Petra Mönter

An der Tankstelle

 
Es war einer jener dunklen Abende, an denen man am liebsten das Haus nicht mehr verlassen wollte.
Es hatte geschneit, es war eisig kalt und Otto Paluschke hatte eigentlich gar keine Lust die Tankstelle zu öffnen.
Und das an Weihnachten. Aber seine Tankstelle war die Einzige in der Region, und viele Autofahrer kamen von

weit her um noch einmal über die Weihnachtsfeiertage den Tank zu füllen. Das war schon seit Jahrzehnten so und
sollte sich, auch an diesem Weihnachtstag, nicht ändern.

Die Tankstelle wurde sogar in Reiseführern und auf Internet-Seiten aufgeführt.
Seit den sechziger Jahren hatte sich hier, außer dem Kraftstoff, nicht viel geändert!
Die Tankstelle war Paluschkes zweites Heim. Sie gehörte ihm, er hatte sie von seinem Vater übernommen,
der schon vor zehn Jahren das zeitliche gesegnet hatte.  Die Tankstelle befand sich nicht einmal dreihundert Meter
von seinem Haus entfernt, aber selbst diese kurze Entfernung erschien ihm heute schon zu weit.
Er hatte wunderbar zu Abend gegessen. Sein Lieblingsessen- Rotkohl mit Klößen- dazu einen Sauerbraten.
Wie immer hatte er viel zu viel gekocht. Das würde noch gut und gerne drei Tage reichen und dann würde er
das ein Jahr lang nicht mehr sehen können. So war es schon immer gewesen und so würde es immer sein.
Dick vermummt stapfte Paluschke die Anhöhe zu seiner Tankstelle hinauf. Seufzend schloss er sie auf,
machte Licht, steckte die Lichterkette des künstlichen Tannenbaums ein und goss eine riesige Kanne Wasser
in die Kaffeemaschine. Diese zischte auf und ein Gurgeln ertönte, dass auf baldigen Kaffee hoffen ließ. Bisher hatte sie ihn noch nicht enttäuscht.
Paluschke setzte sich hinter die Kasse,  ein riesiges stählernes Ungetüm und etwas älter als er selber.
Die Kasse bestand aus vielen Schiebe-Reglern und einer dicken Kurbel.  Mark und Pfennig stand da, wo die Zahlen angezeigt wurden, das hatte er einfach überklebt.
Vor einiger Zeit hatte jemand viel Geld für die Kasse geboten, sie war immer noch gut in Schuss, aber er hatte abgelehnt. Nein, seine Mutter hatte die Kasse ausgesucht, sie ging noch, warum sollte er Geld für eine andere Kasse ausgeben? Sie hatte ihm seit Jahrzehnten gute Dienste geleistet.
Paluschke öffnete die Zeitung und begann sich auf einen recht langweiligen Weihnachtsabend einzustellen.
Hier und da kam ein Auto, tankte voll. „Fröhliche Weihnachten“, riefen ihm die Fahrer zum Abschied fröhlich
 zu, viele gaben ein üppiges Trinkgeld und dann wurde es wieder still. Endlich war der Kaffee fertig.
Er schenkte sich eine Tasse ein und verschwand wieder hinter der Zeitung. „Schönheitskönigin gekürt“
, murmelte er vor sich hin und trank erst einmal einen großen Schluck. „Was das wieder soll“, er schüttelte den Kopf.
Na ja- gut aussehen tat sie ja, aber er kannte viele Frauen, die gut aussahen. Seine Mutter zum Beispiel, die hatte auch blendend ausgesehen- 
war sie deshalb Schönheitskönigin? Während er seinen Erinnerungen nachhing hörte er plötzlich ein Motorengeräusch,
dass er an seiner Tankstelle noch nie gehört hatte. Da war er sicher. Er blinzelte über seine Zeitung hinweg und starrte nach draußen.
Der Wagen schlich die Anhöhe hinauf und mit allerletzter Kraft blieb er vor den  Zapfsäulen stehen. Paluschke traute seinen Augen nicht:
Eine Hummer- Stretchlimousine- ca. 10 Meter lang, füllte seine ganze Tankstelle aus.
                                                                                                                                                    
 
 
Paluschke versuchte vergeblich die Insassen zu entdecken. Die getönten Scheiben ließen es nicht zu.
Er knüllte achtlos seine Zeitung zusammen, zog sich seine warme Jacke an und ging nach draußen.
Vorsichtig klopfte er an die Scheibe des Fahrers. „Kann ich ihnen helfen?“ Langsam öffnete sich die Scheibe des Luxus-Kolosses.
Ein Mann im weißen Anzug und dunkler Sonnenbrille schaute zu Paluschke auf.
„ Wir haben ein Problem mit der Lichtmaschine fürchte ich-  sagen Sie mal- gibt‘s hier keinen Empfang?“
Paluschke schüttelte irritiert den Kopf. „ Nein- tut mir leid, ich bin ganz alleine hier-  Empfänge machen wir hier nicht!“
Der Fahrer hielt sein Handy hoch und deutete mit seinem Finger darauf. „Handy? Empfang? Ich will meine Leute anrufen!“
„Oh“, sagte Paluschke, das Missverständnis war ihm sehr peinlich! „Im Wald sieht es schlecht aus. Wenn Sie bei mir telefonieren wollen?“
Der Fahrer schmiss sein Handy ärgerlich auf den Beifahrersitz und drehte sich nach hinten: „Ladies- kleine Pause. Ich geh mal eben telefonieren“.
   „Gibt’s hier ein Klo?“ hörte Paluschke eine weibliche Stimme fragen.  „Und? Gibt’s eins?“ fragte der Fahrer an  Paluschke gewandt.
Der nickte und deutete mit dem Kopf auf das kleine Häuschen, dass neben der Tankstelle stand. „Schlüssel gibt’s drinnen“,
beeilte er sich hinzuzufügen. „Die haben ein Klo“, rief der Fahrer bevor er ausstieg und sich beeilte ins warme Tankstellenhäuschen zu kommen.
 „Schlüssel gibt’s drinnen“, wiederholte Paluschke den wohl ausschließlich weiblichen Fahrgästen  durch das geöffnete
Autofenster, bevor auch  er wieder in dem Tankstellenhäuschen verschwand.
„Hier ist das Telefon“, er reichte es dem Fahrer und beobachtete wie sich draußen eine der Autotüren öffnete.
Eine, für die Witterung ziemlich dünn angezogene, Dame  kletterte aus dem Wagen und versuchte mit ihren Stöckelschuhen
schnell das Tankstellenhäuschen zu erreichen. Nach und nach schälten sich acht weitere Damen aus dem Auto heraus und beeilten sich in die Wärme zu kommen.
„Können wir denn den Toilettenschlüssel haben?“ Paluschke war es heute das erste Mal peinlich, dass der Schlüsse
l an einem riesigen Backstein befestigt war. Eine der Damen fing an zu kichern. „Das ist ja wie in der Steinzeit.
Im wahrsten Sinne des Wortes“. Nach und nach überkam es alle. Die jungen Damen standen lachend vor Paluschke
 und amüsierten sich über seinen Toilettenschlüssel. Am liebsten wäre er im Boden versunken. „Ich trage Ihnen den gerne hinüber“,
bot er an- was die Damen noch mehr erheiterte. „Oder haben Sie vielleicht für Ihren Schlüssel eine Sackkarre?“ „Sackkarre?“
Paluschke war irritiert- die Damen hörten gar nicht mehr auf zu lachen.
„Ruhe“ rief der Fahrer plötzlich. Er hatte endlich jemanden erreicht. „Man kann ja sein eigenes Wort nicht verstehen!“
Augenblicklich wurde es leise. „Was? So lange? Na dann frohe Weihnachten!“  Der Fahrer knallte den Hörer auf die Gabel,
dass Paluschke schon Angst hatte sich ein neues kaufen zu müssen. „ Das dauert mindestens 8 Stunden bis die hier sind.“
Schlagartig war die gute Laune der Damen zuende. „Was?“ fragte eine entsetzt. „Dann ruf uns ein Taxi-
ich will ins Hotel! Ich habe Hunger und Durst und mir ist kalt!“ Paluschke kratzte sich am Kopf.

„Taxi wird schwierig! Weihnachten, Sie verstehen!“ Plötzlich musste niemand mehr auf Toilette.
„Ja, was machen wir denn jetzt?“ Bei den Damen kam Panik auf.  Paluschke kratzte sich wieder am Kopf-
in dem Tankstellenhäuschen war es eindeutig zu eng für die vielen Damen.  Ein Taxi rufen hatte keinen Sinn und eigentlich#
hätte er bald sowieso Feierabend… er lud kurzerhand die Damen nach Hause ein. Essen hatte er ja genug gekocht.

Die Damen fügten sich, was blieb ihnen anderes übrig und so kam es, dass Paluschke das erste Mal seit Jahren Weihnachten
nicht alleine feierte. Es wurde gegessen, getrunken, gelacht- ein feucht fröhlicher Abend.  Als endlich der Techniker eintraf,
waren alle per Du und zum Abschied wurden Adressen  und Küsschen ausgetauscht.
Hätte Paluschke gewusst, was dann folgte, er hätte es nicht geglaubt.
Als er am  übernächsten Tag die Nachrichten schaute traute er seinen Augen kaum:
 Er sah sich, inmitten der jungen schönen Damen. Schnell versuchte der den Ton lauter zu machen.
„Youtube-Video eingestellt“ hörte er noch. „ Titel:  Die Schönheitskönigin Sarah Rotblatt fährt an einer Tankstelle vor!“
Und dann sah man ihn aus der Tankstelle kommen, ihn mit dem Fahrer sprechen, der ganze Abend war auf dem Filmchen drauf.
Ja, einer der Damen war tatsächlich die wunderschöne Sarah Rotblatt gewesen. Paluschke hatte bis zum Schluss keine Ahnung gehabt.
Hätte er gewusst, dass  die Damen alles mit ihrem Handy gefilmt und fotografiert hatten… Jetzt war es zu spät.
Der Film wurde der Renner im Internet. Paluschke der Star! Er wurde hinterher sogar noch bekannter als Sarah Rotblatt,
die im nächsten Jahr von Irwina Koschtakowa abgelöst wurde.
Seine Tankstelle? War nur noch Hobby- er verdiente sein Geld durch seine Auftritte in Fernsehshows. Der Film :
Sarah Rotblatt fährt an einer Tankstelle vor- ist immer noch das beliebteste Video auf youtube.
An dieses Weihnachten wird sich Paluschke sein Leben lang  erinnern! Und der Schlüssel am Backstein: Der hat seitdem Kult-Charakter!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.04.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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