Lilli Lück

Verblasst

 

Verschwunden.
Sie war verschwunden, einfach so, ohne Worte der Verabschiedung oder der Erklärung.
Sie hatte sich umgedreht und ist gegangen. Ihre Hand hatte sich aus der seinen gelöst und er hatte gewusst, dass er sie nie wieder sehen würde.

Tränen liefen ihm über die Wange und er schämte sich, schämte sich, dass er weinte. Er setze sich auf den Gehsteig und ließ den Kopf hängen. So wollte er da sitzen, sich im tiefsten Winter nicht mehr rühren und am liebsten erfrieren.

 

Irgendwann ging die Sonne auf und der Himmel nahm einen hellen rosa und Orangeschimmer an.
Er blickte hoch und dachte … nichts. Er war eiskalt nicht nur am Körper sondern auf im Herz und im Gehirn. Er war zu keiner Gefühlsregung fähig. Er war bloß so erschöpft und so schrecklich müde.

Die ersten Fußgänger gingen vorbei und er spürte ihre Blicke. Es war ungewöhnlich, dass ein erwachsener Mann um sieben Uhr morgens den Gehsteig versperrte und sich nicht rührte, obwohl es bitterkalt war. Die Kälte brannte in seinen Augen, oder waren es die Tränen? Er wusste es nicht.

Die Sonne wärmte ihn nicht. Sie schien, aber ohne Wärme. Wie lange saß er da schon? Er war halb erfroren, die Augen waren ihm zugefallen und er träumte. Er träumte von ihr und vom Sommer. Er träumte von der schönen Zeit, die sie hatten. Schön aber zu kurz.

 

Gegen Mittag hielt endlich ein Fußgänger vor ihm an. Er musterte den sitzenden Mann, betrachtete seine blau gefrorenen Lippen und seine geschlossenen Augen. Er kniete sich nieder und fühlte den Puls des Mannes. Tod. Erfroren.

Eine Gruppe von Schaulustigen hatte sich um den Toten gebildet und sie spekulierten darüber, warum er nicht ins Warme gegangen war. „Vielleicht hatte er kein Zuhause“, „Vielleicht ist er hingefallen und war zu erschöpft um aufzustehen“. Nach einer Weile löste sich die Gruppe auf und nur noch der Mann, der ihn gefunden hatte, wartete auf den Krankenwagen.

Blaulicht kündigte sich an, doch ohne Ton. Es war kein Notfall mehr. Es war nicht mehr wichtig.
Die Sanitäter brachten ihn in die Leichenhalle und suchten noch zwei Wochen nach seinen Tod nach Vermisstenanzeigen. Doch niemand meldete einen mittelalten Mann als vermisst. Und irgendwann gaben sie die Suche auf und wendeten sich wieder ganz und gar dem Alltag zu.

Doch der Mann, der Erfrorene, sah vom Himmel hinab und merkte nun, wie es ist vergessen zu werden. Keine Familie, keine Freunde und auch keine Liebe mehr. Und langsam, sehr langsam fing er an zu verblassen. Wenn niemand an ihn dachte, dann war er nicht da. So ist das nun mal.

Wo die Verblassten hinkommen? Die Leute an die niemand mehr denkt nach ihrem Tod? Sie kommen nirgendwo hin, sie sind einfach weg – für immer. Ja, so ist das nun mal!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.01.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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