Neulich saß ich, erschöpft von einem Einkaufsbummel, mit Freundinnen im
Café und trank einen Latte Macciato.
In einer Gesprächspause schweiften
meine Blicke durch das Café und blieben auf einem Pärchen hängen, das wie
aneinander festgeklebt in einer Ecke saß und die Hände nicht voneinander
lassen konnte. Mit drei anderen Single-Frauen eine solche Szene mit ansehen
zu müssen, stürzt im Normalfall alle Beteiligten in tiefe Depressionen.
Um dies zu umgehen, setzten wir unsere Gespräche über die neuesten
Hosenwaschungen und die süssesten Stilettos der Stadt fort. Ich konnte mir
einen letzten Blick zu dem kurios ineinander verschlungenen Pärchen nicht
verkneifen und mit meiner geistigen Anwesenheit an unserem Frauentisch
verschwand auch der kleinste Anflug von Depression in mir.
Die
Turteltauben hatten sich die Rechnung bringen lassen und als geschulte
Beobachterin rechnete man fest damit, der Mann würde seine Geldscheine schon
bereithalten um mit etwa 20% Trinkgeld seinen und den Milchkaffee seiner
Begleiterin zu je 2,30? zu bezahlen. Mir schien auch die Begleitung des
Typen war dieser Auffassung. Mit einem triumphierenden Lächeln lehnte sich
die Blondine zurück und machte sich noch nicht einmal die Mühe den
obligatorisch-weiblichen Griff in die Handtasche, in der Größe eines
mittleren Zwergkanninchens, vorzutäuschen.
Doch weit gefehlt, sogar
ich hätte diesmal zum Publikumsjoker greifen müssen in der Kategorie
Menschenkenntnis. Der Typ an ihrer Seite griff in die Innentasche seines
Armani-Jaketts und brachte ein angesammeltes Chaos aus Visitenkarten,
Bonbonpapierchen, zerknüllten Kassenbons und Kleingeld ans Tageslicht. Aus
dem Kleingeld wurden in mühevoller Kleinstarbeit zwei Euro und dreissig
Cents.
Alles unter den Augen seiner Begleitung, deren divenhaftes
Lächeln in einen eisigen Blick voller Mordgelüsten überging. Erst als der
Mann dem Kellner, ohne mit der Wimper zu zucken, das Sammelsurium aus
Kupfergeld übergab, machte sich die Blondine neben ihm daran einen
Fünf-Euro-Schein aus ihrer Tasche zu fischen, den sie dem Kellner mit der
Bitte um zwei Euro Retour überreichte.
Als sie daraufhin umständlich
versuchte ihren Mantel anzuziehen und kurz vor einer Strangulation durch den
edlen Kaschmirschal stand, hielt der Mann es immer noch nicht für nötig ihr
behilflich zu sein. Er eilte geschäftig zum Ausgang und eine Frau, die das
Café gerade betrat, rettete die Blondine vor einem bösen Nasenbeinbruch,
verursacht durch eine heftig zugeschlagene Holztür eines Kölner Cafés.
Auch meine Freundinnen hatten die Szene mitangesehen und waren
genauso enttäuscht über das jähe Ende der Vorstellung wie ich.
Doch
dieser kulturelle Beitrag, visualisiert durch Amateure, war bestimmt kein
Einzelfall und wir begannen eine Diskussion über die Frage: Kann man
heutzutage noch auf einen Gentleman hoffen oder existiert diese seltene
Spezies doch nur noch auf den Seiten vergilbter Groschenromane?!
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.04.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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Trilettantia
von Dr. Harald Krusekamp
Trilettantia ist der Titel einer Erzählung, deren Handlung Ende des 22. Jahrhunderts spielt. Trilettantia ist keine SF-Erzählung, was sie vielleicht auf den ersten Blick zu sein scheint. Was in Trilettantia in der Zukunft spielt, ist die Gegenwart, die beleuchtet wird aus einer Perspektive, die unsere heutige Wirklichkeit überwunden zu haben scheint – jedenfalls ihrem Anspruch nach. Denn selbstverständlich geht der aufgeklärte Mensch des 22. Jahrhunderts davon aus, dass in 200 Jahren die Welt – bzw. das, was wir dann darunter verstehen werden – vernünftiger geworden ist, die Vernunft wieder ein Stückchen mehr zu sich selbst gekommen ist. Aus dieser Perspektive werden uns Strukturen und Charaktere des begonnenen 21. Jahrhunderts deutlich als Atavismen erscheinen. Nun ja: jedenfalls vielleicht...
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