Helmut Wurm

Sokrates und die Sehr-Gute-Noten-Schule


                            
Es wird in den hier vorliegenden Gesprächen des Sokrates und mit Sokrates wiederholt das Thema Notengebung und zu gute Noten angesprochen. Dabei wurde auch angedeutet, dass auffällig gute Noten häufig aus Bequemlichkeit der Lehrer gegeben werden oder aus dem Bemühen, sich als Lehrer bei den Schülern einzuschmeicheln, oder weil eine bestimmte pädagogische Auffassung der Schulseite dahinter steht und dass eine solche Inflation von guten Noten für die betreffenden Schüler und für das ganze Sozialsystem mehr nach-teilige als positive Auswirkungen haben kann. Aber so gefällig-mildtätig wie in der nachfolgend dargestellten Schule dürfte die Notengebung wohl selten gehandhabt werden.
 
Es gibt eine größere Schule, die jährlich ihre Endnoten bezüglich der Abiturienten und der  10-Klassen-Schüler öffentlich in der Presse mitteilt. Dabei fällt jedes Mal auf, wie großzügig und schülerfreundlich die Noten vergeben werden. Schlechte Noten kommen kaum vor, selbst faule Schüler finden oft noch eine gnädige Beurteilung. Man will ganz offensichtlich möglichst keinem Schüler Unannehmlichkeiten bereiten und sich als Schule bei Schülern und Eltern dauerhaft in angenehmster Erinnerung behalten wissen. Das scheint Konsens bei Lehrern und Schulleitung zu sein.
 
Sokrates hat wieder in einer Zeitung die Veröffentlichungen der 10-Klassen-Noten und der Abiturienten-Noten gelesen. Er verfolgt solche Veröffentlichungen regelmäßig, denn er möchte etwas über das Niveau im deutschen Schulwesen erfahren - sofern solche Noten überhaupt etwas über Niveau aussagen. Dabei hat er auch die Noten-Veröffentlichungen der erwähnten Schule gelesen und sich gewundert, wie gut und fleißig die Schüler dieser Schule sein müssen, denn die Noten bewegen sich überwiegend im Bereich gut und sehr gut. Über die Hälfte aller Schüler hat diesen Notendurchschnitt erreicht, die Schüler mit einem Durchschnitt von sehr gut umfassen fast ein Drittel. Einen Notendurchschnitt von nur ausreichend haben von 108 Abiturienten nur 3 bekommen, das Abitur nicht bestanden hat nur 1 Schüler.     
 
Sokrates ist über diese guten Noten sehr erstaunt und möchte diese Schule kennenlernen. Er erinnert sich noch, dass es kaum zwei Generationen vorher nur selten vorkam, dass ein Schüler im Abitur einen sehr guten-Notenschnitt erreichte und dass ein guter Durchschnitt etwas Besonderes war. Vielleicht war man damals bewusst zu streng und wollte unbedingt eine Spitzenposition im Leistungsniveau erzwingen. 
 
Hat diese Schule nun besondere Qualitäten bezüglich des Lehrens und Lernens? Oder wählt sie besonders begabte Schüler aus? Oder ist sie einfach in das andere Extrem gefallen und verschleudert Anspruch, Niveau, Leistung und gute Noten? Bei den Deutschen kommt es ja auffällig häufig vor, dass sie von einem Extrem ins andere fallen. Sokrates möchte diese Schule einmal näher kennenlernen. Er geht einfach dorthin und trifft gerade in einer Pause die Schulleitung, den Schulleiter und seine 2 Stellvertreter, im Schulbüro an. Man bittet ihn freundlich ins Schulleiterzimmer und deutete ihm an, dass man diese Pause Zeit für ihn habe. Sokrates kommt schnell zum Grund seines Besuches, beginnt aber vorsichtig sein Gespräch:
 
Sokrates: Ich habe mit großer Bewunderung die Noten der Abiturienten und der 10-Klassen-Schüler in der Presse gelesen. Das sind ja Traumergebnisse, bereits nach der Klasse 10. Solche erreichten Noten müssen andere Schulen mit Neid erfüllen. Wie erreichen Sie solche Ergebnisse?
 
Der Schulleiter: Wir haben hier sehr engagierte Lehrer und sehr fleißige Schüler. Unsere Noten entsprechen den tatsächlichen Leistungen… Wir sind eine Hochleistungs-Schule.
Der erste Stellvertreter: Und wir haben hierweitestgehend frohe Schüler und eine gute Schul-Atmosphäre. Das ist uns wichtig.
Der andere Stellvertreter: Und wir wollen gut auffallen, gegenüber den Schülern, den Eltern und Schulbehörden… Wer sich unnötig Ärger schafft, ist dumm.Wir fallen positiv auf.
 
Sokrates: Können Sie mir vielleicht andeuten, mit welchen Lehr- und Lernmethoden Sie diese Traumergebnisse erreichen. Für das benachbarte Studienseminar und für die dortigen Lehramtsanwärter wären diese Methoden sicher sehr informativ.
 
Der Schulleiter: Da müssten Sie jeden Lehrer einzeln nach seinen Methoden fragen. Wir haben uns alle abgesprochen, ein hohes Schülerniveau und gute Noten zu erreichen. Wir haben hier sehr engagierte Lehrer und sehr fleißige Schüler. Unsere Noten entsprechen den tatsächlichen Leistungen… Wir sind eine Hochleistungs-Schule.
Der erste Stellvertreter: Und wir haben hierweitestgehend frohe Schüler und eine gute Schul-Atmosphäre. Das ist uns wichtig.
Der andere Stellvertreter: Und wir wollen gut auffallen, gegenüber den Schülern, den Eltern und Schulbehörden… Wer sich unnötig Ärger schafft, ist dumm.Wir fallen positiv auf.
 
Sokrates: Sie haben eben angedeutet, dass eine Absprache existiert, hohe Leistungen und gute Noten zu erreichen. Oder werden an dieser Schule gemäß einer Absprache von allen Lehrern hauptsächlich besonders gute Noten verteilt?
 
Der Schulleiter: Das wäre eine wenig wohlwollende Vermutung Ihrerseits, auf die ich nicht weiter antworten werde… Wir haben hier sehr engagierte Lehrer und sehr fleißige Schüler. Unsere Noten entsprechen den tatsächlichen Leistungen. Wir sind eine Hochleistungs-Schule.
Der erste Stellvertreter: Und wir haben hierweitestgehend frohe Schüler und eine gute Schul-Atmosphäre. Das ist uns wichtig.
Der andere Stellvertreter: Und wir wollen gut auffallen, gegenüber den Schülern, den Eltern und Schulbehörden… Wer sich unnötig Ärger schafft, ist dumm.Wir fallen positiv auf.
 
Sokrates: Erfahren sie bei diesen Leistungs-Erfolgen Ihrer Schule, ausgedrückt in den Noten, gelegentlich Missstimmung und Beschwerden bei den anderen Schulen der weiteren Umgebung?
 
 Der Schulleiter: Das ist allerdings der Fall, denn wir haben einen weiten Einzugsbereich. Zu uns kommen Schüler von weither. Zu anderen Schulen hätten sie es näher… Aber wir haben hier sehr engagierte Lehrer und sehr fleißige Schüler. Unsere Noten entsprechen den tatsächlichen Leistungen… Wir sind eine Hochleistungs-Schule.
Der erste Stellvertreter: Und wir haben hierweitestgehend frohe Schüler und eine gute Schul-Atmosphäre. Das ist uns wichtig. Unsere Erfolge, ausgedrückt in den Noten, haben sich eben herumgesprochen.
Der andere Stellvertreter: Und wir wollen gut auffallen, gegenüber den Schülern, den Eltern und Schulbehörden… Wer sich unnötig Ärger schafft, ist dumm.Wir fallen positiv auf.
 
Sokrates: Wenn Ihre Schüler mit solch guten Noten die Schule nach der 10. Klasse oder nach dem Abitur verlassen, blockieren sie dann nicht einen Großteil der Lehrstellen bzw. der Studienfächer mit Numerus Clausus? Sie wissen ja, dass leider bei den Bewerbungen hauptsächlich die Noten zählen und nicht das tatsächliche Wissen.
 
Der Schulleiter: Unsere Schulabgänger haben das verdient und dafür sind sie uns sehr dankbar... Wir haben hier sehr engagierte Lehrer und sehr fleißige Schüler. Unsere Noten entsprechen den tatsächlichen Leistungen… Wir sind eine Hochleistungs-Schule.
Der erste Stellvertreter: Und wir haben hierweitestgehend frohe Schüler und eine gute Schul-Atmosphäre. Das ist uns wichtig.
Der andere Stellvertreter: Und wir wollen gut auffallen, gegenüber den Schülern, den Eltern und Schulbehörden. Gut auffallen wollen wir auch bei den Bewerbungen unserer Schulabgänger… Wer sich unnötig Ärger schafft, ist dumm.Wir fallen positiv auf.
 
Sokrates: Was sagen denn die Pädagogik-Wissenschaftler der benachbarten Universität zu Ihren Spitzennoten und Ihrem Schul- und Leistungsprofil?

Der Schulleiter: Die pädagogische Wissenschaft ist über die Notengebung gespalten. Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen. Wir haben Wissenschaftler, die unseren Weg unterstützen… Wir haben hier sehr engagierte Lehrer und sehr fleißige Schüler…
Der erste Stellvertreter: Und wir haben hierweitestgehend frohe Schüler…
Der andere Stellvertreter: Und wir wollen gut auffallen, gegenüber den Schülern...
 
Sokrates: Wie ich erfahren habe, nimmt ihre Schule nicht an Vergleichswerts teil, weder an regionalen, landesweiten oder Pisa-weiten Vergleichen. Weshalb scheuen Sie bei solchen Spitzenergebnissen Vergleiche?
 
Der Schulleiter: Wir wollen die anderen Schulen nicht in Verlegenheit bringen. Deswegen nehmen wir an Schulvergleichen nicht teil… Wir haben hier sehr engagierte Lehrer…
Der erste Stellvertreter: Wir möchten andere Schulen nicht verunsichern…
Der andere Stellvertreter: Und wir wollen gut auffallen, gegenüber den Schülern…
 
Sokrates:Wie nimmt denn die übergeordnete Schulbehörde und das Ministerium diese Spitzenergebnisse oder besser Spitzennoten auf? Gibt es da Rückfragen, Belobigungen oder Kontrollen?
 
Der Schulleiter:Man will uns von oben in unserer Arbeit nicht stören und verfolgt unseren Weg mit Interesse… Wir haben hier sehr engagierte Lehrer und sehr fleißige Schüler…
Der erste Stellvertreter: Und wir haben hierweitestgehend frohe Schüler und eine gute Schul-Atmosphäre. Das ist uns wichtig… Das Ministerium möchte gute Schulatmosphären.
Der andere Stellvertreter: Wir fallen positiv auf… Das gefällt auch dem Ministerium.
 
Sokrates: Wie ist das Verhältnis Ihrer Schule zu den politischen Parteien?
 
Der Schulleiter: Es gibt verschiedene politische Kräfte, die unseren Kurs unterstützen… Wir haben hier sehr engagierte Lehrer und Schüler…
Der erste Stellvertreter: Und wir haben hierweitestgehend frohe Schüler….
Der andere Stellvertreter: Es gibt politische Kräfte, die möchten, dass möglichst alle im Lande froh sind…
 
Sokrates: Gibt es Eltern oder Schüler, die - äh, hm - noch mehr lernen wollen, als auf Ihrer Schule geboten wird?
 
Der Schulleiter: (langsam ärgerlich) Dann sollen sie auf eine andere Schule gehen, äh, hm… Wir haben hier sehr engagierte Lehrer und Schüler…
Der erste Stellvertreter: Wir haben weitestgehend zufriedene, frohe Schüler…
Der andere Stellvertreter: Und wir wollen gut auffallen…
 
Sokrates: Ich habe noch eine wichtige Abschlussfrage. Wenn Schüler ihrer Schule, aus welchen Gründen auch immer, umziehen und andere Schulen besuchen müssen, wie kommen sie auf den anderen Schulen mit einem anderen Weg zurecht? Wie steht es um die Vergleichbarkeit der Leistungen mit anderen Bundesländern?
 
Der Schulleiter, der erste Stellvertreter und der andere Stellvertreter(stehen auf): Es hat eben leider zum Pausenende geschellt… Wir müssen das Gespräch jetzt zu unserem Bedauern abbrechen… Wir haben hier frohe Schüler… Wir wollen gut auffallen… Wer sich unnötigen Ärger schafft, ist dumm.Wir fallen jedenfalls positiv auf.
 
(Aufgeschrieben vom discipulus Socratis, der mit seinem Notizblock dabei saß und die Antworten der Schulleitung schon bald auswendig wusste)

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Helmut Wurm).
Der Beitrag wurde von Helmut Wurm auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.03.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Helmut Wurm als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet. von Ronald Henss



Kurzgeschichten aus dem Internet. Eine Auswahl der besten Beiträge zum Kurzgeschichtenwettbewerb „Im Frisiersalon“ auf www.online-roman.de Eine bunte Mischung, die für jeden Geschmack etwas bereit hält: mal ernst, mal heiter, unterhaltsam, kritisch, sentimental, skurril, phantastisch... Liebesgeschichte, Humor, Krimi, Spannung, Alltag, Kindergeschichte, Nachdenkliches...

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Schule" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Helmut Wurm

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Sokrates und der Landforstmeister und der Waldbau von Helmut Wurm (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)
Wir sind ihm nicht egal! von Heidemarie Rottermanner (Schule)
Solaruhren von Norbert Wittke (Glossen)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen