Nelly Braunstein

Molly und der Mann auf der Mauer 3

 


 

Molly musste schon den ganzen Tag an Ben denken. Was war nur mit ihm los? Warum erzählte er ihr nichts von seiner unglücklichen Liebe? Früher hatten sie keine Geheimnisse voreinander gehabt, dachte sie traurig. Vielleicht sollte sie Anna fragen, aber wenn die Zwillinge etwas vor ihr geheim halten wollten, dann taten sie es einfach. Sie brauchten nicht darüber zu reden, denn wie es bei Zwillingen so war, verstanden sie sich auch ohne Worte.

Sie versuchte Raphael anzurufen, doch sie erreichte nur die Mailbox. Enttäuscht sah sie auf ihr Telefon, als könnte es etwas dafür, dass er nicht da war und legte auf. Vielleicht sollte sie ihm eine Nachricht hinterlassen, wie er es so freundlich vorschlug. Sie wählte seine Nummer und hörte es wieder tuten. Als er seinen Text zu ende gesprochen hatte sagte sie: „ Hallo Raphael! Mein Raphael! Ich vermisse dich. Wann kommst du wieder? Anna und Ben kommen heute Abend noch einmal vorbei, es wäre schön wenn du auch da wärst. Ruf mich doch an.“

Sie mochte Anrufbeantworter nicht.

Anna und Ben kamen zu Abendessen wieder zu ihr. Sie hatten ihre Eltern besucht und sich den vielen Fragen ihrer Mutter gestellt, wie es denn mit dem Studium aussah und was die Zukunft bringen würde. „Zum Glück hast du uns eingeladen, bei dir sagt Mama nie etwas. Sie hat sich fast gewundert, warum du nicht mitgekommen bist. Ich glaube wirklich, sie hat dich irgendwann zwischen der dritten Klasse und dem Abitur adoptiert und wir wissen es nicht!“, sagte Anna, als sie wieder bei Molly in der Wohnung waren.

hMolly saß auf einem Stuhl in ihrer Küche und schnitt Pilze für das Abendessen. „Was haltet ihr davon, wenn wir noch einmal spazieren gehen, bevor wir essen? Ich schneide das noch kurz fertig und dann können wir los!“ Ihre Freunde wussten, wenn es darum ging hinaus zu gehen, fragte Molly nicht, sie forderte nur auf.

Ben wollte nicht. „Geht ihr mal alleine. Ich kann mich ja hier ein bisschen nützlich machen!“ Die beiden Frauen sahen ihn erstaunt an: „Gut, wenn du meinst! Bis später!“

Anna hakte sich bei Molly ein, als sie draußen waren: „Er fängt sich schon wieder. Ich glaube Mama hat ihn, mit all ihren Fragen nach seiner Zukunft, ganz schön fertig gemacht.“ Molly nickte und sah geradeaus. Ben kam ihr sehr verändert vor. „Anna was ist mit Ben? Er benimmt sich wirklich merkwürdig! Ich glaube nicht, dass er nur verliebt ist, da muss doch mehr sein. Er sieht so furchtbar traurig aus!“ Anna seufzte: „Ich kann es dir nicht erzählen. Aber du hast recht. Gib ihm einfach etwas Zeit, vielleicht erzählt er es ja irgendwann...“ Sie schwiegen und liefen die in der Dämmerung liegenden Straßen entlang.

Es nagte an Molly, dass sie ihrem Freund nicht helfen konnte, normalerweise brauchte sie ihn nur anzulächeln und wie von selbst begann er auch zu lächeln, ob er wollte oder nicht. Molly' s Lachen war anstecken und das wusste sie.

„Wie geht es dir mit Raphael?“ fragte Anna. Molly lächelte: „Ich liebe ihn.“ Anna schüttelte den Kopf. „Nein, das meine ich nicht. Wie geht es dir mit ihm? Bist du glücklich? Fühlst du dich wohl?“ Molly sah ihre Freundin verwirrt an. Worauf wollte sie hinaus? „Was meinst du? Ich liebe ihn, natürlich bin ich glücklich. Ich brauche ab und zu meine Auszeit, aber das ist doch normal!?“ Anna sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an: „Findest du? Meinst du nicht, dass man jemanden, den man von Herzen liebt, immer um sich haben möchte? Das man ihn auch dann bei sich haben möchte, wenn man sich total verrückt fühlt. Das er es nicht nur akzeptiert, dass du Macken hast, sondern sie liebt und ohne sie nicht mehr leben möchte?“ Molly war stehen geblieben und sah Anna mit großen Augen an: „Anna was willst du? Raphael und ich, dass passt doch. Er lässt mir meinen Freiraum, den ich haben will. Er ist immer da, wenn ich ihn brauche und ich liebe ihn. Er ist der liebste Mensch den ich kenne!“ Sie wurde fast ein bisschen wütend auf ihre Freundin. Anna entschuldigte sich schnell, als sie ihre zusammengezogenen Augenbrauen sah. „Es tut mir leid! Das war nicht so gemeint, es ist nur.... Ach, ich habe mir einfach nur Sorgen um dich gemacht, weil ich dich so selten mit Raphael sehe. Es wirkt fast so, als würdet ihr nur in Gedanken beieinander sein.“ Molly sah wieder freundlich aus und lächelte. „Ein bisschen hast du ja recht! Ja irgendwie ist es anders als sonst, aber es tut mir gut! Er ist genau das, was ich momentan brauche! Vielleicht ändert sich das irgendwann mal, aber dann habe ich ja euch. Und euch habe ich immer!“ Die beiden Freundinnen sahen sich an, lächelten gerührt und nahmen sich in den Arm.

Sie konnten einfach nicht lange böse aufeinander sein. Besonders bei Molly fiel einem das schwer. Irgendwie schaffte sie es immer, dass man sie mochte.

Zurück in Molly' s Wohnung strömte ihnen schon der Duft nach gebratenen Pilzen und Kartoffeln in die Nase. „Chefkoch, wo bist du?“ rief Anna, als sie ihren Bruder nicht in der Küche sah. Der Angesprochene kam, mit einer Schürze um die Hüften, aus dem Wohnzimmer. „Kommt rein, ich habe gerade den Tisch gedeckt!“

Es war eine heitere Stimmung beim Abendessen und die drei besprachen, was Molly singen sollte, wenn sie bei dem Talentwettbewerb auftreten würde. „Du solltest eines deiner wunderbar traurigen Lieder singen, bei denen man immer anfängt zu weinen.“ schlug Anna vor. „Aber dann weine ich gleich mit und kann den ganzen Auftritt vergessen. Außerdem will ich doch nicht alle zum weinen bringen. Die sollen sich doch über meinen Auftritt freuen!“ Anna und Ben lachten. „Sing am besten etwas spontanes! Das was dir einfällt, wenn du auf der Bühne stehst.“ Die beiden Frauen sahen erstaunt zu Ben, der sich sonst eher zurückhielt, wenn es um musikalische Dinge ging. „Das ist eine gute Idee, aber ich glaube, die möchten vorher wissen was ich singe!“ seufzte Molly. „Es sollte jemand entscheiden der mich nicht kennt. Der nur hört und dann sagt was ihm am besten gefallen hat!“ die beiden anderen nickten. „Molly, dass ist super! Aber woher sollen wir denn so schnell jemanden bekommen, der dir einen Song aussucht?“

Die drei stützen ihre Köpfe auf die Hände und lachten als sie sich ansahen. „Ich bin so glücklich, das ihr da seid!“ sagte Molly und strahlte übers ganze Gesicht ihre Freunde an, so dass diese unwillkürlich zurück lächeln mussten.

 

Der Mann auf der Mauer tauchte nun jeden Tag auf. Immer um die Mittagszeit kam er, setzte sich auf die Mauer und wartete bis Molly das Fenster öffnete und zu singen begann. Sie winkten sich zu. Manchmal sah er traurig aus, dann sang Molly etwas fröhliches und freute sich, wenn sie ihm ein Lächeln auf das Gesicht zaubern konnte. Er kam sogar wenn es regnete. Als Molly das sah, musste sie lachen und rief ihm zu „Aber es ist doch viel zu Nass und kalt dort unten.“ Der Mann winkte und rief zurück: „Sie haben gesagt sie singen nur bei Gewitter nicht, aber heute Regnet es ja nur!“, also sang Molly.

Der Wettbewerb war verschoben worden, aufgrund von großer Nachfrage und des daraus resultierend Platzmangels, also hatte Molly Zeit gewonnen, sich das perfekte Lied auszusuchen. Ben und Anna verbrachte viel Zeit bei ihr und Ben begann sich wieder etwas normaler zu verhalten, fast war es wie früher, nur wenn Raphael da war, verließ er die Wohnung. Molly fiel das zuerst nicht auf, denn er hatte immer etwas zu erledigen, doch Raphael wies sie darauf hin.

„Kann es sein, dass er mich nicht mag?“ Molly zuckte mit den Schulten, als Raphael sie das fragte. Sie hatte sich darüber keine Gedanken gemacht, denn wer sie mochte, der musste doch auch ihre Freunde mögen. „Nein, dass glaube ich nicht. Warum sollte er dich denn nicht mögen?“

 

Eines Nachmittages dann, es waren noch drei Tage bis zu dem Wettbewerb, beschloss Molly, den Mann von der Mauer um Hilfe zu bitten. Ihre Freunde hatte alle eine andere Vorstellung davon, was sich gut auf der Bühne machen würde, also beschloss sie, sich eine unabhängige Meinung einzuholen. Als sie am kommenden Tag mittags aus dem Fester sah, sah sie ihn schon auf der Mauer sitzen und auf sie warten. Sie öffnete das Fenster und rief „Kommen sie hoch, sie müssen mir helfen!“ Der Man sah sie erstaunt an.

Als er aufstand , dann aber unentschlossen stehen blieb rief sie. „Kommen sie, ich werde ihnen aufmachen! Der Eingang ist um die Ecke.“

Ohne abzuwarten, ob er weiter lief, schloss sie das Fenster und ging zu ihrer Wohnungstür, um den Drücker zu betätigen. Eine Minute später, stand sie dem Mann von der Mauer, mit den wasser- blauen Augen gegenüber und lächelte ihn an. „Ich brauche ihren Rat. Sie kennen alle meine Lieder und müssen mir sagen welches ich singen soll!“

Der Mann sah sie überrascht an. Molly zählte ihn schon zu ihren Freunden und hatte vollkommen vergessen, dass er ja nichts von dem Wettbewerb und alledem wusste. „Oh entschuldigen sie. Kommen sie doch erst einmal herein.“ Sagte sie deshalb als sie sein überraschtes Gesicht sah.

Sie bot ihm etwas zu Trinken an und ging, von ihm gefolgt in das Wohnzimmer, wo sie sich direkt an ihr Klavier setzte.

Der Mann, der bis dahin geschwiegen hatte, setzte sich in ihren Sessel, was Molly irritierte und daran erinnerte, das sie einen völlig Fremden in ihre Wohnung geholt hatte. „Wie kann ich ihnen denn nun helfen?“, fragte er freundlich und Molly fiel auf, dass er eine angenehme tiefe Stimme hatte. Ohne auf seine Frage zu achten, sagte sie, einem plötzlichen Gedanken folgend. „Können sie singen?“ Wieder sah er sie überrascht an. „Ja.“, antwortete er kurz und Molly strahlte. „Fein! Ich werde ihnen ihre Stimme vorsingen und sie singen sie nach. Meinen sie, dass sie das hinbekommen?“ Er musste lächeln und stand auf. „Rutschen sie ein Stück.“ Er war zu ihr getreten und nahm nun neben ihr auf dem Klavierhocker Platz. „Welches ihrer Lieder wollen wir denn singen?“ Molly war so erstaunt über seine Reaktion, dass sie ihn für einen Moment nur ansah. Noch nie hatte sie jemand so schnell verstanden, wenn sie wieder einmal eine ihrer Ideen hatte und einfach drauf los plapperte, ohne daran zu denken, wen oder was sie gerade vor sich hatte.

Als er ihr immer noch in die Augen sah und sie sich dessen bewusst wurde und wie nah er ihr war, wurde sie rot und wandte sich dem Klavier zu. Sie schlug einige Tasten an bevor sie sagte. „Ähm, es hat keinen Titel, ich sing es am besten einfach.“

Sie begann nun zu spielen und zu singen und war angenehm überrascht, als er mit seinem weichen Tenor einsetze. Er begann auch mit ihr auf dem Klavier zu spielen und wenn es jemand gehört hätte, wie die beiden sangen, man hätte meinen können, sie hätten nie etwas anderes getan.

In der Wohnung über den Beiden hatte das alte Ehepaar seine Hörgeräte eingeschaltet und als sie die Musik aus der Wohnung unter sich hörten, lächelte die Frau ihrem Mann zu. Stumm nahm er ihre Hand und half seiner Frau aus dem Sessel auf. Aus dem innersten lächelnd, begannen sich die beiden im Takt der Musik zu drehen und dieses Lächeln verging den Rest des Tages nicht mehr.

 

Molly strahlte als sie geendet hatten. Ihre Wangen waren gerötet und ihre Augen glänzten und sie wandte sich dem Mann neben ihr zu. „Oh wie wunderbar!“ Ohne darüber nachzudenken, küsste und umarmte sie ihn. Etwas erstaunt, aber sichtbar angetan von ihrer spontanen Zuneigung, wehrte er sich nicht dagegen, stand aber auf, als sie ihn wieder losließ. „Ich sollte jetzt gehen.“, sagte er, immer noch lächelnd. Ohne das Molly etwas hätte sagen können oder wollen, nahm er seinen Mantel und verschwand.

War das nur ein Traum gewesen? Molly saß wie benebelt auf ihrem Klavierhocker und sah immer noch an die Stelle an der er gerade noch gesessen hatte. Sie konnte nicht glauben was sie da gerade erlebt hatte. Wie wunderbar es sich angefühlt hatte mit ihm zu singen und auf dem Klavier zu spielen, als wäre es schon immer so gewesen. Sie war einem Impuls gefolgt, als sie ihn küsste, doch jetzt fragte sie sich warum? Sie kannte ihn doch gar nicht, sie wusste ja nicht einmal seinen Namen! Jetzt würde er vielleicht nicht mehr auf der Mauer sitzen, wenn sie in der Küche stand. Erst jetzt merkte sie, wie sehr sie sich daran gewöhnt hatte.

Schnell stand sie auf und eilte in die Küche, hoffend ihn dort auf der Mauer sitzen zu sehen. „Wie dumm von mir!“ dachte sie enttäuscht. Natürlich war er gegangen.

 

Lange saß sie so am Fenster und grübelte über das Geschehene nach. Als Raphael kam, stand sie nur auf, um ihm die Tür zu öffnen und setzte sich sogleich wieder auf ihren Platz am Fenster.

Besorgt sah er sie an und wollte sie küssen, doch sie drehte sich weg. „Molly was ist los? Ist was passiert?“ Sie sah ihn mit ihren blauen Augen groß an und zuckte mit den Schultern: „Ich bin mir nicht sicher! Ich bin so traurig und ich weiß gar nicht warum.“ Sie wusste es wirklich nicht, denn es kam ihr alles wie ein Traum vor. Sie hatte ja nie jemandem von dem Mann auf der Mauer erzählt und nun kam er vielleicht nicht mehr wieder.

Raphael bemühte sich wirklich, sie wieder aufzumuntern, doch wenn ein fröhlicher Mensch traurig ist, dann ist er es genau so tief und ernsthaft, wie er glücklich ist. Molly weinte nicht, nein, aber sie trennte sich von Raphael. Warum, konnte sie weder ihm, noch sich selbst erklären, doch sie war sich auf einmal sicher, dass es das richtige war.

 

Ben kam sie am Abend besuchen, da er sie nicht auf dem Telefon erreicht hatte, stand er plötzlich vor ihrer Tür. Als er ihr in die Augen sah, wusste er sofort, dass etwas Großes geschehen sein musste. Besorgt setzte er sich zu ihr in die Küche und sah mit ihr aus dem Fenster. Sie schwiegen und doch spürte Molly, dass Ben eine menge Fragen hatte. „Frag ruhig!“, sagte sie schließlich.

Ben blickte nun zu ihr: „Wer hat dich so unglücklich gemacht?“ Molly lächelte traurig und wandte ihren Blick nun auch von Fenster ab. „Ich habe mich von Raphael getrennt!“ Er sah sie erstaunt an und sie bemerkte ein aufleuchten in seinen Augen. „Ich weiß, dass du ihn nicht magst, aber er ist immer noch einer meiner liebsten Menschen die ich um mich habe.“ Jetzt sah Ben sie noch verwirrter an: „Aber was ist denn geschehen?“

Molly seufzte: „Ach, dass weiß ich eben nicht!. Kannst du einfach hier bleiben? Vielleicht kann ich es dir Morgen erklären.“

Ben blieb. Er saß neben ihr aus dem Sofa und genoss es in ihrer Nähe zu sein.

Als sie in seinem Arm dann irgendwann einschlief, trug er sie vorsichtig in ihr Schlafzimmer und deckte sie zu. Sehnsüchtig lächelnd, sah er sie an und streichelte ihr über das Haar. „Ach Molly“, seufzte er und verließ das Zimmer leise.

In der Nacht erwachte Molly. Sie hatte geträumt und war mit einem Lächeln aufgewacht, ohne recht zu wissen warum. Sie stand auf, schlich sich leise in das Wohnzimmer und sah Ben schlafend auf dem Sofa. „Mein treuer Freund!“ kam es ihr unwillkürlich in den Sinn.

Sie schlich zu ihrem Schreibtisch, kramte etwas Papier und einen Stift heraus und verschwand dann wieder in ihrem Schlafzimmer. Sie hatte einer Idee folgend, schnell ein paar Zeilen auf das Papier gekritzelt und starrte es jetzt unzufrieden an. Was wollte sie nur sagen? Sie wollte ein Lied, dass klang wie der Wind in den Blättern eines Baumes, die er liebevoll umstreicht, wie das Lachen eines Kindes, wie die ersten warmen Strahlen der Sonne im Frühling.

Sie saß, bis es dämmerte, über dem Papier und probierte aus. Als die Sonne ihre ersten Strahlen in ihr Zimmer schickte, lächelte sie zufrieden.

Schnell stand sie auf und zog sich um.

Ben war schon aufgestanden und war in der Küche dabei Frühstück zu machen. „Guten Morgen!“, sagte er und lächelte ihr lieb entgegen. Molly strahlte wieder, was sein Herz höher schlagen ließ. „Komm mit, ich muss dir etwas vorspielen.“, sagte sie und zog ihn aus der Küche zum Klavier. „Sei ganz ehrlich und sag mir, wenn es dir nicht gefällt!“

Sie stellte die Blätter auf den Notenständer und sah noch einmal zu Ben, der das funkeln in ihren Augen bemerkte. Das hatte sie nur, wenn ihr etwas sehr wichtig war.

Sie begann leise zu spielen. Es waren sanfte Töne, die sie anschlug und als sie zu singen begann, war es für Ben, als würde die Sonne aufgehen. Ihre Stimme umschmeichelte die Töne, liebkoste sie, spielte mit ihnen und ihre Augen verrieten, dass sie glücklich war mit diesem Lied.

Ben saß stumm da, als sie endete. Er konnte nichts sagen, er war einfach überwältigt. Er fing

Molly' s fragenden Blick auf und räusperte sich. „Ich......das war....., Molly, dass war so wunderschön! Das solltest du singen!“ Zufrieden strahlte Molly ihn an. „Ich hoffe, es ist das Richtige!“

Da war sie wieder, die Molly die immer strahlte und man hätte nicht vermutet, dass sie am Abend zuvor die Traurigkeit in Person war.

Noch zwei Tage bis zum Wettbewerb, dann würde sich zeigen ob ihre Freunde recht behielten. Ben war mit ihr spazieren gegangen und sie hatten sich lange unterhalten. Sie hatten darüber gesprochen, was passieren würde wenn sie tatsächlich Erfolg haben würde. Ben war sich sicher, dass man Molly nun endlich entdecken würde. Wenn er schon nicht glücklich werden sollte, dann wenigstens die Frau die er liebte.

Molly ahnte nichts von seinen Gefühlen für sie. Es hätte sie zerrissen, hätte sie davon auch nur die leiseste Ahnung gehabt. Ihre Gedanken drehten sich nur noch um den Wettbewerb und dass sie mit dem Mann von der Mauer singen wollte. Alleine der Gedanke an ihn ließ ihr Herz schneller schlagen und das er heute vielleicht nicht da sein würde, machte sie unruhig. Ben davon zu erzählen getraute sie sich nicht, da sie spürte, dass ihn sein Liebeskummer noch immer belastete. Oh hätte sie doch genauer hingesehen!

Anna kam am Mittag und wechselte den Platz mit Ben, der sie Angerufen hatte und ihr erzählte wie schlecht es Molly am Abend vorher noch gegangen war. „Sie sieht aber gar nicht mehr unglücklich aus! Habt ihr miteinander gesprochen?“, fragte sie ihren Bruder als sie eintraf. Ben schüttelte den Kopf: „Nein. Ich habe es nicht über mich gebracht. Sie war heute Morgen auf einmal so fröhlich, als wenn ihr im Traum alle Last von der Seele gefallen wäre! Ich möchte nicht, dass sich zwischen uns etwas ändert. Lieber leide ich, als dass ich sie noch einmal so unglücklich sehe! Wenn es eine Chance für mich gibt, dann wird sie noch kommen!“ Anna sah ihm prüfend in die Augen. Es tat ihr weh ihn so zu sehen, aber sie wusste was er meinte. Er hatte, genau wie sie, angst das sich etwas zwischen sie stellen konnte.

Molly war in der Küche und stand am Fenster als Anna zu ihr kam. Sie hatte nichts von dem Gespräch der Geschwister mitbekommen und lächelte Anna jetzt entgegen. „Hallo! Ich finde es schön das ihr euch so um mich kümmert, aber es geht mir gut. Ich freue mich auf übermorgen!“ Anna küsste sie auf die Wange und sah mit ihr aus dem Fenster. „Wonach schaust du?“, fragte sie nach einer weile. Molly lächelte: „Nach meinem Glück, hoffe ich!“ Anna war es gewohnt, nicht alles von dem was Molly von sich gab zu verstehen und fragte deshalb nicht nach, sondern ließ es im Raum stehen. Sie sahen auf die Straße und auf die Mauer gegenüber. Dort lag ein weißer Umschlag, den irgendjemand dort hingelegt oder vergessen hatte. „Ich mach mir einen Kaffee, willst du auch was?“, wandte sich Anna irgendwann wieder an Molly, doch die schüttelte nur den Kopf. Anna sah nicht wie sich ihr Blick auf einmal erhellte, sie grüßend die Hand hob und mit Freude sah, wie der Mann, der auf der Straße aufgetaucht war, den Brief nahm und öffnete. Er zog die Beschriebenen Blätter die sich darin befanden heraus und las. Molly sah zufrieden, wie seine Miene sich erhellte und er zu ihr nach oben blickte. Er lächelte sie an und nickte, dann verschwand er wieder, genauso still und unauffällig wie er auch gekommen war.

Jetzt wandte sich Molly wieder ihrer Freundin zu. „Was machen wir heute?“

Die beiden nahmen sich vor, das perfekte Outfit für Molly zusammen zu stellen. Anna war die beste Beraterin die sich Molly vorstellen konnte. „Wir sollten in die Stadt gehen. Du wirst staunen, wir machen dich richtig schick!“

So viel Spaß hatte die beiden lange nicht mehr zusammen gehabt. Sie hatten beide viel zu viel mit der Uni und mit ihrem Leben zu tun gehabt, dass sie es jetzt voll auskosteten etwas zusammen zu unternehmen.

„Und was wirst du nun singen? Ben hat gesagt es ist wunderschön. Darf ich es auch hören?“, fragte Anna, als sie wieder zuhause waren. Molly nickte und setzte sich an das Klavier: „Es ist aber nur die eine Hälfte.“ Wie ihr Bruder, saß Anna staunend auf dem Sofa und konnte zuerst gar nichts sagen. „Und das hast du heute Nacht geschrieben?“, brachte sie endlich hervor? Molly nickte. „Es war auf einmal da. Ich bin aufgewacht und musste es aufschreiben.“ Anna setzte sich etwas aufrechte hin: „Dann steht dem Wettbewerb ja nichts mehr im Wege!“

Der Tag des Wettbewerbes brach an und die Aufregung bei Molly stieg in das Unermessliche. Was wenn er nicht kommen würde? wenn ihm das Lied nicht gefiel, oder er nichts von solchen Veranstaltungen hielt? Wenn er sie nicht mochte? Aber daran mochte sie gar nicht denken!

Ben und Anna waren bei ihr während sie den anderen Beiträgen lauschten und versuchten sie zu beruhigen. Sie stand schon hinter der Bühne und wartete auf ihren Auftritt, aber er war immer noch nicht da. Sicher würde er nicht kommen. Sie hatte ihm doch geschrieben wann alles begann und wo er sie finden konnte. Was sollte sie nur machen, das Lied war ohne ihn nicht fertig, sie konnte es nicht singen.

Man rief ihren Namen auf und Molly sah sich verzweifelt um. Sie wollte wieder weg von hier, doch jemand kam von hinten und schob sie auf die Bühne. Überrascht sah sie in das Publikum, das ihr aufmunternd zulächelte und Klatschte bevor sie sich dem Flügel zu wandte, welchen man für sie auf die Bühne geschoben hatte. Man konnte förmlich sehen, wie ihr Herz schneller schlug und das Blut in ihren Kopf schoss, als sie neben dem Flügel den Mann von der Mauer sah.

Er lächelte ihr zu und stellte die Noten auf den Notenständer. Man hatte zwei Klavierhocker davor gestellt, auf welchen sie jetzt platz nahmen.

Es war still im Publikum, als sie zu singen begann und er sie begleitete, nach einer Weile wechselten sie und er sang, wären sie ihn begleitete, doch der Höhepunkt des Ganzen, war der gemeinsam gesungene Teil. Das Publikum tobte, als sie geendet hatten.

Freudig strahlend gingen sie zusammen von der Bühne und Molly drückte ihm, mehr als dankbar seine Hand. Hinte der Bühne zog er sie plötzlich zu sich und küsste sie. So überrascht Molly davon war, so sehr spürte sie, wie das Glück sie durchströmte. Als er sie wieder ansah, lächelten sie sich glücklich an und er sagte, mit seiner wunderbaren, die Ohren umschmeichelnde Stimme: „Ich heiße Adam!“ Molly küsste ihn wieder. „Molly!“

Und was war mit Ben und Anna?

Die kamen hinter die Bühne, um Molly zu gratulieren und zu fragen, wer ihr unbekannter Begleiter war. Sie staunten nicht schlecht, als sie Molly in seinen Armen fanden. Ben sah es mit einem Stich im Herzen, doch das Glück in Molly' s Augen entschädigte ihn. Wie hätte er unglücklich sein können, wenn der Mensch, den er liebte glücklich war?

Bitte Kommentieren :-)Kritik erwünscht (auch bezüglich der Rechtschreibung!)
Nelly
Nelly Braunstein, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.03.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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