Manfred Bieschke-Behm

Die Staubwolke



Immer wenn ich das Reiterbild, das bei mir im Wohnzimmer hängt, betrachte, denke ich an ein Ereignis im Herbst 1995. Es war ein schöner, sonniger Herbsttag in der Lüneburger Heide. Ich nutzte diesen Tag, um allein im würzig duftenden Herbstwald spazieren zu gehen. Ich wollte den Herbst dort mit all seinen schönen Farben, seinen speziellen Lichtspiegelungen und der wohltuenden Ruhe erleben. Dadurch, dass die Jagdsaison bereits begonnen hatte, war es ganz natürlich, dass mir hin und wieder Roß und Reiter begegneten. Edle Pferde und stolze Reiter traben an mir vorbei. Ich dachte darüber nach, ob die von mir gespürte Erhabenheit nur eine falsche Wahrnehmung war oder ob Reiter Personen sind, die es für ihr Ego nötig haben Überlegenheit zu demonstrieren.
Wieder kommt mir ein Pferd mit Reiter entgegen. Ich beobachte wie das Pferd seinen Kopf hin und her bewegt. Es scheint, als wäre er mit seiner Situation nicht zufrieden. Oder bedeutete die Kopfbewegung genau das Gegenteil? Ich habe keine Ahnung. In der Physionomie der Pferde kenne ich mich nicht aus. Der Kopf des Pferdes erscheint mir unwahrscheinlich groß aber nicht bedrohlich. Dafür sorgen die sanften weichen mit langen Wimpern versehenden dunkelbrauen Augen in die ich mit einiger Mühe hineinsehen kann. Einen Moment lang hatte ich den Glauben in die Seele der Pferdes schauen zu können. Allzu gerne hätte ich gewusst, was dieses Pferd gerade denkt. Denkt es überhaupt oder kann es nur fühlen? Auch das weiß ich nicht.
Plötzlich kam mir der Gedanke wie Pferde es schaffen ihre vier Füße so zu koordinieren, dass sie sich nicht gegenseitig im Wege stehen. Wir Menschen – wir Zweibeiner – haben häufig Schwierigkeiten zwei Beine aufeinander abzustimmen. Wie schwer muss da erst für einen Vierbeiner sein? Weil aber auch Pferde stürzen, sind vier Beine offensichtlich kein Garant nicht zu stürzen, denke ich. Bei diesem Gedanken muss ich schmunzeln und laufe weiter meinen Weg, meine Spur. Noch immer beschäftigt mich der Gedanke mit den zwei und den vier Beinen. Jedes Lebewesen, das Beine hat, muss lernen die Beine richtig einzusetzen. Und wenn es sein soll, wird es auch mal fallen. Das dann hoffentlich kein Problem ist. Wichtig ist, nicht liegen zu bleiben, sondern wieder aufzustehen. „Hinfallen ist keine Schande aber liegen bleiben“ habe mal irgendwo gehört und gelesen.
Es heißt, „das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“. Stimmt das so? überlege ich. Mir kommen Zweifel. Wenn dem so wäre, würde das ja heißen, dass nirgend anderswo das Glück zu spürbar ist. Das kann ja nicht sein und das ist auch nicht so. Das wäre mir zu eingeschränkt. Glück kann immer und überall passieren. Man muss Glück haben und das Glück spüren und vielleicht auch zugreifen. Was nicht geht, ist, Glück festhalten. Nein, das geht nicht. Glück ist nicht dafür da auf ewig zur Verfügung zu stehen. Glück ist ein Moment, ein Schmetterling der sich niederlässt, das Herz erfreut und weiterfliegt. Glück ist… Ach Glück ist so vieles. Meine Wanderung war auch Glück für mich. War!
Eine größere Gruppe Reiter und Pferde traben von hinten an mir vorbei. Noch in Sichtweite nahm der Reitertross an Geschwindigkeit zu. Zulässt ließ sich nur noch eine Staubwolke wahrnehmen. Schon wieder fiel mir dazu ein Sprichwort ein: „Die Ruhe kommt vor dem Sturm“.
Nunmehr auf meinen Spaziergang konzentriert lief ich im Tempo reduziert weiter. Ich wollte auf keinen Fall in die Ausläufe der Staubwolke geraten die die Reiterschar verursacht hatte. Ich hielt meine Vorgehensweise für klug, denn ich wolle auf alle Fälle vermeiden eingestaubt weiter zu wandern. Mein Plan gelang mir nur bedingt. Denn genau an der Stelle, an der sich die Staubwolke versucht hatte aufzulösen, entstand eine neue. Grund hierfür war eine neue mir entgegenkommende Reiterschaar die ohne erkennbare Rücksicht auf mich durch ihren Galopp erneut den sandigen Boden aufwühlte und dadurch eine neue gewaltige Staubwolke produzierte. Und diese erwischte mich voll. Nur mit Mühe konnte ich meine Position halten, die Hände schützend vor meine Augen legen und den Atem anhalten und hoffen, dass alles ganz schnell vorbei ist. Spontan glaubte ich aus meiner Wanderspur geworfen zu sein.
Die Reiter zogen mit ihren Pferden vorüber und ich dachte, dass gleiche Erlebnisse unterschiedliche Ergebnisse haben können. Der eine erfreut sich hoch zu Ross vorbei zu galoppieren und der andere ärgert sich über das Resultat. Aber „Hochmut kommt vor dem Fall“ wenn in diesem Fall überhaupt von Hochmut gesprochen werden kann, dachte ich und fing an mich zu säubern und zu sortieren.
Sicherlich war es von den Reitern nicht Absicht mich in eine Staubwolke zu hüllen. Pferde wollen bewegt werden und das so lange, wie sie leben. Wie heißt es doch so schön: „Auf ein totes Pferd setzt man sich nicht“. Warum man das sagt und was dahinter steckt weiß ich nicht. Es gibt ja auch den Spruch „Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, dann steig ab!” So lautet eine Weisheit der Dakota-Indianer, die mittlerweile auch bei uns zum geflügelten Wort avancierte. Diese Empfehlung besagt, dass man seine Bemühungen einstellen sollte, wenn erkennbar ist, dass sie nicht mehr fruchten.
 
Die an mir vorbeigerittenen galoppierten entlang meiner Wanderspur. Ich sah ihnen nach und erlebte, wie sich das letzte Pferd aufbäumte und den Reiter abwarf. Ja, Pferde können wie die Menschen störrisch sein. Der Mensch beherrscht nicht alles und jeden. Manschmal ist die Macht umverteilt. So furchtbar das Erlebnis für den Reiter auch war, eines ist gewiss: ob mit oder ohne Pferd den Gefahren des Lebens sind wir alle ausgesetzt.
                                                                                                                       

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.03.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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