Christiane Mielck-Retzdorff

Die Freiheit


 
Als Kind wurde sie geliebt, ja beinahe angehimmelt. Sie war ein Symbol der Hoffnung. Als Teenager wurde um sie gekämpft und gerungen. Die Menschen beschäftigten sich mit ihr, wollten sie verstehen und einige waren sogar bereit, ihr Leben für sie zu geben. Doch nun als Erwachsene mit vielen Rechten und Pflichten versehen, nahm in der Masse niemand mehr Notiz von ihr. Ihre Gegenwart hielten die Meisten für selbstverständlich. Die Wenigen, die sie für bedeutend und schutzbefohlen ansahen, wurden belächelt.

Unter dieser Missachtung verkümmerte ihre makellose Schönheit. Trotzdem maßten sich bald Leute an, sie besitzen zu wollen, ohne ihre Bedürfnisse zu achten. Mit Gewalt unterwarfen diese, was sich ihnen nicht freiwillig ergab. Sie wurde geschändet, bis ihr ehrenhaftes Wesen vollkommen entstellt war. Und niemand wollte das Unrecht anklagen, denn sie hatten alle untätig zugeschaut.

Doch sie rappelte sich auf und lernte, sich der neuen Welt anzupassen. Wer sie fortan besitzen wollte, musste in barer Münze löhnen. Sie versprach höchste Wonnen, wenn nur der geforderte Preis bezahlt wurde. Und die Kunden bemerkten nicht, dass sie eine leere Hülle erhielten. Sie verkaufte den Menschen die gewünschte Illusion, ohne auch nur das Geringste von sich preiszugeben. Doch wie Süchtige warfen diese ihr das Geld hinterher, um ihre Gunst zu erlagen und belogen sich selbst in der Vorstellung, sie für sich gewinnen zu können. Leichtfertig trugen selbst Fremde ihren Namen auf den Lippen.

Hin und wieder schwelgte sie in Erinnerungen, betrachtete voller Stolz die Kunstwerke in ihrer europäischen Heimat, die sie als Vorbild hatten. Einst galt sie hier als Ideal und fühlte sich Zuhause. Doch nun hörte sie aus der Ferne immer lautere Stimmen, die nach ihr riefen. Dort sehnten sich die Menschen nach ihr, obwohl sie ihnen unbekannt war und kaum in der Lage sein würde, die hohen Erwartungen zu erfüllen, die mit ihr verbunden wurden. Sie hatte gelernt, wie schnell aus der Angebeteten ein gequältes Opfer werden konnte. Trotzdem fühlte sie sich gedrängt, die in seelischen Trümmern liegende Heimat, in der sie mit Füßen getreten und verschmäht wurde, zu verlassen.

An anderen Orten brauchte das Volk sie, auch wenn die Mächtigen wieder alles daran setzen würden, sie in Ketten zu legen. Letztlich war der Sieg ihr gewiss, auch wenn der Weg dorthin Leid und Schmerzen für viele bedeutete. Kurz würde die Zeit des Triumpfes sein, bis der Glanz des Goldes wieder den Geist vieler umnebelte und die Menschen in düstere Abgründe stürzte. Wann würde die Zeit kommen, in der sie, die Freiheit, endlich als das erkannt wurde, was sie war? Eine weise, alte Dame, die genauso das zu geben bereit war, was sie selbst forderte.

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Buch von Christiane Mielck-Retzdorff:

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Trug und Wahrhaftigkeit: Eine Liebesgeschichte von Christiane Mielck-Retzdorff



Zum wiederholten Mal muss sich die Gymnasiastin Lisa-Marie in einer neuen Schule zurechtfinden. Dabei fällt sie allein durch ihre bescheidene Kleidung und Zurückhaltung auf. Schon bei der ersten Begegnung fühlt sie sich zu ihrem jungen, attraktiven Lehrer, Hendrik von Auental, der einem alten Adelsgeschlecht entstammt, hingezogen. Aber das geht nicht ihr allein so.
Die junge Frau muss gegen Ablehnung und Misstrauen kämpfen. Doch auch der Lehrer sieht sich plötzlich einer bösartigen Anschuldigung ausgesetzt. Trotzdem kommt es zwischen beiden zu einer zarten Annäherung. Dann treibt ein Schicksalsschlag den Mann zurück auf das elterliche Gut, wo ihn nicht nur neue Aufgaben erwarten sondern auch Familientraditionen, die ihn in Ketten legen.

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