Vera Engelbrecht

Sprechschleife

Wie schon das letzte Wort, geht mir die letzte Ziffer nur schwer vom Finger, sekundenlang baumelt sie über der -2- Taste, krallt sich in den Fingelnagel, ruft und findet verbündete Armmuskeln, die lieber erstarrt gespannt sind als sich auf die doch so nachgiebige Rundung zu senken. Im Telefonhörer das Rauschen meines überhöhten Pulses, starre ich, meinem Arm seine puppenhaft starre Position gewährend, auf das Fensterbrett, auf dem eine winterbeladene Mücke sich torkelnd ihren Weg bahnt.
-- Hallo ??
Meine Hand, vom zähen Kampf erschöpft, verfehlt den Auflegmechanismus knapp und bleibt erschöpft neben dem Telefon liegen.
-- Hallo ???
Ich habe sie nicht gewählt, die letzte Nummer, und doch diese Stimme, die Mücke? mein Hirn?
-- Hallo?
Ohne aufzugeben, amüsiert interessiert dieselbe Frage, das altersschwache Stechinsekt fliegt versuchsweise gegen das Fenster.
- Ja.
Rauh hat es sich nach oben gekämpft, der kleine Laut mit dem diesmal existenzbejahenden Inhalt, ja, ich bin hier, ja, ich weiß nicht, warum ich nicht auflege, ja, meine Hand ist ein wenig lahm.
- - - -
Dass Grinsen lautlos ist und trotzdem manchmal deutlich hörbar, hat mich schon seit langer Zeit frustiert. Es sollte eine Art Xylophontonleiter geben, wenn die Lippen die Zähne blenken lassen.
- Ich wollte gar nicht, weil eigentlich, ich meine, die letzte Nummer, ja, sorry.
Weshalb ist es noch peinlicher als ein sprachgesteuerter Verrückter zu wirken, als überhaupt schon der Tatsache ausgeliefert zu sein, sich keine Zahlenabfolge richtig merken zu können. Ich will in die Kategorie Minder-Gestörte fallen und fühle den Drang mich und meine unkoordinierten Wortfetzen zu erklären.
- Ich wollte nämlich eigentlich jemand anders anrufen.
Als ob mein Zuhörer sich das nicht hätte denken können. Ich sehe das Grinsen noch ein wenig breiter werden.
- Also, ich meine, ich wollte jemand anrufen, wußte aber nicht so genau, ob ich soll, und deine Nummer scheint seine Nummer ohne die Endzahl zu sein.
-- Bist du zuhause?
Wie ein Schauspieler, durch diesen falschen oder unvermuteten Einsatz aus der Bahn gelenkt, antworte ich intuitiv
-Ja
und denke später erst an alle möglichen Gewaltverbrechen.
--Was ist denn los?
Eine nicht identifizierbare Es-Tonlage, es könnte sein, dass es böse ist, es könnte eine Frau sein, es könnte ein entflohener Sträfling sein, der sich ganz in der Nähe niedergelassen hat.
-- Was ist denn los?
Als sei ein Sprung in der Erdbahn, und die Menschheit würde immer wieder zur selben Stelle zurückbefördert, bis ich meine Antwort gebe.
- Naja, ich wollte einen Freund anrufen, wollte ihn fragen, ob, naja, vielmehr wollte ich ihn fragen, was, was jetzt wird mit uns, was man braucht um eine Beziehung einzugehen, Interesse, Liebe, Gemeinsamkeiten, Einsamkeit, ein Kaminfeuer, und ich wollte mich erkundigen wieviele dieser benötigten Dinge ich beschaffen kann.
Ich blicke mit der müden Mücke aus dem Fenster auf stadtbekannte verfehdete Eichhörnchenbanden, kann mich aber nicht auf deren Gewinne oder Verluste konzentrieren, vielmehr rattere ich im Takt zu den draussen vorbeiwischenden Autos weiter Worte auf den Serientäter in spe
- Ich weiß ja selbst nicht ob ich will, ich meine nur, ist es nicht besser wirklich zu wissen ob gut oder schlecht, als in einer Standspur jahrelang dazwischen zu stehen, ich weiß ich will jetzt, will Glück, will entschieden bestimmt Sicherheit, will Ergebnisse, will das ganze Programm eben. Ob ich ihn will? Wer kann das sagen. Es ist ein wenig so wie in einem Telefongespräch mit ihm, man spricht und antwortet, und ist doch nicht ganz da. Ist es denn nötig sein Gegenüber ganz zu kennen, ganz zu sehen, ganz zu lieben, oder beschäftigt man sich nicht hauptsächlich sowieso nur mit den eigenen Angaben, und die Fragen des anderen werden Stein des Anstosses, du weißt schon, dieses ganze
und-dann-sagt-er-so-und-dann-ich-so-Ding ?
Zögerliches Stocken neben meinem Ohr, wenn das ein Verbrecher ist, dann ein nachdenklicher.
Die Zeit, die eine Mücke braucht um ein normalgroßes Fenster diagonal zu bewandern vergeht und dann
-- Ähm,..., kannst du, oder ehh, können sie, ich bin ein bißchen schwerhörig, aber bald kommt mein Mann vom Einkaufen, und der kann Ihnen, dir?, sicher weiterhelfen, ich lege jetzt auf, falls, eh, falls noch jemand dran ist, ja? eh bis dann, nech?

Ich mache mir nicht die Mühe, den Hörer abzulegen, höre mein Blut in der erkalteten Leitung rauschen und finde die Mücke auf dem Fensterbrett, die Beinchen nach oben.
Selbstmord?? Kältetod??


Ich frage mich, ob man Personen nur mit eigenen Gefühlen füllt, ob man quasi ein ganzes Leben glücklich mit sich und ein paar Körperdoubeln sein kann. Wieviel Freundschaft braucht Freundschaft? Man sagt, "er war immer für mich da". Was ist gemeint? Die bloße Existenz, das gestreute Meinungsagen? Im Grunde genommen muss man selbst mit seinen Problemen fertig werden. Kann es also sein, dass man sich das ganze Leben lang nur mit sich und seinen Gefühlen zu Personen beschäftigt, statt mit den eigentlichen Akteuren des Lebens um einen herum???Vera Engelbrecht, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.04.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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