Zwischen die blauen, rotierenden Lichter der Polizei hatten sich einige gelbe der Einsatzfahrzeuge der Straßenmeisterei gemischt. Zwei Männer holten aus einem silberfarbenen Kombi einen Behälter, der jenen ähnelte, die man zum Transport von Skiern benützt, doch dieser hatte einen anderen, einen traurigeren Zweck, denn er diente als provisorischer Sarg für einen, der soeben sein Leben gelassen hatte.
Die wenigen Autofahrer die um diese Zeit vorbeikamen, waren froh, von den zahlreichen Gendarmen, die die Unfallstelle absicherten, nur durch gewunken zu werden, denn es war die Nacht vom Faschingsamstag auf den Faschingsonntag, und kaum einer hätte einen Alkoholtest bestanden.
Wenn sie nicht genug damit zu tun gehabt hätten, auf dieser leicht abschüssigen, von Schnee bedeckten, glatten Fahrbahn ihr Fahrzeug zu beherrschen, hätten sie unweit der rechten Straßenböschung das Wrack eines Autos bemerken können, das vor wenigen Minuten noch als neu hätte gelten können.
Herbert lebte mit seiner Frau und seinen beiden fast erwachsenen Kindern in einem hübschen Einfamilienhaus, das sie sich schwer erarbeitet hatten und für das noch die eine oder andere Hypothek zu bezahlen war. Sie stellten sich vor, dass sie jetzt, da die beiden Kinder aus dem Gröbsten heraus waren, sie wieder ein bisschen mehr von einander haben würden und sie sich den einen oder anderen, kleinen Luxus leisten können würden. Das alles war nun mit einem Schlag Geschichte.
Diese Faschings-Veranstaltung, die in einem der benachbarten Orte der Gemeinde stattgefunden hatte, hatte Herbert noch unbedingt besuchen wollen, war sie doch die letzte dieses Faschings gewesen. Seine Frau hatte keine Lust gehabt, ihn zu beleiten und war zu Hause geblieben. Heute machte sie sich Vorwürfe, dass sie ihn damals allein auf diesen Ball gehen hatte lassen, dass sie ihn nicht begleitet hatte und dann aufpassen hätte können, dass er nicht zu tief ins Glas schauen konnte, denn sie wusste, dass er bei solchen Gelegenheiten gerne dem Alkohol zusprach, und deshalb hatte sie ihm zum Abschied noch zugerufen: „Trink nicht zu viel und komm gesund heim!“ Natürlich hatte er die guten Ratschläge seiner Frau im Trubel des Festes vergessen, hatte heftig getrunken und sich auch sonst nichts abgehen lassen.
Als er sein Heim verlassen hatte, war es eisig kalt gewesen, aber nichts hatte darauf hingedeutet, dass es während der Nacht zu schneien anfangen könnte. Umso überraschter war er dann gewesen, als er um zwei Uhr nachts aus dem Gasthaus gekommen war, um die Heimfahrt anzutreten, dass dichte Schneeflocken vom Himmel fielen. Vielleicht hätte er ja auf dieses Vergnügen verzichtet, wäre vielleicht lieber zu Hause geblieben, wenn er gewusst hätte, dass er die Heimfahrt, nicht ganz nüchtern, bei dichtem Schneefall bewältigen werde müssen, denn natürlich hatte er schon beim Weggehen nicht daran gezweifelt, dass er das eine oder andere Gläschen trinken würde. Nun musste er, ob er wollte oder nicht, ein Taxi war in seiner Gemeinde und zu dieser Zeit nicht mehr aufzutreiben, seine Heimfahrt mit dem Wagen antreten, denn die gut sieben Kilometer, die er dafür hätte laufen müssen, um nach Hause zu kommen, konnte er nicht gut zu Fuß zurücklegen.
Als er nun im Wagen saß, um nach Hause zu fahren, hatte er bemerkte, dass der Alkohol sein Sehvermögen leicht beeinträchtigt hatte. Er konnte kaum erkennen, wo die Straße endete und der Straßengraben begann, denn die Landschaft war hinter einem dichten, weißen Vorhang von Schneeflocken verschwunden, und der Schneefall, der schon einige Stunden angedauert haben musste, hatte den ganze Landstrich mit einer dichten, weißen Decke versehen, unter der die ganze Gegend verschwunden war, in die bisher kein Räumfahrzeug eine Spur gezogen hatte. Zudem war die Fahrbahn von den Fahrzeugen, die die Straße vor ihm benützt hatten wie glatt poliert.
Die Wärme des Wagens machte ihn müde und er begann nun die Wirkung des Alkohols zu spüren. Er war träge geworden, kämpfte mit dem Schlaf und konnte kaum seine Augen offen halten, das viele Trinken und der heftige Schneefall, tat das seine dazu, dass er sich nicht wohl fühlte in seinem Fahrzeug. Das letzte Glas hätte er nicht mehr trinken sollen, dachte er.
Gern hätte er diese Fahrt schon hinter sich gebracht, läge lieber schon daheim in seinem Bett und er wünschte sich, dass das alles nur ein böser Traum wäre. Die Fahrt strengte ihn an und der Gedanke, dass er noch einige Kilometer vor sich hatte, war nicht gerade ein Trost für ihn. Er war diese Straße sicher schon hundertmal gefahren und er kannte die Strecke gut, und dieses Wissen gab ihm Hoffnung, trotz der widrigen Umstände, sein Heim doch noch gesund erreichen zu können. Dessen ungeachtet stieg ihm heiß und kalt auf, bei dem Gedanken diese Entfernung, die unter anderen Gegebenheiten ein Klacks gewesen wäre, noch hinter sich bringen zu müssen.
Das Schneegestöber war noch heftiger geworden. Die Flocken tanzten wie wild vor seiner Windschutzscheibe und der Scheibenwischer kam kaum nach, den Schnee von der Scheibe zu wischen. Er wusste, dass er noch eine abfallende Stelle bewältigen musste und er versuchte daher das Tempo so niedrig wie möglich zu halten, aber trotzdem begann der Wagen immer wieder zu schlingern. Als er sich dieser abfallenden Stelle näherte, die unter solchen Gegebenheiten schon oft zu Unfällen geführt hatte, legte er einen kleineren Gang ein und bremste vorsichtig, um die Geschwindigkeit weiter zu verringern, aber das Letzte hätte er nicht tun sollen. Der Wagen reagierte nicht so wie er es erhofft hatte, schleuderte von einer Seite der Straße auf die andere und war jetzt unlenkbar geworden. Ihm stand der Angstschweiß auf der Stirne und er versuchte immer wieder den Wagen wieder in den Griff zu bekommen, aber der rutschte immer schneller, ungelenkt über die schneeglatte Oberfläche und näherte sich gefährlich der rechten Straßenbegrenzung. Noch einmal riss er die Lenkung auf die andere Seite. Jetzt näherte sich der Wagen der anderen Straßenbegrenzung. In dieser Sekunde wurde ihm klar, dass er diesmal nicht würde glimpflich davonkommen und er lenkte den Wagen jetzt wieder nach rechts, konnte es aber nicht mehr verhindern, dass der Wagen über den rechten Straßenrand hinausschoss, die Böschung hinunterschlittere, sich mehrmals überschlug und an einem Baum hängen blieb.
Es war Aschermittwoch, als man ihn in seinem Heimatort zu Grabe trug. Das ganze Dorf war gekommen, denn Herbert war beliebt und war Mitglied in mehreren Vereinen und doch fühlte sich seine Frau, die mit ihren beiden Kindern vor dem offenen Grab stand, sehr einsam. Sie schämte sich, dass sie hinter ihrem dichten Schleier nicht weinen konnte, aber sie hatte keine Tränen mehr, denn sie hatte sie alle schon geweint. In ihre Trauer mischten sich die Sorgen, die nun auf sie zukamen, denn die Wirklichkeit hatte sie längst eingeholt. Das Haus war noch nicht abgezahlt und sie fürchtete, dass sie mit dem kleinen Gehalt, das sie als Halbtagskraft verdiente, ihren Kindern nicht die nötige Ausbildung würde bieten können, auch wenn dazu noch die Witwenrente kam. Die Belastungen, die jetzt auf sie zukamen, bedrückten sie und ließen sich selbst jetzt nicht beiseite schieben. Sie schämte sich, dass ihre Gedanken gerade jetzt abschweiften, da sie vor dem offenen Grab jenes Menschen stand, mit dem sie ihr halbes Leben verbracht hatte und mit dem sie alt hätte werden wollen.
Nachdem der Priester die letzten Worte gesprochen hatte, der Sarg langsam in die Tiefe des Grabes abgesenkt worden war, zog das halbe Dorf an ihr vorbei und kondolierte ihr. Dann war sie allein. Sie hatte nicht die Kraft, am traditionellen Leichenschmaus teilzunehmen und kehrte mit ihren beiden Kindern heim. Die Totenglocke die zur Seelenmesse in der nahen Kirche riefen, begleitete ihren Heimweg. Die Messe hatte ihr keinen Trost schenken können und als sie danach mit ihren Kindern ihr Heim erreichte, war es dort kalt und sie fühlte sich sehr einsam. Sie hatte das Lachen verlernt und der Fasching, die die lustigste Zeit des Jahres sein sollte, hatte für sie seine Heiterkeit verloren, denn er erinnerte sie stets an den Tag, an dem sich ihr Leben so sehr verändert hatte.
Vorheriger TitelNächster TitelDie Informationen zu dieser Geschichte stammen aus dem Büchlein „Le Aqntiche Famiglie Pianesi“ von Domenico Cimiotti, erschienen bei Chiandetti editorePeter Somma, Anmerkung zur Geschichte
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Peter Somma).
Der Beitrag wurde von Peter Somma auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.01.2013.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
gmx.at (Spam-Schutz - Bitte eMail-Adresse per Hand eintippen!)Peter Somma als Lieblingsautor markieren

Du und ich - Gedichte über Freundschaft und Liebe
von Marion Neuhauß
Das Buch ist ein Ehrenplatz für die intensiven Gefühle, die uns durch Freundschaft und Liebe erfüllen. Die Gedichte und Fotos lassen uns die Dankbarkeit darüber bis in die hinterste Ecke spüren. Und machen uns bewusst, welch Geschenk es ist, gute Freunde zu haben oder Familie, die einen liebt!
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: