Sigrid Penz

Dem Tod...

Dem Tod...

Im Mittelalter wäre ich gestorben, wahrscheinlich unter Höllenqualen. Vielleicht hätten sie an mir einen Aderlass probiert. Letztendlich wäre ich geplatzt, wie eine überreife Wassermelone nach dem Aufprall.

Ich versuchte ein wenig Zeit zu gewinnen, wissend, daß dies nur ein Trugschluß ist. So unabänderlich diese Tatsache auch sein mochte, der ich mich früher oder später stellen mußte. Hoffte, die Zeit zu dehnen, wie ein Gummiband und trug doch schwer an der Tatsache, daß sie mich schneller einholen würde, als mir lieb war.
Der Akt der Gewalt schreckte mich nicht - nein. Was mich schreckte, war der Gedanke des Ausgeliefertseins, der Unabänderlichkeit, dem ich mich nicht erwehren konnte, selbst wenn ich es krampfhaft versucht hätte.

Ich hasste den Gedanken, einem Schwebezustand anheim zu fallen, der mich bedeckte, wie ein Nebel, in dem ich ungewollt versinken konnte, ungehört und inaktiv, angeschlossen an tickende, vor sich hin atmende Apparate, die Luft in mich bliesen, nur um meinen Brustkorb zu heben. Schläuche, die aus mir herausführten, in Beutel, um meine Flüssigkeiten zu sammeln.

Instinktiv hatte ich mich in mich selbst zurückgezogen. hatte der dumpfen Ahnung, welche zunehmend mein Sein erfüllte, einen kleinen Platz eingeräumt, in der hintersten Ecke- ganz am Anfang.
Ich verschloss meinen Mund, verriegelt und gesichert, nur um kein unbedachtes Wort hervorsprudeln zu lassen. Meine Umgebung nicht zu erschrecken mit diesem Gefühl, daß ich heimlich, nur für mich, ANGST nannte.

Angst davor, nicht mehr aufzuwachen. Nicht mehr zu sein, wer ich bin, nicht mehr zu wissen, zu fühlen und zu schmecken, zu lachen und zu lieben...
Ich entwickelte eine eigene Zeit in der Zeit. ich genoss Momente, die vorher sinnlos vorüber eilten, ganz genußvoll und bis zur letzten Sekunde und doch rückte unaufhörlich die Zeit näher und näher...

Unausweichlich fand ich mich letztendlich im desinfektionsvernebelten Weiß, mit einem Becherchen auf dem Nachttisch, in dem eine kleine Tablette lag. Der Vorbote, der mich ins Reich der Träume schickte, ohne Wiederkehr? Kurz entschlossen, resigniert, schluckte ich sie.

Einige Stunden später wachte ich auf. Ich hatte nichts geträumt, hatte tief und fest geschlafen und fragte mich, ob nun alles vorbei wäre. Ich hatte völlig umsonst Ängste ausgestanden. Ich hatte keine Schmerzen, mir ging es gut, mir fehlte nichts. Keine Beutel verunzierten meinen Leib. Die Sonnes strahlte mit mir, bis, ja bis ich feststellte, daß sich mein  Bett mit mir nicht bewegt hatte. Ich war nicht durch lange Flure, in Fahrstühle, unzählige Neonröhren später, an vorbeieilenden Gestalten, mit meinem dünnen Hemd, in einem grünen Saal mit überdimensionalen Lichtapparaten gebracht worden- nein- ich war noch dort im Weiß des ersten Nachmittags.
Ich hatte den Vormittag dank der kleinen weißen Tablette verschlafen. Widerstreitende Gefühle bewegten mich und mein Bett. Mein neues Reich wackelte bei jeder Drehung. Die Uhr rückte stündlich vor und ich harrte aus, putzmunter.

Endlich wurde die weiße Tür schwungvoll zur Seite gestoßen, herein kamen zwei weißgekleidete eilfertige Engel, die mich aufmunternd anlächelten und mit einem freundlichen: "Es geht los!", mein Bett mit mir darin packten, schoben und zerrten.

In der Werkstatt angekommen, beobachtete ich den Monitor, auf dem mein Blutdruck ersichtlich war. Gut. Er war in Ordnung. Es konnte losgehen, halb zwei Uhr nachmittags.


Mein Arm hing in der Luft, gehalten von einer Schwester. Mein kurzer Blick erhaschte den Vollmond hinter ihr, der groß am Himmel stand. Es war Nacht und ich driftete ab, zurück in meine Abgeschiedenheit, und schwebte noch zwischen den Welten.

Eine ganze Anzahl von weißen Gestalten umringte morgens mein Bett und blickte auf mich herab. Ich erwachte nur langsam. Ich versuchte meine Stimme zu finden, meine Ohren standen auf Halbmast. Ich war träge, ahnungslos, schmerzlos...
Ich bin endlich wach! Achzehn Stunden später.
Achzehn Stunden, die mein Bewußtsein nicht gespeichert hatte. Weg.

Ich erholte mich nur langsam, brauchte Monate, um wieder zu sein, wer ich vorher war und war doch anders.
Ich genoß jeden Augenblick und machte eine Liste.

Ein Verzeichnis von Dingen, die ich tun wollte, in meiner Lebenszeit, die so schnell endlich sein konnte. Ich hatte einen anderen Blick auf die Dinge entwickelt, auf das Wesentliche, auf das, was für mich in diesem Moment wichtig war.

Ich grübelte nicht mehr über sinnlose, verletzende Worte, die irgendwer irgendwann zu mir gesagt hatte. Ich trennte mich von alten Sachen, die ich ewig nicht angesehen hatte. Ich entrümpelte mich selbst und erschuf mich neu. Ich warf Ballast ab, den ich jahrelang mit mir herumgeschleppt hatte.

Ich brauchte Platz für neuen Raum.




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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.03.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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