Manfred Bieschke-Behm

Spanische Handschuhe



Ich habe sie gerne getragen. Wirklich! Und lange habe ich sie getragen. Doch irgendwann waren sie nicht mehr zeitgemäß, die spanischen Handschuhe. Es ist lange her, dass ich sie erworben habe. Sehr lange. Genau gesagt vierzig Jahre ist es her, dass ich die Handschuhe für mich entdeckte.
Mai 1973. Es war unser erster Auslandsaufenthalt. Wir lebten bereits drei Jahre zusammen und wollten dieses kleine Jubiläum mit einem Mallorca-Aufenthalt feiern und krönen. Wie kleine Kinder freuten wir uns über die spanische Sonne, das Meer, die Palmen und den endlos scheinenden weißen Sandstrand. Wir waren erfüllt mit großer Freude und Zufriedenheit. Jeden Tag genossen wir als ein Geschenk und Dankbarkeit für die Tatsache, dass wir noch genauso verliebt waren wie am Anfang unserer Partnerschaft.
Die Tage auf Mallorca vergingen wie im Fluge. Viel zu schnell, wie wir erschreckend feststellen mussten. „Wir wollten uns doch ein Erinnerungsstück von der Insel mitnehmen“, sagtest du. „Na, dann müssen wir uns aber beeilen, denn schon morgen fliegen wir zurück nach Berlin“, war meine Antwort. Schnell waren wir uns einig, das wir nur noch heute unser Vorhaben in die Tat umsetzten mussten, denn morgen wäre es tatsächlich zu spät gewesen.  
Am späten Nachmittag begaben wir uns auf den Weg in die Altstadt. Mit der Absicht dort auch zu Abend zu essen, setzten wir uns mit ein bisschen Abschiedswehmut in Bewegung. In der Altstadt war die Temperatur sehr angenehm. Nicht so heiß wie am Strand. Für uns war der Zustand ideal. Wir waren von der täglichen Sonne so aufgeheizt, dass wir die Kühle der Innenstadt sehr genießen konnten. Gemütlich schlenderten wir durch Gassen und Gässchen und schauten interessiert nach rechts und nach links. Von überall her hörten wir Musik und Verkäufer, die ihre Ware feilboten. So manches, was angeboten wurde und was wir in den Auslagen entdeckten gefiel uns. Aber das Richtige war nicht dabei, obwohl wir gar nicht wussten was das „Richtige“ ist. Wir waren uns einig, dass es auf keinen Fall Kitsch, wie Keramikesel, die sich als Salzstreuer outeten, oder Puppen in Landestrachten sein würden. Es sollte schon etwas Brauchbares, Alltagstaugliches sein. Aber was? Diese Frage stand im Raum.
Spürbar beendete die Sonne ihre Strahlkraft und so langsam sengte sich der Abend mit seiner Dunkelheit über die Stadt. Und wir hatten noch immer nicht das Richtige gefunden. Die Händler wurden trotz langem Arbeitstag nicht müde ihre Massenware möglichst teuer an den Mann beziehungsweise an die Frau zu bringen. Mit Händen und Füßen und freundlichen, für uns nicht leicht zu verstehenden, Aussagen hielten sie den Touristen übergroße Fächer vor, über und hinter das Gesicht oder boten den Damen in Stufen gearbeitete bunte Röcke an, die sie zu Hause niemals tragen würden. Zum Teil amüsierte uns dieses Geschäftsgebaren zum Teil fanden wir es aber auch lästig. Deshalb kam uns die kleine Seitengasse gerade recht.
Wie Flüchtige betraten wir die Seitenstraße und empfanden es als sehr angenehm weil hier wenig los war. Außer uns hatten sich nur wenige Touristen in diese Gasse verirrt. Es gab nur vereinzelte Geschäfte hier und deshalb hatten wir das Gefühl unter uns zu sein.
In dieser engen Seitengasse entdeckten wir ein nicht sehr großes Lederwarengeschäft. Allein der intensive Ledergeruch hätte mich eigentlich vom Betreten des Ladens abgehalten. Aber in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und der Tatsache, noch immer kein Erinnerungsstück zu besitzen, überwand ich meine Abneigung gegenüber dem aufdringlichen Geruch und betrat gemeinsam mit meinem Freund das Geschäft. Sich einen Überblick zu verschaffen war kaum möglich. Dafür stapelte sich die Ware einfach zu hoch, zu breit und überhaupt. Von den Decken hinab hingen Ledermäntel, Jacken und Westen. In Regalen und zum Teil auf dem Boden waren Gürtel, Handtaschen, Brieftaschen, Geldbörsen und Lesezeichen aus Leder gestapelt. Dazwischen lagen Schafsfelle die einen ganz besonderen Eigengeruch verströmten. Aber, und das erweckte meine ganze Aufmerksamkeit, es wurden in diesem Laden auch Lederhandschuhe ausgestellt. Fein sortiert nach Formen und Farben. Für Männer, Frauen und Kinder. Jahreszeitlich betrachtet waren Handschuhe uninteressant. Aber trotzdem hatte ich das Bedürfnis das eine oder andere Paar anzuziehen. Schnell wurde der Verkäufer auf meine Aktion aufmerksam, kam zu uns um seine Ware in den höchsten Tönen zu loben und uns davon zu überzeugen, dass wir auf der ganzen Insel nirgends günstiger Handschuhe bekämen, als bei ihm. Ich zögerte. Die Handschuhe waren mir zu teuer. Ich war davon überzeugt, dass ich gleichwertige Handschuhe zuhause günstiger bekäme. Mein Freund hatte sich zwischenzeitlich abgesondert und schaute sich mehr uninteressiert nachgebildete in Leder gesteckte Tiere an.
Ich merkte, dass es mir nicht leicht fiel die Handschuhe wieder zurück zu legen und den Laden ohne sie zu verlassen. Ich glaube mich erinnern zu können, dass ich, kurz bevor ich den Laden verließ, mich umdrehte und einen letzen Blick auf die Handschuhe warf.
Gemeinsam standen wir vor dem Laden, als mein Freund zu mir sagte: „Ich habe gemerkt, dass dir die Handschuhe gefallen und möchte sie dir gerne schenken.“ Ergänzend sagte er noch: „Wenn du sie trägst mögen sie dich immer an den schönen gemeinsamen Urlaub auf Mallorca erinnern“. Dabei sah er mich so verliebt an wie ich ihn.
Schnell ging mein Freund zurück in den Laden und ich konnte beobachten wie Ware und Geld den Besitzer wechselten. Vor der Ladentür streifte mir mein Freund die Handschuhe über. Ich betrachtete meine neuen Handschuhe und fand, dass die aus dunkelrotem feinstem Leder handgenähten Handschuhe fantastisch zu mir passten. Erst als wir die kleine Taverne betraten uns Rotwein, und landesüblichen Speisen bestellten, streifte ich die Handschuhe ab Bei Gitarrenmusik und Kerzenschein verbrachten wir unseren letzen Abend auf der Insel.
Mein Freund, der Gitarrenmusik über alles liebt, schaffte es sich noch auf den Flughafen von Palma eine Schallplatte mit spanischer Gitarrenmusik zu kaufen und somit hatte auch er sein Mitbringsel von der Sonneninsel.
Seit dem sind vierzig Jahre vergangen. Viel ist in der Zwischenzeit passiert. Vieles ist geschehen. Und noch immer bin ich mit meinem damaligen Freund zusammen. Längst sind wir verheiratet und schwelgen, je älter wir werden, in Erinnerungen. Einmal sagte mein Mann zu mir: „Je älter wir werden, desto mehr Erinnerungen gibt es und gleichzeitig immer weniger Leben“. Wie recht er hat.
In den Jahren der Gemeinsamkeit haben wir viel von der Welt gesehen. Und das eine oder andere, das sich in unserer Wohnung befindet, erinnert an ferne und nahe Länder.
Unlängst sprachen wir auch über unseren ersten Auslandsurlaub. Den in Spanien. Und dabei fiel mir die Geschichte mit den Handschuhen ein. Erst jetzt, in diesem Moment, fiel mir auf, dass mir die Handschuhe in all den Jahren nicht mehr untergekommen waren. Plötzlich vermisste ich diese Handschuhe! Plötzlich waren sie mir wertvoll, so wie damals, als ich sie geschenkt bekam und mir vornahm sie nie herzugeben.
Der Gedanke, dass die Handschuhe in der Wohnung sein müssen und ich nicht weiß, wo sie abgelegt wurden, ließ mir keine Ruhe. Ich suchte. Ich suchte an Stellen, wo ich wusste, dass sie nicht sein konnten. Ich wühlte alle Schränke und Schubkästen durch. Ohne Erfolg. Die Handschuhe ließen sich nicht finden. Gerade, als ich den völlig herausgezogenen Schubkasten, in dem sich unsere Handschuhe befinden, zurückschieben wollte, merkte ich einen Widerstand. Ich glaube die Schubkastenführung nicht richtig getroffen zu haben. Und versuchte es erneut. Ich spürte aber sehr schnell, dass das nicht der Grund dafür war, die Schublade nicht ordnungsgemäß bis zum Anschlag einführen zu können. Also zog ich die Schublade nochmals ganz heraus und sah in den nun vorhandenen Hohlraum. Dabei entdeckte ich, ganz an die Rückwand gedrückt, „meine“ spanischen Handschuhe. Völlig gequetscht und als Handschuhe kaum erkennbar. Fast liebevoll versuchte ich die Handschuhe in Form zu bringen, was mir aber nur bedingt gelang. Letztendlich versuchte ich die Handschuhe anzuziehen. Schnell musste ich feststellen, dass sie nicht passten. Die Zeit verändert vieles, dachte ich, auch die eigenen Körperproportionen. Sogar an Finger und Hände. Gleichzeitig dachte ich: Ihr, meine Handschuhe könnt mich nicht mehr vor Kälte schützen aber ihr habt es nach vierzig Jahren geschafft mein Herz zu erwärmen und noch einmal für den Moment fünfundzwanzig Jahre alt zu sein.
Am selben Abend, als mein Mann nach Hause kam überraschte ich ihn mit Rotwein, Kerzenlicht gutem Essen sowie Gitarrenmusik aus dem CD-Player. Ganz dezent und trotzdem dominant lagen, nicht zu übersehen für ihn, meine spanischen Handschuhe auf dem gedeckten Tisch. Mein Mann verstand sofort die Situation. Wir schauten uns verliebt an, tranken vom Rotwein und genossen einen unvergesslich schönen Abend der noch nicht zu Ende war als längst die CD aufgehört hatte zu spielen. 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.04.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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