Dietmar Wessel

Persona non grata (deutsche Version)

Da stand er plötzlich vor mir.Ohne angeklopft zu haben, lächelte er mich mit seinen schmalen Lippen an. “Der Zufallsgenerator hat Dich ausgewählt, ab jetzt werde ich bei Dir bleiben. Ach so, mein Name ist Parkinson. Meine Freunde nennen mich Morbi“. Ich war völlig konsterniert. “Warum gerade ich? Ich bin doch erst 35“. Gleichgültig zuckt er mit den Achseln. “That´s life..“, kommentierte er müde und lächelte dabei.

Ich hatte schon von diesem aufdringlichen Eindringling gehört. Klebt an einem wie Pech. Anfangs gibt er sich völlig harmlos... aber dann... Ich saß da und grübelte vor mich hin und spielte in Gedanken alle Alternativen durch, wie ich ihn loswerden könnte, während Morbi sich bei mir umschaute, um mich kennenzulernen. “Die Polizei Dein Freund und Helfer“, schoß es mir durch den Kopf, verwarf die Idee sogleich wieder. “Nicht zuständig“ würde man mir antworten. “Bestechung“, natürlich...das war´s, die Lösung. “Hör`mal Morbi, warst Du schon mal in der Karibik“, fragte ich betont unauffällig und klopfte mir dabei in Gedanken selbst auf die Schultern ob dieser genialen Idee.

“Ach mein Freund, man kennt mich überall, ich war schon
überall, nur Dein Leben interessiert mich jetzt“. Mit diesen Worten ließ er meine Illusionen platzen. Du solltest besser Deinen Neurologen fragen, er kennt mich.“

Da hörte ich meine Frau vom Einkaufen heimkommen. Freudig zeigte sie mir die Schuhe, nach denen sie schon in mehreren Geschäften gesucht hatte. “Etwas mehr Interesse könntest Du schon zeigen,“ murrte sie, als sie meinen grüblerischen Blick bemerkte. “Ach mein Liebling, ich freue mich ja für Dich, aber ich habe da ein Problem. Ein gewisser Parkinson, genauer Morbus Parkinson hat sich bei mir oben im Arbeitszimmer breitgemacht und will jetzt bei mir bleiben.“ “Das ist ja wohl nicht Dein Ernst, daß Du im Arbeitszimmer, dem Schaltzentrum, jemanden aufnimmst. Die ganze Familie wäre davon betroffen, wenn das geduldet würde“, brauste meine bessere Hälfte auf. “Ich weiß“ murmelte ich kleinlaut und war noch immer geschockt von dieser Wende in meinem Leben. “Morgen gehen wir zum Neurologen, er muß doch wissen, wie ich ihn loswerde“.

Da kam Morbi angeschlichen. Sofort setzte ein unmerkliches Zittern bei mir ein, gerade mal so zur Einstimmung, um zu zeigen, daß ab jetzt alles anders war. Meine Frau würdigte er keines Blickes. Seine ungeteilte Aufmerksam galt mir.

“Um es klar zu sagen: Ich bin ein Spieler und erkläre Dir die Regeln. Du kannst so wie bisher weiterleben. Du arbeitest, fährst Auto, ißt, wäscht dich, gehst spazieren etc. Ich dagegen habe so einige Tricks auf Lager, um Dich zu stören.

Einige Beispiele: Wenn Du die Tasse zum Mund führst, zittert Deine Hand, wenn Du aus dem Sessel aufstehen möchtest, bleibst Du wie angeklebt sitzen, wenn du mal eben einige Schritte gehen möchtest, neigt sich Dein Oberkörper und Du beginnst zu trippeln. Immer wenn du es schaffst, zu machen, was Du Dir vorgenommen hast, bekommst Du einen Punkt. Wenn Du es nicht schaffts und aufgibst, bekomme ich einen Punkt. So können wir jederzeit sehen, wer in Führung liegt. Ach ja, Du kannst natürlich Chemieprodukte einsetzen, soviel Du willst. Dein Neurologe wird Dir ein ganzes Arsenal vorschlagen. Du kannst auch Gymnastik machen, Knoblauchzehen essen, Reiki versuchen oder meditieren. Ich bin da ganz leidenschaftslos. Du mußt wissen, was Du machst.“

Wir konnten und wollten nicht glauben, was wir da hörten. Anderntags der Neurologe nickte nur stumm als ich ihm erzählte, was mir widerfahren war und gab dann einen knappen Kommentar. “Eindeutig, Idiopathischer Parkinson, progredient, versuchen´s mal mit Neuroprotektion, um das Schlimmste zu verhüten. Müssen vor allem die Catechol-O-Methyltransferase hemmen, damit dopaminerge Zellen nicht zu stark belastet werden. Habe kräftige Agonisten, die wir zusammen mit einer üppigen L-Dopa Gabe einsetzen. Da wird ihm Hören und Sehen vergehen. Ich habe alles im Griff, vertrauen Sie mir mal“. Meine Frage, ob ich Morbi endgültig loswerden würde, überhörte er geflissentlich und erwähnte irgendwas von harmonischen Zusammenleben mit dem Eindringling.

Mutig nahm die Familie den Wettkampf auf. Der massive Einsatz von Pharmaprodukten hat wohl Morbi verschreckt. Unbehelligt lief mein Leben weiter. Meine Kinder nahmen es eher von der sportlichen Seite: “Papa, Du liegst nach Punkten eindeutig in Führung. Morbi hat keine Chance gegen unseren Papa.“

Wie gerne wollte ich das glauben. Und wirklich, Morbi hat nur die erste L-Dopa Euphorie abgewartet, bevor er zuschlug. Kurz, trocken, ohne Vorwarnung gnadenlos: Meine Beine gehorchten plötzlich nicht mehr. Im Kaufhaus, mitten in der Menge hielt er mich an und bot der Menschenmenge ein grausames Schauspiel: Ein Erwachsener versucht in Trippelschritten die nächste Bank zu erreichen. “So geht das, Opa“, rief ein ca. zweijähriges Kind und lief vor mir her, um zu zeigen, wie man laufen müsse. Kopfschütteln bei den Menschen, so was sieht man nicht alle Tage.

Als ich die Episode zuhause erzählte, herrschte erst einmal Betroffenheit, während Morbi zufrieden im Hintergrund lächelte. Wir müßten klüger sein als er, und wir planten und überlegten. Genau nach der Uhr planten wir unsere Ausflüge und Ruhepausen, um Morbi keine Gelegenheit zum erneuten Zuschlagen zu geben. Welche Freude bei uns, wenn wir es geschafft hatten, ohne von ihm behelligt zu werden, einen schönen Nachmittag in der Natur zu verbringen. Oder einen Abend mit meiner Frau in einem guten Restaurant, so wie früher... ich in guter Form und gehe ruhig und souverän mit dem Besteck um. “Los Papa, los, Du schaffst es“ feuerten mich meine Kinder an, wenn ich mich beim Schuheanziehen abmühte. Meine Frau gab mir so viel Kraft und Unterstützung wie nötig und soviel Vertrauen in die eigenen Kräfte wie möglich, um im Wettkampf mitzuhalten.

Manchmal wurde ich übermütig... schlich mich allein aus dem Haus, blickte ängstlich über die Schultern und ging vorsichtig alleine los in den Wald... kein Morbi folgte mir, ich ging schneller, lachte, freute mich.... lief los... und rief “Ja, ich schaffe es, ich gewinne“ und war so glücklich... “Lauf, Papa, lauf, Du schafft es.... Du bist in Führung, hörte ich meine Kinder in Gedanken rufen“ .... es war wunderbar.... bis an der nächsten Biegung Er auf der Bank schon auf mich wartete... mit diesem kalten, dünnen Lächeln... “Wollten wir alleine losgehen? Ja? Ohne Morbi? Dachten wohl, Morbi läßt sich überlisten, wie? Na dann mal zurück.....“ Gebeugt, schlurfend, dann wieder mit Trippelschritten, immer in Gefahr vornüber zu fallen zwang mich Morbi heimwärts. Ich verkroch mich beschämt in eine stille Ecke.... und überlegte neue Pläne... Nie aufgeben.... Nicht gegen diesen Morbus Parkinson... und nicht jetzt...

Ich habe schon viele Punkte in diesem Wettkampf gemacht, aber Morbi auch, mal liegt er in Führung und mal ich..... Aber wir wissen, daß wir ihn eines Tages vor die Tür setzen werden.... ihn loswerden.... für immer....!! und dann wird gefeiert... eine große Party... und gelacht und gelacht... wir üben schon einmal, jeder Tag ein kleiner Feiertag und jeden Tag lachen.... Morbi mag es nicht und mir tut es gut.... zum Üben, für den großen Tag.

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