Alexander Ziska

Der Suizid von Peter Müller

Von seinem Sitzplatz aus konnte Peter Müller die Dächer von Düsseldorf überblicken. Tränen standen ihm in den Augen und emotional war er (seiner eigenen Meinung nach) völlig am Ende. Der Stress wurde in letzter Zeit einfach immer unerträglicher. Seinen Beruf als Sänger konnte er nicht mehr ausüben, denn er bekam einfach keinen Ton mehr sauber hin. Die daraus resultierenden, beruflichen Reibereien mit seinem Chorleiter waren der Anfang seiner ganzen Misere. Oder ging alles schon früher los?
 
Als er so darüber nachdachte, wann er damit angefangen hat sich derart unwohl zu fühlen, fiel eine weitere Träne auf dem Boden. Er ließ sein Leben vor seinem inneren Auge noch einmal ablaufen. Er dachte an seine Frau. An seine Frau und an die Kinder. Es schmerzte ihn. Sie hatten sich kennengelernt - so lange war das noch gar nicht her - und plötzlich war sie schwanger! Was für ein Schock! Sie hatten dann geheiratet. Peters Kollegen aus dem Chor waren da und hatten mit viel "Fi-di-ral-la-la" für die beiden gesungen. Es war wohl zu dieser Zeit, als Peters Stimme begann nachzulassen. Als dann irgendwann die Kinder da waren (von denen Peter nicht mal sicher war, dass sie die seinen waren) entfremdete sich seine Frau immer mehr von ihm. Sie bewegte sich quasi nicht mehr aus dem Bett heraus - wegen der Kälte außerhalb des Bettes oder der Wärme innerhalb oder was auch immer ihr blödes Argument war. Schlimmer noch, als die Kinder dann aktiv wurden und schrien ging es immer nur noch ums Essen. Essen welches Peter ranschaffen sollte - er war ja der Mann. Er musste fast lachen, als er darüber nachdachte, dass er in diesem Augenblick wieder Essen holen sollte und sie alle keine Ahnung davon hatten, dass er heute nicht mehr zurück kommen würde.
 
Sollte er ein schlechtes Gewissen wegen den Kindern haben? Er hatte es von anderen gehört: Die werden eh schnell flügge und verlassen das eigene Nest. Kontakt halten sie dann eh nicht. Warum sollte er da überhaupt noch mitspielen? Er dachte an früher, als er in jungen Jahren unbeschwert lebte. Er wohnte in einer WG in der Nähe des Benrather Schlossparks. Er genoss den Sommer und als dieser vorbei war ging es für ihn und seine Kumpels einfach den Winter über in den Süden. Ja, das war ein tolles Leben! Sein Schmerz über den Verlust eben dieses Lebens war mehr als er ertragen konnte.
 
Aber machte er es sich nicht zu leicht? Hatte er noch eine Perspektive? In seiner katholischen Gemeinde würde niemand seine Trennung von Frau und Kindern akzeptieren. Außer Sänger hatte er nichts gelernt und seiner Meinung nach war er auch zu alt, um noch irgendwas anderes zu lernen. Wie er es drehte und wendete - er könnte seinem Leben jetzt gleich ein Ende setzen oder das Ende heraus zögern, wäre dabei aber für den Rest seiner Tage unendlich unglücklich - und am Ende würde es eh auf das Gleiche hinaus laufen. Nein! Er würde es tun! Hier, jetzt und heute!
 
Und so erhob sich Peter Müller und flog in den Himmel - höher und höher! Die Luft wurde dünner, kälter und der Sauerstoffgehalt nahm ab. Der letzte Gedanke im Leben von Peter Müller war der, ob er zuerst erfrieren oder ersticken würde. Tatsächlich wurde er aber ohnmächtig. Kraftlos stürzte er dem Boden entgegen und zerplatzte auf der Motorhaube eines Mercedes der die Königsallee entlang fuhr.
 
Der Mercedesfahrer, der sich zu Tode erschrocken hatte, blickte ungläubig über sein Lenkrad, durch die Windschutzscheibe auf die Überreste von Peter Müller. Unfähig dessen emotionalen Schmerz zu erfassen sagte er lediglich: "Blöder Vogel!"

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.04.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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