Umfeld mit meiner positiven Ausstrahlung ein Lächeln schenken.



 

© Ewald Frankenberg

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.01.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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